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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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sellen voll Witz und Scherz, der trübe Nebel vor seinen Augen eine rosenfarbne
Wolke, die perpetuelle Charfreitagslaune fröhliche Weihnachtsstimmung.
Aeltere Aerzte empfehlen die Auster fast gegen alle Krankheiten, und sie
scheint allerdings in vielen Fällen gute Dienste geleistet zu haben. Sie mehrt
das Blut ohne das System zu erhitzen, und so ersetzt sie bei starken Ver¬
wundungen nicht nur rasch den Verlust, sondern verhütet auch den Eintritt
von Fiebern. Boerhave kannte einen starken Mann, der in eine Schwindsucht
verfallen war und nachdem kein Mittel geholfen, sich nut Austermesser des
Uebels entledigt hatte. Er gelangte in kurzer Zeit wieder zu Kräften und er¬
reichte ein Alter von dreiundneunzig Jahren. Dr. Pasquier empfiehlt Austern
als eine der besten Arzeneien gegen die Gicht. Dr. Leroy erhielt sich dadurch,
daß er jeden Morgen zwei Dutzend unsrer heilsamen Mollusken verschlang,
bis in sein höchstes Alter jugendliche Lebenskraft.

Andere gute Eigenschaften der Auster möchten zweifelhafter sein, zum
Beispiel die. welche in der folgenden Geschichte eine Rolle gespielt haben soll.
Vier Personen machten in einem Londoner Hotel nachstehende Wette: jeder
sollte sich zu essen und zu trinken geben lassen, was ihm beliebte, und der,
welcher am längsten wach bliebe, sollte bei Bezahlung der Zeche frei aus¬
gehen. Nachdem dies abgemacht war. besprach sich der eine insgeheim mit
dem Kellner und gebot ihm, sobald er an ihm das geringste Zeichen von
Schläfrigkeit bemerkte, ihm sofort mit zwei Dutzend Austern beizuspringen.
Dies geschah. Die Kellner mußten bis elf Uhr am folgenden Morgen mehr¬
mals abgelöst werden. Aber um diese Zeit schlief der letzte der drei übrigen
Tischgenossen ein, und jetzt rief unser austerncssender Freund den Wirth herbei
und erklärte sich triumphirend für den Gewinner.

Wir kommen jetzt zu dem wichtigen Kapitel, welches von der Güte der
Austern in den verschiedenen Ansiedelungen dieses nützlichen Volkes handelt.
Die berühmtesten Austernfischereien in England sind in den Armen und Buchten
der Flüsse an den Küsten von Essex. Kent und Sussex. und die beste Sorte
von Austern sind die kleinen Natives. welche von den Mündungen der Flüsse
Colne. Blackwater und Crouch in Essex, von dem Ausfluß des Swale und
des Medway in Kent, von den Bänken in dem Flusse Ouse in Sussex und
aus dem Southampton Water kommen. London wird meist von Essex aus
mit Austern versorgt, aber am höchsten werden von den Kennern die Austern
von Milton, Faversham und Burham geschätzt. Auch aus dem Norden trifft
einige Zufuhr ein, doch stammt dieselbe aus Parks, in denen junge Brut
aus dem Süden gezüchtet wird. Aber England ist nicht der einzige der drei
Theile des vereinigten Königreichs von Großbritannien, welcher mit guten
Austern gesegnet ist. Edinburg rühmt sich mit Recht seiner Aberdours und
noch mehr seiner Pandores, in denen Christopher North und der "Shepherd"


sellen voll Witz und Scherz, der trübe Nebel vor seinen Augen eine rosenfarbne
Wolke, die perpetuelle Charfreitagslaune fröhliche Weihnachtsstimmung.
Aeltere Aerzte empfehlen die Auster fast gegen alle Krankheiten, und sie
scheint allerdings in vielen Fällen gute Dienste geleistet zu haben. Sie mehrt
das Blut ohne das System zu erhitzen, und so ersetzt sie bei starken Ver¬
wundungen nicht nur rasch den Verlust, sondern verhütet auch den Eintritt
von Fiebern. Boerhave kannte einen starken Mann, der in eine Schwindsucht
verfallen war und nachdem kein Mittel geholfen, sich nut Austermesser des
Uebels entledigt hatte. Er gelangte in kurzer Zeit wieder zu Kräften und er¬
reichte ein Alter von dreiundneunzig Jahren. Dr. Pasquier empfiehlt Austern
als eine der besten Arzeneien gegen die Gicht. Dr. Leroy erhielt sich dadurch,
daß er jeden Morgen zwei Dutzend unsrer heilsamen Mollusken verschlang,
bis in sein höchstes Alter jugendliche Lebenskraft.

Andere gute Eigenschaften der Auster möchten zweifelhafter sein, zum
Beispiel die. welche in der folgenden Geschichte eine Rolle gespielt haben soll.
Vier Personen machten in einem Londoner Hotel nachstehende Wette: jeder
sollte sich zu essen und zu trinken geben lassen, was ihm beliebte, und der,
welcher am längsten wach bliebe, sollte bei Bezahlung der Zeche frei aus¬
gehen. Nachdem dies abgemacht war. besprach sich der eine insgeheim mit
dem Kellner und gebot ihm, sobald er an ihm das geringste Zeichen von
Schläfrigkeit bemerkte, ihm sofort mit zwei Dutzend Austern beizuspringen.
Dies geschah. Die Kellner mußten bis elf Uhr am folgenden Morgen mehr¬
mals abgelöst werden. Aber um diese Zeit schlief der letzte der drei übrigen
Tischgenossen ein, und jetzt rief unser austerncssender Freund den Wirth herbei
und erklärte sich triumphirend für den Gewinner.

Wir kommen jetzt zu dem wichtigen Kapitel, welches von der Güte der
Austern in den verschiedenen Ansiedelungen dieses nützlichen Volkes handelt.
Die berühmtesten Austernfischereien in England sind in den Armen und Buchten
der Flüsse an den Küsten von Essex. Kent und Sussex. und die beste Sorte
von Austern sind die kleinen Natives. welche von den Mündungen der Flüsse
Colne. Blackwater und Crouch in Essex, von dem Ausfluß des Swale und
des Medway in Kent, von den Bänken in dem Flusse Ouse in Sussex und
aus dem Southampton Water kommen. London wird meist von Essex aus
mit Austern versorgt, aber am höchsten werden von den Kennern die Austern
von Milton, Faversham und Burham geschätzt. Auch aus dem Norden trifft
einige Zufuhr ein, doch stammt dieselbe aus Parks, in denen junge Brut
aus dem Süden gezüchtet wird. Aber England ist nicht der einzige der drei
Theile des vereinigten Königreichs von Großbritannien, welcher mit guten
Austern gesegnet ist. Edinburg rühmt sich mit Recht seiner Aberdours und
noch mehr seiner Pandores, in denen Christopher North und der „Shepherd"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/470>, abgerufen am 23.07.2024.