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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Frankreich ab; der Schrei der Entrüstung zitterte durch das ganze Land,
aber er verhallte in dem Geräusch der Rüstungen Napoleon's gegen Rußland.
Bald sollte der Ingrimm sich Luft machen.

Der Brand Moskau's, die Vernichtung des französischen Heeres, Aork's
kecke That fachten die Funken deutscher Vaterlandsliebe zu hellen Flammen an,
ich sage absichtlich der deutschen Vaterlandsliebe; denn preußischer Patriotismus
war den schwedisch-Pommern fremd.

Für das Preußenthum und den p>eußischen Herrscher als solchen fand sich da¬
mals in der Provinz schwedisch-Pommern mehr Abneigung als Sympathien. Seit
der Schlacht bei Fehrbellin, später in dem nordischen und dem siebenjährigen Kriege
hatten Preußens Krieger wiederholt die Grenzen überschritten und als Feinde schlimm
gehaust. Für schwedisch-pommersche Staatsangehörige, die nach den provinziellen
Privilegien sich freier Flagge auf dem Mittelmeere, Freiheit von jedem militäri¬
schen Dienstzwange und einer geringfügigen Besteuerung erfreuten, hatten
preußische Canton- und Steuerverfassung keinen guten Klang. Aber der Drang
der Zeiten, die Scham ob fremder Unterdrückung war eine gemeinsame, und geahnt
wurde schon damals, daß die geschichtliche Nothwendigkeit Preußen an die Spitze
der deutschen Angelegenheiten zur Wahrung nationaler Selbsterhaltung dränge.

Zwischen den Zeilen der über die Grenze gedrungenen Aufrufe vom
S. Februar und 17. März 1S13 Behuf Bildung freiwilliger Jägercorps und
der Landwehr war zu lesen, daß die Sache von Preußens König auch die
Sache des deutschen Volks sei; was Weise vor Monaten kaum zu träumen
gewagt hatten, "das Volk steht aus", das flüsterten sich schon laut und leise
die eingeweihten Wissenden zu.

Die in Greifswald studirenden preußischen Landeskinder, durch ihre An¬
gehörigen von dem Inhalte der vorerwähnten Aufrufe in Kenntniß gesetzt,
verließen größtentheils das noch vom Feinde besetzte Ländchen. Auch für
mich, der seit Ostern 1812 in Greifswald studirte, war kein Halten mehr,
als ich unter der Hand erfuhr, daß in Schlesien ein Corps errichtet werde,
welches vorzugsweise die Bestimmung habe, das Banner des Gesammt-
vaterlandes als Siegesfahne aufzupflanzen. Unter Lützow's, eines Kriegsge¬
fährten Schill's, bewährter Führung.: hieß es, sammle sich eine aus den
Studentenschaften Nord- und Süddeutschlands gebildete Freischaar, deren Auf¬
gabe eine eben so politische als strategische sei, nämlich im Rücken der feind¬
lichen Armee diese stets zu beunruhigen und die der Freiheit entgcgenharren-
den deutschen Stämme zum Heerbann zu rufen und zu organisiren. Jahr
wurde vorzugsweise als derjenige genannt, dessen Ansehn und Einfluß durch
vielfältig unterhaltene Verbindungen auf deutschen Universitäten, insbesondere
in Berlin, Halle und Jena, ein sehr bedeutender Antheil an dem Zuströmen
der jungen Leute zugeschrieben wurde.


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Frankreich ab; der Schrei der Entrüstung zitterte durch das ganze Land,
aber er verhallte in dem Geräusch der Rüstungen Napoleon's gegen Rußland.
Bald sollte der Ingrimm sich Luft machen.

Der Brand Moskau's, die Vernichtung des französischen Heeres, Aork's
kecke That fachten die Funken deutscher Vaterlandsliebe zu hellen Flammen an,
ich sage absichtlich der deutschen Vaterlandsliebe; denn preußischer Patriotismus
war den schwedisch-Pommern fremd.

Für das Preußenthum und den p>eußischen Herrscher als solchen fand sich da¬
mals in der Provinz schwedisch-Pommern mehr Abneigung als Sympathien. Seit
der Schlacht bei Fehrbellin, später in dem nordischen und dem siebenjährigen Kriege
hatten Preußens Krieger wiederholt die Grenzen überschritten und als Feinde schlimm
gehaust. Für schwedisch-pommersche Staatsangehörige, die nach den provinziellen
Privilegien sich freier Flagge auf dem Mittelmeere, Freiheit von jedem militäri¬
schen Dienstzwange und einer geringfügigen Besteuerung erfreuten, hatten
preußische Canton- und Steuerverfassung keinen guten Klang. Aber der Drang
der Zeiten, die Scham ob fremder Unterdrückung war eine gemeinsame, und geahnt
wurde schon damals, daß die geschichtliche Nothwendigkeit Preußen an die Spitze
der deutschen Angelegenheiten zur Wahrung nationaler Selbsterhaltung dränge.

Zwischen den Zeilen der über die Grenze gedrungenen Aufrufe vom
S. Februar und 17. März 1S13 Behuf Bildung freiwilliger Jägercorps und
der Landwehr war zu lesen, daß die Sache von Preußens König auch die
Sache des deutschen Volks sei; was Weise vor Monaten kaum zu träumen
gewagt hatten, „das Volk steht aus", das flüsterten sich schon laut und leise
die eingeweihten Wissenden zu.

Die in Greifswald studirenden preußischen Landeskinder, durch ihre An¬
gehörigen von dem Inhalte der vorerwähnten Aufrufe in Kenntniß gesetzt,
verließen größtentheils das noch vom Feinde besetzte Ländchen. Auch für
mich, der seit Ostern 1812 in Greifswald studirte, war kein Halten mehr,
als ich unter der Hand erfuhr, daß in Schlesien ein Corps errichtet werde,
welches vorzugsweise die Bestimmung habe, das Banner des Gesammt-
vaterlandes als Siegesfahne aufzupflanzen. Unter Lützow's, eines Kriegsge¬
fährten Schill's, bewährter Führung.: hieß es, sammle sich eine aus den
Studentenschaften Nord- und Süddeutschlands gebildete Freischaar, deren Auf¬
gabe eine eben so politische als strategische sei, nämlich im Rücken der feind¬
lichen Armee diese stets zu beunruhigen und die der Freiheit entgcgenharren-
den deutschen Stämme zum Heerbann zu rufen und zu organisiren. Jahr
wurde vorzugsweise als derjenige genannt, dessen Ansehn und Einfluß durch
vielfältig unterhaltene Verbindungen auf deutschen Universitäten, insbesondere
in Berlin, Halle und Jena, ein sehr bedeutender Antheil an dem Zuströmen
der jungen Leute zugeschrieben wurde.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/493>, abgerufen am 28.12.2024.