Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

der Auster, die Beschränkung auf den Horizont einer Austerschale ist? Zu viel
wissen wollen macht ebenso unselig wie zu viel haben wollen, weil es ebenso
den Neid der Götter und anderer Vornehmen erregt, und da man über das
Maß des Zuviel in Verlegenheit kommen kann, ist es am klügsten, gar nichts
wissen zu wollen, zufrieden zu sein, daß Einer ist, der Alles weiß. Denken
Sie als Freund von Märchen an den Fischer mit seiner ungenügsamen Jlse-
bill im Federtopf und dem Goldfisch. Stellen Sie sich als Weltkind die Lage
Doctor Fausts in jener peinvollen Osternacht vor, und suchen Sie darin, was
zu Ihrem Frieden dient. Erinnern Sie sich als christlicher Germane an den
Baum der Erkenntniß.

Der Mensch des hebräischen Paradieses war *) ganz ebenso wie der ari¬
stophanische Kugelmensch in wesentlichen Stücken der Auster ähnlich, und er
war, wie auch indische Mythen schließen lassen, bestimmt, die Einfachheit,
die friedliche Einfalt und Selbstgenügsamkeit der Auster für alle Zeiten zu
bewahren. Geschlechtslos oder Mannweib, wie diese, sollte er nicht Seines¬
gleichen haben. In den stillen Garten Eden eingeschlossen, wie die Auster in
ihre Schale, sollte er keine Kenntniß von der Welt und ihren Gegensätzen,
keinen Wunsch und keine Furcht und keine andere Arbeit haben, als die, sich
zu nähren. Wie er dazu kam, diesen seligen Zustand zu brechen, wird ewig
Geheimniß bleiben, ist wenigstens für mich das unbegreiflichste aller Wunder.
Genug, er war unzufrieden, der Undankbare, er rebellirte, vielleicht nur weil
ihm zu wohl war, gegen den Himmel. Schon daß er sich einsam fühlte und
Gott den Herrn in seiner väterlichen Milde nöthigte, ihm eine Gefährtin zu
machen, ihn zu diesem Zwecke zu spalten, war verhnngnißvolle Sünde, in¬
dem sie andere, ihm bis dahin unbekannte Begehren weckte. Der Einfältige
war ein Zwiespältiger geworden, und damit hatte die Schlange über ihn
Gewalt. Daß er sich gelüsten ließ, vom verbotenen Baum den Apfel des
Gedankens und Gewissens zu stehlen, war die zweite große Versündigung
gegen seine Bestimmung. Selige brauchen weder eine Frau, noch Verstand
noch Gewissen. Aus dem einen ziemlich einfältigen Wunsch wurden viele,
und an jeden knüpfte sich eine Strafe für den Durchbruch aus der Einfalt
in den Zwiespalt. Er empfand die Pein der Scham, die ihm ohne die Ge¬
fährtin und ohne den Apfel niemals nahe getreten wäre. Er lernte die
Furcht kennen, und war damit eigentlich schon a.us dem Paradies gestoßen. Er
mußte endlich arbeiten, statt blos dem Genuß leben zu können, und mit
diesem Dasein voll Wünsche, voll Scham, voll Furcht, voll Arbeit beginnt
' i >v>^' v.i'i!,^ -,t'nuk?,,'lui'i' ,-i> it'^iimtMclO! rKni'Z '^imH



") Der Redner weiß das Folgende natürlich nicht aus der Bibel, sondern schließt es selbst,
verständlich nur aus den Aeußerungen seines Theologen, wie denn seine ganze Rede hier nicht-
mitlheilbar gewesen wäre, wenn sie Gegenstände der Religion und nicht blos die Schulweis¬
h D. Red. eit der Dogmatiker hereinzöge.

der Auster, die Beschränkung auf den Horizont einer Austerschale ist? Zu viel
wissen wollen macht ebenso unselig wie zu viel haben wollen, weil es ebenso
den Neid der Götter und anderer Vornehmen erregt, und da man über das
Maß des Zuviel in Verlegenheit kommen kann, ist es am klügsten, gar nichts
wissen zu wollen, zufrieden zu sein, daß Einer ist, der Alles weiß. Denken
Sie als Freund von Märchen an den Fischer mit seiner ungenügsamen Jlse-
bill im Federtopf und dem Goldfisch. Stellen Sie sich als Weltkind die Lage
Doctor Fausts in jener peinvollen Osternacht vor, und suchen Sie darin, was
zu Ihrem Frieden dient. Erinnern Sie sich als christlicher Germane an den
Baum der Erkenntniß.

Der Mensch des hebräischen Paradieses war *) ganz ebenso wie der ari¬
stophanische Kugelmensch in wesentlichen Stücken der Auster ähnlich, und er
war, wie auch indische Mythen schließen lassen, bestimmt, die Einfachheit,
die friedliche Einfalt und Selbstgenügsamkeit der Auster für alle Zeiten zu
bewahren. Geschlechtslos oder Mannweib, wie diese, sollte er nicht Seines¬
gleichen haben. In den stillen Garten Eden eingeschlossen, wie die Auster in
ihre Schale, sollte er keine Kenntniß von der Welt und ihren Gegensätzen,
keinen Wunsch und keine Furcht und keine andere Arbeit haben, als die, sich
zu nähren. Wie er dazu kam, diesen seligen Zustand zu brechen, wird ewig
Geheimniß bleiben, ist wenigstens für mich das unbegreiflichste aller Wunder.
Genug, er war unzufrieden, der Undankbare, er rebellirte, vielleicht nur weil
ihm zu wohl war, gegen den Himmel. Schon daß er sich einsam fühlte und
Gott den Herrn in seiner väterlichen Milde nöthigte, ihm eine Gefährtin zu
machen, ihn zu diesem Zwecke zu spalten, war verhnngnißvolle Sünde, in¬
dem sie andere, ihm bis dahin unbekannte Begehren weckte. Der Einfältige
war ein Zwiespältiger geworden, und damit hatte die Schlange über ihn
Gewalt. Daß er sich gelüsten ließ, vom verbotenen Baum den Apfel des
Gedankens und Gewissens zu stehlen, war die zweite große Versündigung
gegen seine Bestimmung. Selige brauchen weder eine Frau, noch Verstand
noch Gewissen. Aus dem einen ziemlich einfältigen Wunsch wurden viele,
und an jeden knüpfte sich eine Strafe für den Durchbruch aus der Einfalt
in den Zwiespalt. Er empfand die Pein der Scham, die ihm ohne die Ge¬
fährtin und ohne den Apfel niemals nahe getreten wäre. Er lernte die
Furcht kennen, und war damit eigentlich schon a.us dem Paradies gestoßen. Er
mußte endlich arbeiten, statt blos dem Genuß leben zu können, und mit
diesem Dasein voll Wünsche, voll Scham, voll Furcht, voll Arbeit beginnt
' i >v>^' v.i'i!,^ -,t'nuk?,,'lui'i' ,-i> it'^iimtMclO! rKni'Z '^imH



") Der Redner weiß das Folgende natürlich nicht aus der Bibel, sondern schließt es selbst,
verständlich nur aus den Aeußerungen seines Theologen, wie denn seine ganze Rede hier nicht-
mitlheilbar gewesen wäre, wenn sie Gegenstände der Religion und nicht blos die Schulweis¬
h D. Red. eit der Dogmatiker hereinzöge.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0425" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112933"/>
            <p xml:id="ID_1274" prev="#ID_1273"> der Auster, die Beschränkung auf den Horizont einer Austerschale ist? Zu viel<lb/>
wissen wollen macht ebenso unselig wie zu viel haben wollen, weil es ebenso<lb/>
den Neid der Götter und anderer Vornehmen erregt, und da man über das<lb/>
Maß des Zuviel in Verlegenheit kommen kann, ist es am klügsten, gar nichts<lb/>
wissen zu wollen, zufrieden zu sein, daß Einer ist, der Alles weiß. Denken<lb/>
Sie als Freund von Märchen an den Fischer mit seiner ungenügsamen Jlse-<lb/>
bill im Federtopf und dem Goldfisch. Stellen Sie sich als Weltkind die Lage<lb/>
Doctor Fausts in jener peinvollen Osternacht vor, und suchen Sie darin, was<lb/>
zu Ihrem Frieden dient. Erinnern Sie sich als christlicher Germane an den<lb/>
Baum der Erkenntniß.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1275" next="#ID_1276"> Der Mensch des hebräischen Paradieses war *) ganz ebenso wie der ari¬<lb/>
stophanische Kugelmensch in wesentlichen Stücken der Auster ähnlich, und er<lb/>
war, wie auch indische Mythen schließen lassen, bestimmt, die Einfachheit,<lb/>
die friedliche Einfalt und Selbstgenügsamkeit der Auster für alle Zeiten zu<lb/>
bewahren. Geschlechtslos oder Mannweib, wie diese, sollte er nicht Seines¬<lb/>
gleichen haben. In den stillen Garten Eden eingeschlossen, wie die Auster in<lb/>
ihre Schale, sollte er keine Kenntniß von der Welt und ihren Gegensätzen,<lb/>
keinen Wunsch und keine Furcht und keine andere Arbeit haben, als die, sich<lb/>
zu nähren. Wie er dazu kam, diesen seligen Zustand zu brechen, wird ewig<lb/>
Geheimniß bleiben, ist wenigstens für mich das unbegreiflichste aller Wunder.<lb/>
Genug, er war unzufrieden, der Undankbare, er rebellirte, vielleicht nur weil<lb/>
ihm zu wohl war, gegen den Himmel. Schon daß er sich einsam fühlte und<lb/>
Gott den Herrn in seiner väterlichen Milde nöthigte, ihm eine Gefährtin zu<lb/>
machen, ihn zu diesem Zwecke zu spalten, war verhnngnißvolle Sünde, in¬<lb/>
dem sie andere, ihm bis dahin unbekannte Begehren weckte. Der Einfältige<lb/>
war ein Zwiespältiger geworden, und damit hatte die Schlange über ihn<lb/>
Gewalt. Daß er sich gelüsten ließ, vom verbotenen Baum den Apfel des<lb/>
Gedankens und Gewissens zu stehlen, war die zweite große Versündigung<lb/>
gegen seine Bestimmung. Selige brauchen weder eine Frau, noch Verstand<lb/>
noch Gewissen. Aus dem einen ziemlich einfältigen Wunsch wurden viele,<lb/>
und an jeden knüpfte sich eine Strafe für den Durchbruch aus der Einfalt<lb/>
in den Zwiespalt. Er empfand die Pein der Scham, die ihm ohne die Ge¬<lb/>
fährtin und ohne den Apfel niemals nahe getreten wäre. Er lernte die<lb/>
Furcht kennen, und war damit eigentlich schon a.us dem Paradies gestoßen. Er<lb/>
mußte endlich arbeiten, statt blos dem Genuß leben zu können, und mit<lb/>
diesem Dasein voll Wünsche, voll Scham, voll Furcht, voll Arbeit beginnt<lb/>
' i &gt;v&gt;^' v.i'i!,^    -,t'nuk?,,'lui'i' ,-i&gt; it'^iimtMclO! rKni'Z '^imH</p><lb/>
            <note xml:id="FID_24" place="foot"> ") Der Redner weiß das Folgende natürlich nicht aus der Bibel, sondern schließt es selbst,<lb/>
verständlich nur aus den Aeußerungen seines Theologen, wie denn seine ganze Rede hier nicht-<lb/>
mitlheilbar gewesen wäre, wenn sie Gegenstände der Religion und nicht blos die Schulweis¬<lb/>
h<note type="byline"> D. Red.</note> eit der Dogmatiker hereinzöge. </note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0425] der Auster, die Beschränkung auf den Horizont einer Austerschale ist? Zu viel wissen wollen macht ebenso unselig wie zu viel haben wollen, weil es ebenso den Neid der Götter und anderer Vornehmen erregt, und da man über das Maß des Zuviel in Verlegenheit kommen kann, ist es am klügsten, gar nichts wissen zu wollen, zufrieden zu sein, daß Einer ist, der Alles weiß. Denken Sie als Freund von Märchen an den Fischer mit seiner ungenügsamen Jlse- bill im Federtopf und dem Goldfisch. Stellen Sie sich als Weltkind die Lage Doctor Fausts in jener peinvollen Osternacht vor, und suchen Sie darin, was zu Ihrem Frieden dient. Erinnern Sie sich als christlicher Germane an den Baum der Erkenntniß. Der Mensch des hebräischen Paradieses war *) ganz ebenso wie der ari¬ stophanische Kugelmensch in wesentlichen Stücken der Auster ähnlich, und er war, wie auch indische Mythen schließen lassen, bestimmt, die Einfachheit, die friedliche Einfalt und Selbstgenügsamkeit der Auster für alle Zeiten zu bewahren. Geschlechtslos oder Mannweib, wie diese, sollte er nicht Seines¬ gleichen haben. In den stillen Garten Eden eingeschlossen, wie die Auster in ihre Schale, sollte er keine Kenntniß von der Welt und ihren Gegensätzen, keinen Wunsch und keine Furcht und keine andere Arbeit haben, als die, sich zu nähren. Wie er dazu kam, diesen seligen Zustand zu brechen, wird ewig Geheimniß bleiben, ist wenigstens für mich das unbegreiflichste aller Wunder. Genug, er war unzufrieden, der Undankbare, er rebellirte, vielleicht nur weil ihm zu wohl war, gegen den Himmel. Schon daß er sich einsam fühlte und Gott den Herrn in seiner väterlichen Milde nöthigte, ihm eine Gefährtin zu machen, ihn zu diesem Zwecke zu spalten, war verhnngnißvolle Sünde, in¬ dem sie andere, ihm bis dahin unbekannte Begehren weckte. Der Einfältige war ein Zwiespältiger geworden, und damit hatte die Schlange über ihn Gewalt. Daß er sich gelüsten ließ, vom verbotenen Baum den Apfel des Gedankens und Gewissens zu stehlen, war die zweite große Versündigung gegen seine Bestimmung. Selige brauchen weder eine Frau, noch Verstand noch Gewissen. Aus dem einen ziemlich einfältigen Wunsch wurden viele, und an jeden knüpfte sich eine Strafe für den Durchbruch aus der Einfalt in den Zwiespalt. Er empfand die Pein der Scham, die ihm ohne die Ge¬ fährtin und ohne den Apfel niemals nahe getreten wäre. Er lernte die Furcht kennen, und war damit eigentlich schon a.us dem Paradies gestoßen. Er mußte endlich arbeiten, statt blos dem Genuß leben zu können, und mit diesem Dasein voll Wünsche, voll Scham, voll Furcht, voll Arbeit beginnt ' i >v>^' v.i'i!,^ -,t'nuk?,,'lui'i' ,-i> it'^iimtMclO! rKni'Z '^imH ") Der Redner weiß das Folgende natürlich nicht aus der Bibel, sondern schließt es selbst, verständlich nur aus den Aeußerungen seines Theologen, wie denn seine ganze Rede hier nicht- mitlheilbar gewesen wäre, wenn sie Gegenstände der Religion und nicht blos die Schulweis¬ h D. Red. eit der Dogmatiker hereinzöge.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/425
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/425>, abgerufen am 23.07.2024.