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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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eine Kugel in den Unterleib. Und nun begann für mich der bittere Ernst. Ich
konnte den Alten, der so gute Kameradschaft mit mir gehalten, nicht im Stiche
lassen. Da er unfähig war, sein Pferd zu lenken, und im Begriff, von dem¬
selben herabzusinken, so sprengte ich an ihn heran, hielt ihn aufrecht im Sattel
und suchte mit meinem Pferde das seinige außerhalb der Schußlinie nach dem
Fußpfade hin zu lenken. Hiermit , verging einige Zeit, und hier hatte ich
die erste Gelegenheit, die Musik des Kngelpfeifens zu hören. Doch blieb ich
unverletzt, es gelang mir. meinen Kosaken in ein abwärts von der Straße
gelegenes Haus der Porstadt zu bringen, wo ich ihn der Pflege gutmüthiger
Menschen übergab. Zwar wurde auch sofort chirurgische Hülfe aus der Stadt
beschafft, allein die Wunde war tödtlich, und wie ich später vernommen, ist
der verwundete in Eger, wohin er gebracht wurde, verschieden.

Dieser Porfall trug sich am 8. Juni zu; als ich Nachmittags zum De-
tachement zurückgekehrt war und meinen Rapport erstattet hatte, fand ich das
Gerücht verbreitet, daß der Waffenstillstand geschlossen sei.

Daß damals der Rittmeister v. Kropf dnrch den Commandeur von Hof
die erste Nachricht von dem Abschluß des Waffenstillstandes erhalten habe, ist
später verschiedentlich erzählt worden, allein ich kann es nicht glauben. Eine
solche Ankündigung ließe sich mit dem feindseligen Schießen vom Stadtthore
aus nicht vereinigen; ebenso wenig kann von einer Eroberung der Vorstädte
durch die Lützower die Rede sein. Die Vorstädte wurden überall nicht ver¬
theidigt und das Scharmützel mit dem Kosaken deutet eben auch nicht auf
Eroberung. An einen ernstlichen Angriff auf die von Infanterie vertheidigte
Stadt war schon um deßwillen nicht zu denken, weil es zu solchem Unter¬
nehmen an Streitkräften gebrach.

Am 9. Juni kehrte das v. Kropf'sche Detachement nach Plauen zurück,
und hier war es, wo wir Näheres darüber, daß ein Waffenstillstand geschlossen
sei, erfuhren. "Der Abschluß sei dem Major v, Lützow königlich sächsischerseits
officiell angezeigt und ein sächsischer Marschcommissar sei abgesendet, um das
Corps über die Elbe binnen gesetzter Frist zurückzngeleiten". Die Unmöglich¬
keit, laut Art. 10 des Waffenstillstandsinstruments, bis zum 12. Juni über
die Elbe als Demarcationslinie zurückzugehen, war für unser Corps augen¬
scheinlich. Auf dem nächsten Wege hatten wir mindestens dreißig Meilen
zurückzulegen, bevor wir zur Elbe gelangten. An die Möglichkeit eines
feindlichen Angriffs während des Waffenstillstandes dachte wohl kein Lützower
und fürchtete sie nicht. Der Schmerz und die Niedergeschlagenheit über tue
eingetretene Waffenruhe, die Allen als Borbote eines schimpflichen Friedens
galt, waren zu groß, als daß andere Empfindungen hätten aufkommen können.
Als wir von Plauen abzogen, wurde dnrch Befehl des Commandeurs bekannt
gemacht, daß wir uns aus dem Marsche wie in Freundes Land zu verhalten


eine Kugel in den Unterleib. Und nun begann für mich der bittere Ernst. Ich
konnte den Alten, der so gute Kameradschaft mit mir gehalten, nicht im Stiche
lassen. Da er unfähig war, sein Pferd zu lenken, und im Begriff, von dem¬
selben herabzusinken, so sprengte ich an ihn heran, hielt ihn aufrecht im Sattel
und suchte mit meinem Pferde das seinige außerhalb der Schußlinie nach dem
Fußpfade hin zu lenken. Hiermit , verging einige Zeit, und hier hatte ich
die erste Gelegenheit, die Musik des Kngelpfeifens zu hören. Doch blieb ich
unverletzt, es gelang mir. meinen Kosaken in ein abwärts von der Straße
gelegenes Haus der Porstadt zu bringen, wo ich ihn der Pflege gutmüthiger
Menschen übergab. Zwar wurde auch sofort chirurgische Hülfe aus der Stadt
beschafft, allein die Wunde war tödtlich, und wie ich später vernommen, ist
der verwundete in Eger, wohin er gebracht wurde, verschieden.

Dieser Porfall trug sich am 8. Juni zu; als ich Nachmittags zum De-
tachement zurückgekehrt war und meinen Rapport erstattet hatte, fand ich das
Gerücht verbreitet, daß der Waffenstillstand geschlossen sei.

Daß damals der Rittmeister v. Kropf dnrch den Commandeur von Hof
die erste Nachricht von dem Abschluß des Waffenstillstandes erhalten habe, ist
später verschiedentlich erzählt worden, allein ich kann es nicht glauben. Eine
solche Ankündigung ließe sich mit dem feindseligen Schießen vom Stadtthore
aus nicht vereinigen; ebenso wenig kann von einer Eroberung der Vorstädte
durch die Lützower die Rede sein. Die Vorstädte wurden überall nicht ver¬
theidigt und das Scharmützel mit dem Kosaken deutet eben auch nicht auf
Eroberung. An einen ernstlichen Angriff auf die von Infanterie vertheidigte
Stadt war schon um deßwillen nicht zu denken, weil es zu solchem Unter¬
nehmen an Streitkräften gebrach.

Am 9. Juni kehrte das v. Kropf'sche Detachement nach Plauen zurück,
und hier war es, wo wir Näheres darüber, daß ein Waffenstillstand geschlossen
sei, erfuhren. „Der Abschluß sei dem Major v, Lützow königlich sächsischerseits
officiell angezeigt und ein sächsischer Marschcommissar sei abgesendet, um das
Corps über die Elbe binnen gesetzter Frist zurückzngeleiten". Die Unmöglich¬
keit, laut Art. 10 des Waffenstillstandsinstruments, bis zum 12. Juni über
die Elbe als Demarcationslinie zurückzugehen, war für unser Corps augen¬
scheinlich. Auf dem nächsten Wege hatten wir mindestens dreißig Meilen
zurückzulegen, bevor wir zur Elbe gelangten. An die Möglichkeit eines
feindlichen Angriffs während des Waffenstillstandes dachte wohl kein Lützower
und fürchtete sie nicht. Der Schmerz und die Niedergeschlagenheit über tue
eingetretene Waffenruhe, die Allen als Borbote eines schimpflichen Friedens
galt, waren zu groß, als daß andere Empfindungen hätten aufkommen können.
Als wir von Plauen abzogen, wurde dnrch Befehl des Commandeurs bekannt
gemacht, daß wir uns aus dem Marsche wie in Freundes Land zu verhalten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/502>, abgerufen am 23.07.2024.