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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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des gewöhnlichen Futters an diesem Morgen ein aus allen Getreidearten und
Hülsenfrüchten gemischtes vorgestreut, damit es recht viele und gute Eier lege.
Der Hahn aber bekommt außerdem noch Knoblauch, der auch dem Gesinde
in die Frühstückssuppe geschnitten wird, damit es tüchtiger zur Arbeit werde.
Dann gilt es, sich und das Haus für den Abend und die Feiertage zu rüsten.
Die Mädchen scheuern Diele und Stuben, Geschirr und Geräth, die Knechte
schneiden Häckerling, um während des Festes nicht arbeiten zu müssen, der
Hausrmrth sieht nach, daß die Feiertage nicht durch eine unvollendet gebliebne
Arbeit entheiligt werden, die Hausfrau endlich bereitet das Festgebäck der
zopfartig geflochtenen Weihnachtsstriezel, während die Kinder in irgend einer
Ecke der Stube eine Krippe aus Pappfiguren aufbauen, die man ihnen vom
Markt mitgebracht hat. und des "goldnen Schweinchens" harren, welches
ihnen des Abends erscheinen soll.

Von Zeit zu Zeit werden die Bewohner des Hauses in ihren Beschäf¬
tigungen durch eine der herumziehenden Gesellschaften von Knaben unter¬
brochen, welche in der Verkleidung von Hirten, Weihnachtslieder singend, ein
Krippchen von Haus zu Haus tragen. Sie sind von einem Christuskind in
weißem Hemd und einem schwarzvermummten Teufel begleitet, welcher letztere
ihren Gesang mit Brummen und Kettenrasseln accompagnirt.

Ist es endlich Abend geworden, so wird der Tisch mit dem nur bei hohen
Festtagen gebrauchten großen Tafeltuch gedeckt und mit verschiedenen Weih¬
nachtsspeisen, namentlich Striezeln und der sogenannten Muzika, einem Ge-
meug von gedörrten Aepfeln, Birnen und Pflaumen in großen Schüsseln ver¬
sehen. Nach und nach versammelt sich die ganze Familie sammt dem Ge¬
sinde in ihrem besten Staat. In manchen Gegenden fordert die Sitte, daß
die Zahl der Tischgäste eine gerade, in andern, daß sie eine ungerade sei. und
wird der Fehlende oft durch einen hereingerufnen Bettler ersetzt. Die Haus¬
frau nun schneidet mit einem Segensspruch das Brot und die Striezel an
und legt sorgsam die ersten Stücke helfen, worauf sie nochmals in die Küche
geht, um nachzusehen, ob Alles in Ordnung sei; denn hat sie sich einmal an
den Tisch gesetzt, so darf sie ihn vor Ende der Mahlzeit nicht wieder ver¬
lassen, da "sonst im nächsten Jahre die Bruthenne nicht ruhig auf den Eiern
sitzen bleiben würde." Nachdem sie wiedergekehrt, spricht der Hausvater ein
Gebet, in welchem er für das glücklich verlebte Jahr dankt und Segen für
das kommende erfleht, und das von den Uebrigen im Chor mit einem "Gelobt
sei Jesus Christ!" beschlossen wird. Nun lassen sich Alle vor den dampfen¬
den Schüsseln nieder. Auf die dicke Fischsuppe folgt der blaue, dann der ge-
backne Fisch, dann der Cernyknba, ein Gericht aus Graupen und Pilzen,
' hierauf die Liwanzen. Den Beschluß macht die Muzika und die Vertheilung
der aufgeschichteten Aepfel und Nüsse. Als Getränk geht Bier herum. Acht-


des gewöhnlichen Futters an diesem Morgen ein aus allen Getreidearten und
Hülsenfrüchten gemischtes vorgestreut, damit es recht viele und gute Eier lege.
Der Hahn aber bekommt außerdem noch Knoblauch, der auch dem Gesinde
in die Frühstückssuppe geschnitten wird, damit es tüchtiger zur Arbeit werde.
Dann gilt es, sich und das Haus für den Abend und die Feiertage zu rüsten.
Die Mädchen scheuern Diele und Stuben, Geschirr und Geräth, die Knechte
schneiden Häckerling, um während des Festes nicht arbeiten zu müssen, der
Hausrmrth sieht nach, daß die Feiertage nicht durch eine unvollendet gebliebne
Arbeit entheiligt werden, die Hausfrau endlich bereitet das Festgebäck der
zopfartig geflochtenen Weihnachtsstriezel, während die Kinder in irgend einer
Ecke der Stube eine Krippe aus Pappfiguren aufbauen, die man ihnen vom
Markt mitgebracht hat. und des „goldnen Schweinchens" harren, welches
ihnen des Abends erscheinen soll.

Von Zeit zu Zeit werden die Bewohner des Hauses in ihren Beschäf¬
tigungen durch eine der herumziehenden Gesellschaften von Knaben unter¬
brochen, welche in der Verkleidung von Hirten, Weihnachtslieder singend, ein
Krippchen von Haus zu Haus tragen. Sie sind von einem Christuskind in
weißem Hemd und einem schwarzvermummten Teufel begleitet, welcher letztere
ihren Gesang mit Brummen und Kettenrasseln accompagnirt.

Ist es endlich Abend geworden, so wird der Tisch mit dem nur bei hohen
Festtagen gebrauchten großen Tafeltuch gedeckt und mit verschiedenen Weih¬
nachtsspeisen, namentlich Striezeln und der sogenannten Muzika, einem Ge-
meug von gedörrten Aepfeln, Birnen und Pflaumen in großen Schüsseln ver¬
sehen. Nach und nach versammelt sich die ganze Familie sammt dem Ge¬
sinde in ihrem besten Staat. In manchen Gegenden fordert die Sitte, daß
die Zahl der Tischgäste eine gerade, in andern, daß sie eine ungerade sei. und
wird der Fehlende oft durch einen hereingerufnen Bettler ersetzt. Die Haus¬
frau nun schneidet mit einem Segensspruch das Brot und die Striezel an
und legt sorgsam die ersten Stücke helfen, worauf sie nochmals in die Küche
geht, um nachzusehen, ob Alles in Ordnung sei; denn hat sie sich einmal an
den Tisch gesetzt, so darf sie ihn vor Ende der Mahlzeit nicht wieder ver¬
lassen, da „sonst im nächsten Jahre die Bruthenne nicht ruhig auf den Eiern
sitzen bleiben würde." Nachdem sie wiedergekehrt, spricht der Hausvater ein
Gebet, in welchem er für das glücklich verlebte Jahr dankt und Segen für
das kommende erfleht, und das von den Uebrigen im Chor mit einem „Gelobt
sei Jesus Christ!" beschlossen wird. Nun lassen sich Alle vor den dampfen¬
den Schüsseln nieder. Auf die dicke Fischsuppe folgt der blaue, dann der ge-
backne Fisch, dann der Cernyknba, ein Gericht aus Graupen und Pilzen,
' hierauf die Liwanzen. Den Beschluß macht die Muzika und die Vertheilung
der aufgeschichteten Aepfel und Nüsse. Als Getränk geht Bier herum. Acht-


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[0458] des gewöhnlichen Futters an diesem Morgen ein aus allen Getreidearten und Hülsenfrüchten gemischtes vorgestreut, damit es recht viele und gute Eier lege. Der Hahn aber bekommt außerdem noch Knoblauch, der auch dem Gesinde in die Frühstückssuppe geschnitten wird, damit es tüchtiger zur Arbeit werde. Dann gilt es, sich und das Haus für den Abend und die Feiertage zu rüsten. Die Mädchen scheuern Diele und Stuben, Geschirr und Geräth, die Knechte schneiden Häckerling, um während des Festes nicht arbeiten zu müssen, der Hausrmrth sieht nach, daß die Feiertage nicht durch eine unvollendet gebliebne Arbeit entheiligt werden, die Hausfrau endlich bereitet das Festgebäck der zopfartig geflochtenen Weihnachtsstriezel, während die Kinder in irgend einer Ecke der Stube eine Krippe aus Pappfiguren aufbauen, die man ihnen vom Markt mitgebracht hat. und des „goldnen Schweinchens" harren, welches ihnen des Abends erscheinen soll. Von Zeit zu Zeit werden die Bewohner des Hauses in ihren Beschäf¬ tigungen durch eine der herumziehenden Gesellschaften von Knaben unter¬ brochen, welche in der Verkleidung von Hirten, Weihnachtslieder singend, ein Krippchen von Haus zu Haus tragen. Sie sind von einem Christuskind in weißem Hemd und einem schwarzvermummten Teufel begleitet, welcher letztere ihren Gesang mit Brummen und Kettenrasseln accompagnirt. Ist es endlich Abend geworden, so wird der Tisch mit dem nur bei hohen Festtagen gebrauchten großen Tafeltuch gedeckt und mit verschiedenen Weih¬ nachtsspeisen, namentlich Striezeln und der sogenannten Muzika, einem Ge- meug von gedörrten Aepfeln, Birnen und Pflaumen in großen Schüsseln ver¬ sehen. Nach und nach versammelt sich die ganze Familie sammt dem Ge¬ sinde in ihrem besten Staat. In manchen Gegenden fordert die Sitte, daß die Zahl der Tischgäste eine gerade, in andern, daß sie eine ungerade sei. und wird der Fehlende oft durch einen hereingerufnen Bettler ersetzt. Die Haus¬ frau nun schneidet mit einem Segensspruch das Brot und die Striezel an und legt sorgsam die ersten Stücke helfen, worauf sie nochmals in die Küche geht, um nachzusehen, ob Alles in Ordnung sei; denn hat sie sich einmal an den Tisch gesetzt, so darf sie ihn vor Ende der Mahlzeit nicht wieder ver¬ lassen, da „sonst im nächsten Jahre die Bruthenne nicht ruhig auf den Eiern sitzen bleiben würde." Nachdem sie wiedergekehrt, spricht der Hausvater ein Gebet, in welchem er für das glücklich verlebte Jahr dankt und Segen für das kommende erfleht, und das von den Uebrigen im Chor mit einem „Gelobt sei Jesus Christ!" beschlossen wird. Nun lassen sich Alle vor den dampfen¬ den Schüsseln nieder. Auf die dicke Fischsuppe folgt der blaue, dann der ge- backne Fisch, dann der Cernyknba, ein Gericht aus Graupen und Pilzen, ' hierauf die Liwanzen. Den Beschluß macht die Muzika und die Vertheilung der aufgeschichteten Aepfel und Nüsse. Als Getränk geht Bier herum. Acht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/458>, abgerufen am 23.07.2024.