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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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berger Gegend in den letzten Adventswochen Knaben und Mädchen in Schäfer-
tracht umher, um in den Familien Hirtenlieder zu singen, welche die bevor¬
stehende Ankunft des "Christkindels" verkünden, und in Budweis wird die
Geburt Christi von Erwachsenen auf förmlichen Theatern aufgeführt.

Heidnisch wieder ist die in Deutschböhmen herrschende Feier des Thomas¬
tages, an dem die heiratsfähigen Mädchen durch das bekannte Schuhwerfen
zu erforschen wissen, ob sie im nächsten Jahr eine" Mann bekommen sollen;
nicht minder heidnische Ueberlieferung die ebenfalls deutschböhmische Sitte,
einige Freitage (Freitag war der Tag der alten Erd- und Hausgöttin, welche
den Flachs gedeihen ließ und das Spinnen beaufsichtigte) vor Weihnachten
die ganze Nacht hindurch zu spinnen und den Erlös für das damit ge¬
wonnene Garn zur Beschaffung der Christstriezel zu verwenden.

Ein eigner Aberglaube kommt in Horazdowic vor, wo man sagt, daß in
der Thomasnacht der Thomaswagen durch den Ort fahre. Dieser ist feurig
und rollt über den Ring (Markt) bis zum Kirchhof, wo alle Todten, welche
Thomas heißen, aus ihren Gräbern steigen und ihrem in dem Wagen be¬
findlichen Patron zu dem Kreuze folgen. Vor diesem, welches jetzt in rothem
Lichte strahlt, kniet der heilige Thomas, dessen Wagen beiläufig nichts Anderes
ist als der Wagen des wüthenden Heeres oder des todtenführenden Wuotan,
zum Gebet nieder, worauf er, der in einen katholischen Priester verwandelte
Heidengott, seinen Namensbrüdern den Segen ertheilt und Alles verschwindet.
Diese Geschichte erzählt man sich in den Häusern bei dem an diesem Abend
herkömmlichen Federschlicßen. und wo man sie glaubt, pflegt man niederzu-
knieen und das Thomasgebet zu sprechen, damit der Heilige niemand etwas
zu Leide thue. Bisweilen sieht und hört man dann den gespenstischen Wa¬
gen wirklich, indem ein Bekannter des Hausvaters sich den Scherz macht,
einen Wagen mit Fackeln zu bestecken und mit demselben am Hause vorbei.
Masseln, was natürlich noch größere Angst und Inbrunst hervorruft. Der
Spaßvogel kommt dann gewöhnlich nach einer Weile mit verbundenem Ge¬
sicht herein und erzählt, daß ihm der Thomas efns mit seiner feurigen Peitsche
versetzt habe, ein Bericht, der von den Kindern nicht bezweifelt wird, da sie
wissen, daß der Heilige die Peitsche gern braucht und unter anderm einmal
einem geldgierigen Richter beide Augen damit ausgeschlagen hat.

Der heilige Abend, d. h. der Tag vor dem kirchlichen Weihnachtsfest.
gruppirt wie unter den Deutschen so unter den Czechen eine Menge von Ge¬
bräuchen und Meinungen um sich, welche als Neste des alten Fests der Win-
tersonnenwende zu betrachten sind.

Im östlichen Böhmen wird schon am Morgen aufgepaßt, wer zuerst
das Gehöft betritt, denn Geschlecht und Zahl der ersten Besucher deutet die
Vermehrung des Viehs im kommenden Jahr-an. Das Federvieh erhält statt


berger Gegend in den letzten Adventswochen Knaben und Mädchen in Schäfer-
tracht umher, um in den Familien Hirtenlieder zu singen, welche die bevor¬
stehende Ankunft des „Christkindels" verkünden, und in Budweis wird die
Geburt Christi von Erwachsenen auf förmlichen Theatern aufgeführt.

Heidnisch wieder ist die in Deutschböhmen herrschende Feier des Thomas¬
tages, an dem die heiratsfähigen Mädchen durch das bekannte Schuhwerfen
zu erforschen wissen, ob sie im nächsten Jahr eine» Mann bekommen sollen;
nicht minder heidnische Ueberlieferung die ebenfalls deutschböhmische Sitte,
einige Freitage (Freitag war der Tag der alten Erd- und Hausgöttin, welche
den Flachs gedeihen ließ und das Spinnen beaufsichtigte) vor Weihnachten
die ganze Nacht hindurch zu spinnen und den Erlös für das damit ge¬
wonnene Garn zur Beschaffung der Christstriezel zu verwenden.

Ein eigner Aberglaube kommt in Horazdowic vor, wo man sagt, daß in
der Thomasnacht der Thomaswagen durch den Ort fahre. Dieser ist feurig
und rollt über den Ring (Markt) bis zum Kirchhof, wo alle Todten, welche
Thomas heißen, aus ihren Gräbern steigen und ihrem in dem Wagen be¬
findlichen Patron zu dem Kreuze folgen. Vor diesem, welches jetzt in rothem
Lichte strahlt, kniet der heilige Thomas, dessen Wagen beiläufig nichts Anderes
ist als der Wagen des wüthenden Heeres oder des todtenführenden Wuotan,
zum Gebet nieder, worauf er, der in einen katholischen Priester verwandelte
Heidengott, seinen Namensbrüdern den Segen ertheilt und Alles verschwindet.
Diese Geschichte erzählt man sich in den Häusern bei dem an diesem Abend
herkömmlichen Federschlicßen. und wo man sie glaubt, pflegt man niederzu-
knieen und das Thomasgebet zu sprechen, damit der Heilige niemand etwas
zu Leide thue. Bisweilen sieht und hört man dann den gespenstischen Wa¬
gen wirklich, indem ein Bekannter des Hausvaters sich den Scherz macht,
einen Wagen mit Fackeln zu bestecken und mit demselben am Hause vorbei.
Masseln, was natürlich noch größere Angst und Inbrunst hervorruft. Der
Spaßvogel kommt dann gewöhnlich nach einer Weile mit verbundenem Ge¬
sicht herein und erzählt, daß ihm der Thomas efns mit seiner feurigen Peitsche
versetzt habe, ein Bericht, der von den Kindern nicht bezweifelt wird, da sie
wissen, daß der Heilige die Peitsche gern braucht und unter anderm einmal
einem geldgierigen Richter beide Augen damit ausgeschlagen hat.

Der heilige Abend, d. h. der Tag vor dem kirchlichen Weihnachtsfest.
gruppirt wie unter den Deutschen so unter den Czechen eine Menge von Ge¬
bräuchen und Meinungen um sich, welche als Neste des alten Fests der Win-
tersonnenwende zu betrachten sind.

Im östlichen Böhmen wird schon am Morgen aufgepaßt, wer zuerst
das Gehöft betritt, denn Geschlecht und Zahl der ersten Besucher deutet die
Vermehrung des Viehs im kommenden Jahr-an. Das Federvieh erhält statt


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[0457] berger Gegend in den letzten Adventswochen Knaben und Mädchen in Schäfer- tracht umher, um in den Familien Hirtenlieder zu singen, welche die bevor¬ stehende Ankunft des „Christkindels" verkünden, und in Budweis wird die Geburt Christi von Erwachsenen auf förmlichen Theatern aufgeführt. Heidnisch wieder ist die in Deutschböhmen herrschende Feier des Thomas¬ tages, an dem die heiratsfähigen Mädchen durch das bekannte Schuhwerfen zu erforschen wissen, ob sie im nächsten Jahr eine» Mann bekommen sollen; nicht minder heidnische Ueberlieferung die ebenfalls deutschböhmische Sitte, einige Freitage (Freitag war der Tag der alten Erd- und Hausgöttin, welche den Flachs gedeihen ließ und das Spinnen beaufsichtigte) vor Weihnachten die ganze Nacht hindurch zu spinnen und den Erlös für das damit ge¬ wonnene Garn zur Beschaffung der Christstriezel zu verwenden. Ein eigner Aberglaube kommt in Horazdowic vor, wo man sagt, daß in der Thomasnacht der Thomaswagen durch den Ort fahre. Dieser ist feurig und rollt über den Ring (Markt) bis zum Kirchhof, wo alle Todten, welche Thomas heißen, aus ihren Gräbern steigen und ihrem in dem Wagen be¬ findlichen Patron zu dem Kreuze folgen. Vor diesem, welches jetzt in rothem Lichte strahlt, kniet der heilige Thomas, dessen Wagen beiläufig nichts Anderes ist als der Wagen des wüthenden Heeres oder des todtenführenden Wuotan, zum Gebet nieder, worauf er, der in einen katholischen Priester verwandelte Heidengott, seinen Namensbrüdern den Segen ertheilt und Alles verschwindet. Diese Geschichte erzählt man sich in den Häusern bei dem an diesem Abend herkömmlichen Federschlicßen. und wo man sie glaubt, pflegt man niederzu- knieen und das Thomasgebet zu sprechen, damit der Heilige niemand etwas zu Leide thue. Bisweilen sieht und hört man dann den gespenstischen Wa¬ gen wirklich, indem ein Bekannter des Hausvaters sich den Scherz macht, einen Wagen mit Fackeln zu bestecken und mit demselben am Hause vorbei. Masseln, was natürlich noch größere Angst und Inbrunst hervorruft. Der Spaßvogel kommt dann gewöhnlich nach einer Weile mit verbundenem Ge¬ sicht herein und erzählt, daß ihm der Thomas efns mit seiner feurigen Peitsche versetzt habe, ein Bericht, der von den Kindern nicht bezweifelt wird, da sie wissen, daß der Heilige die Peitsche gern braucht und unter anderm einmal einem geldgierigen Richter beide Augen damit ausgeschlagen hat. Der heilige Abend, d. h. der Tag vor dem kirchlichen Weihnachtsfest. gruppirt wie unter den Deutschen so unter den Czechen eine Menge von Ge¬ bräuchen und Meinungen um sich, welche als Neste des alten Fests der Win- tersonnenwende zu betrachten sind. Im östlichen Böhmen wird schon am Morgen aufgepaßt, wer zuerst das Gehöft betritt, denn Geschlecht und Zahl der ersten Besucher deutet die Vermehrung des Viehs im kommenden Jahr-an. Das Federvieh erhält statt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/457>, abgerufen am 23.07.2024.