Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.die Thatsachen entscheiden, ob der Unterschied nur in den Mitteln liegt, wie noch Das Ministerium aber wird schließlich finden, daß mit diesem Hause sich recht die Thatsachen entscheiden, ob der Unterschied nur in den Mitteln liegt, wie noch Das Ministerium aber wird schließlich finden, daß mit diesem Hause sich recht <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0484" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112992"/> <p xml:id="ID_1487" prev="#ID_1486"> die Thatsachen entscheiden, ob der Unterschied nur in den Mitteln liegt, wie noch<lb/> der Rechenschaftsbericht der constitutionellen Partei zugab, oder auch in den Zwecken,<lb/> wie seitdem manche Stimmen haben behaupten wollen. Davon wird schließlich die<lb/> Verständigung der beiden liberalen Parteien abhängen müssen. Das Programm der<lb/> Fortschrittspartei enthielt im Wesentlichen keine anderen Forderungen, als diejenigen,<lb/> zu denen die constitutionelle Partei sich von scher bekannt hat. Auch die Wahl¬<lb/> reden der angesehensten Fortschrittsmänncr, wie Schulze-Delitzsch, Waldeck, Tochter<lb/> haben sich ganz innerhalb gemäßigter Schranken gehalten; am meisten hat sich Herr<lb/> Virchow in das Gebiet der Phantasie verloren. Durch die Wahlen hat die Fort¬<lb/> schrittspartei jetzt eine Stellung im Hause erhalten, wie sie selbst sich wünschen<lb/> mußte. Eine Majorität hätte ihr selbst unbequem werden müssen; denn daß sie<lb/> die Leitung übernehmen könnte, dazu sind die Dinge bei uns nicht angethan.<lb/> Aber als starke und einflußreiche Minderheit kann die Partei sehr heilsam wirken.<lb/> Von der Gespensterfurcht. die seit 1848 der demokratische Klang einiger Namen noch<lb/> immer hervorruft, sollten wir uns endlich frei machen können. Ein Mann,<lb/> wie Schulze - Delitzsch, hat doch seitdem gezeigt, daß er Vieles gelernt hat. Wir<lb/> sehen nirgends einen Grund zu der Besorgnis), daß die Fortschrittspartei der Re¬<lb/> gierung eine sactiosc Opposition bereiten werde. Ihre politische Befähigung wird<lb/> sie dadurch zu zeigen haben, daß sie durch die Rcgierungspresse und durch die Ge¬<lb/> reiztheit, mit der ein Theil der Konstitutionellen ihr entgegentritt, sich nicht ver¬<lb/> bittern läßt, sondern die Richtschnur ihres Handeln nur aus der Natur der vorlie¬<lb/> genden Fragen selbst entnimmt. Ihre Aufgabe wird es sein, soweit als irgend<lb/> möglich Hand in Hand mit der bisherigen constitutionellen Partei zu gehen; die<lb/> Ziele nicht zu weit zu stecken, aber auf die einmal gesteckten Ziele mit festem Cours<lb/> loszusteuern. Ihre eigentliche Aufgabe wird da beginnen, wo die Regierung, durch<lb/> Schwierigkeiten von einer andern Seite gedrängt, auf Abwege zu gerathen droht.<lb/> Dann wird es gelten, mit größerer Festigkeit zu warnen und abzuwehren, als bis¬<lb/> her geschehen ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1488"> Das Ministerium aber wird schließlich finden, daß mit diesem Hause sich recht<lb/> gut regieren läßt. Ganz so wie bisher wird es freilich nicht gehen. Wenn bisher<lb/> an dem Widerspruch des Herrenhauses jede liberale Maßregel scheiterte, und der<lb/> Widerspruch des Abgeordnetenhauses gegen unerfreuliche Maßregeln jedesmal dadurch<lb/> beschwichtigt wurde, daß man herumflüstertc, es stehe der Bestand des Ministeriums<lb/> auf dem Spiel, so müssen wir einem solchen Schaukelsystcm, durch welches das<lb/> constitutionelle Princip selbst in Mißcredit gebracht wird, endlich einmal entwachsen.<lb/> Ein entschlossenes Vorwärtsschreiten aber in der Ncformpolitik, zu der das Mini¬<lb/> sterium sich doch noch immer bekennt, wird in dem neuen Abgeordnetenhaus eine<lb/> eben so feste Stütze finden, wie in dem bisherigen — vielleicht eine festere weil sie<lb/><note type="byline"> ,9.</note> zugleich die Fähigkeit des Widerstandes hat. </p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0484]
die Thatsachen entscheiden, ob der Unterschied nur in den Mitteln liegt, wie noch
der Rechenschaftsbericht der constitutionellen Partei zugab, oder auch in den Zwecken,
wie seitdem manche Stimmen haben behaupten wollen. Davon wird schließlich die
Verständigung der beiden liberalen Parteien abhängen müssen. Das Programm der
Fortschrittspartei enthielt im Wesentlichen keine anderen Forderungen, als diejenigen,
zu denen die constitutionelle Partei sich von scher bekannt hat. Auch die Wahl¬
reden der angesehensten Fortschrittsmänncr, wie Schulze-Delitzsch, Waldeck, Tochter
haben sich ganz innerhalb gemäßigter Schranken gehalten; am meisten hat sich Herr
Virchow in das Gebiet der Phantasie verloren. Durch die Wahlen hat die Fort¬
schrittspartei jetzt eine Stellung im Hause erhalten, wie sie selbst sich wünschen
mußte. Eine Majorität hätte ihr selbst unbequem werden müssen; denn daß sie
die Leitung übernehmen könnte, dazu sind die Dinge bei uns nicht angethan.
Aber als starke und einflußreiche Minderheit kann die Partei sehr heilsam wirken.
Von der Gespensterfurcht. die seit 1848 der demokratische Klang einiger Namen noch
immer hervorruft, sollten wir uns endlich frei machen können. Ein Mann,
wie Schulze - Delitzsch, hat doch seitdem gezeigt, daß er Vieles gelernt hat. Wir
sehen nirgends einen Grund zu der Besorgnis), daß die Fortschrittspartei der Re¬
gierung eine sactiosc Opposition bereiten werde. Ihre politische Befähigung wird
sie dadurch zu zeigen haben, daß sie durch die Rcgierungspresse und durch die Ge¬
reiztheit, mit der ein Theil der Konstitutionellen ihr entgegentritt, sich nicht ver¬
bittern läßt, sondern die Richtschnur ihres Handeln nur aus der Natur der vorlie¬
genden Fragen selbst entnimmt. Ihre Aufgabe wird es sein, soweit als irgend
möglich Hand in Hand mit der bisherigen constitutionellen Partei zu gehen; die
Ziele nicht zu weit zu stecken, aber auf die einmal gesteckten Ziele mit festem Cours
loszusteuern. Ihre eigentliche Aufgabe wird da beginnen, wo die Regierung, durch
Schwierigkeiten von einer andern Seite gedrängt, auf Abwege zu gerathen droht.
Dann wird es gelten, mit größerer Festigkeit zu warnen und abzuwehren, als bis¬
her geschehen ist.
Das Ministerium aber wird schließlich finden, daß mit diesem Hause sich recht
gut regieren läßt. Ganz so wie bisher wird es freilich nicht gehen. Wenn bisher
an dem Widerspruch des Herrenhauses jede liberale Maßregel scheiterte, und der
Widerspruch des Abgeordnetenhauses gegen unerfreuliche Maßregeln jedesmal dadurch
beschwichtigt wurde, daß man herumflüstertc, es stehe der Bestand des Ministeriums
auf dem Spiel, so müssen wir einem solchen Schaukelsystcm, durch welches das
constitutionelle Princip selbst in Mißcredit gebracht wird, endlich einmal entwachsen.
Ein entschlossenes Vorwärtsschreiten aber in der Ncformpolitik, zu der das Mini¬
sterium sich doch noch immer bekennt, wird in dem neuen Abgeordnetenhaus eine
eben so feste Stütze finden, wie in dem bisherigen — vielleicht eine festere weil sie
,9. zugleich die Fähigkeit des Widerstandes hat.
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