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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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gültigkeit, welche das Verbrechen umgaben, erschwerten dessen Verfolgung, und
dieselbe wurde nur da möglich, wo das ermordete Kind vom Familienpriester
in einem Korb fortgetragen und begraben zu werden pflegte, für welchen
Dienst jener ein Geldgeschenk und ein Mahl erhielt. In Kutsch wird das
Kind von der Frau des Hausbrahmanen ermordet. Dieselben Menschen,
welche gleich den alten Pharisäern Mücken seihen, welche sich scheuen in der
Regenzeit umherzuwandern, welche in derselben vorsichtigen Weise den Staub
von ihren Tritten wegfegen, welche den Mund beim Athmen und Sprechen
bedecken, damit kein lebendes Wesen den Tod erleide, welche Krankenhäuser
für Affen errichten und Krokodile hegen und Pflegen, tragen kein Bedenken,
die Neugebornen ihres eignen Geschlechts grausam umzubringen.

Erst in den letzten dreißig Jahren ist es den Bemühungen menschen¬
freundlicher Engländer gelungen, das Uebel auf engere Grenzen zu beschränken.
So wirkte z. B. Oberst Hall unter dem rohen Stamm von Mairwarra mit
Erfolg gegen Kindermord und Weiberverkauf. Beide üble Sitten, schreibt er
1827, hängen eng zusammen, indem sie aus den großen Kosten der Heiraths-
vcrträge hervorgehen. Die Summen, welche der Vater zu zahlen hat, sind
bedeutend und gleich groß für reich und arm. Wie sie zuerst festgestellt wor¬
den sind, weiß Keiner anzugeben, aber sie stehen unabänderlich fest. Hall er¬
wirkte deshalb eine Herabsetzung dieser Summen, und 1847 berichtete sein
Nachfolger. Oberst Dixon. daß der Kindermord seinen Todesstoß durch die
Verminderung der Kosten bei der Verheirathung erhalten habe.

Mit diesen rohen Mairs aber ließ sich leichter zu einem Abkommen ge¬
langen als mit den stolzen Radschputen des centralen und westlichen Indiens.
Man hielt hier jede directe Einmischung für bedenklich, und erst 1831 suchte
Sir John Malcolm, der damalige Gouverneur von Bombay, die Jharijah-
Hnuptlinge durch Vorstellungen über das Abscheuliche des Gebrauchs aufzu¬
klären. Er schloß mit der Drohung, daß die ostindische Compagnie mit Bar¬
baren, die sich mit Ermordung ihrer Töchter befleckten, allen Verkehr abbre¬
chen werde. Der Erfolg seiner Ansprache war gering, man betheuerte seine
Unschuld, gab allerlei schöne Versprechungen und nahm sich in Acht, daß die
Verletzung derselben nicht bekannt wurde. Allmählig jedoch mehrten sich die
Ausnahmen von der traurigen Regel. Einzelne Radschputen, wie der Häupt¬
ling Huttaj, ließen ihre Töchter am Leben. Bei diesem traf Walker zwei
hübsche Mädchen von 6 bis 8 Jahren, welche der Vater mit großer Zärtlich¬
keit aufzog. Sie waren indeß wie Knaben gekleidet, trugen Turbane und ver¬
sicherten, sich ihres Geschlechts entweder schämend oder im Gefühl einer un¬
bestimmten Furcht, daß sie keine Mädchen seien und der Vater dies bezeugen
könne. Noch.jetzt ist der Kindermord unter den Radschputen nicht völlig un¬
terdrückt. Die Sengers sind der einzige Stamm, der, soweit er Audh bewohnt.


gültigkeit, welche das Verbrechen umgaben, erschwerten dessen Verfolgung, und
dieselbe wurde nur da möglich, wo das ermordete Kind vom Familienpriester
in einem Korb fortgetragen und begraben zu werden pflegte, für welchen
Dienst jener ein Geldgeschenk und ein Mahl erhielt. In Kutsch wird das
Kind von der Frau des Hausbrahmanen ermordet. Dieselben Menschen,
welche gleich den alten Pharisäern Mücken seihen, welche sich scheuen in der
Regenzeit umherzuwandern, welche in derselben vorsichtigen Weise den Staub
von ihren Tritten wegfegen, welche den Mund beim Athmen und Sprechen
bedecken, damit kein lebendes Wesen den Tod erleide, welche Krankenhäuser
für Affen errichten und Krokodile hegen und Pflegen, tragen kein Bedenken,
die Neugebornen ihres eignen Geschlechts grausam umzubringen.

Erst in den letzten dreißig Jahren ist es den Bemühungen menschen¬
freundlicher Engländer gelungen, das Uebel auf engere Grenzen zu beschränken.
So wirkte z. B. Oberst Hall unter dem rohen Stamm von Mairwarra mit
Erfolg gegen Kindermord und Weiberverkauf. Beide üble Sitten, schreibt er
1827, hängen eng zusammen, indem sie aus den großen Kosten der Heiraths-
vcrträge hervorgehen. Die Summen, welche der Vater zu zahlen hat, sind
bedeutend und gleich groß für reich und arm. Wie sie zuerst festgestellt wor¬
den sind, weiß Keiner anzugeben, aber sie stehen unabänderlich fest. Hall er¬
wirkte deshalb eine Herabsetzung dieser Summen, und 1847 berichtete sein
Nachfolger. Oberst Dixon. daß der Kindermord seinen Todesstoß durch die
Verminderung der Kosten bei der Verheirathung erhalten habe.

Mit diesen rohen Mairs aber ließ sich leichter zu einem Abkommen ge¬
langen als mit den stolzen Radschputen des centralen und westlichen Indiens.
Man hielt hier jede directe Einmischung für bedenklich, und erst 1831 suchte
Sir John Malcolm, der damalige Gouverneur von Bombay, die Jharijah-
Hnuptlinge durch Vorstellungen über das Abscheuliche des Gebrauchs aufzu¬
klären. Er schloß mit der Drohung, daß die ostindische Compagnie mit Bar¬
baren, die sich mit Ermordung ihrer Töchter befleckten, allen Verkehr abbre¬
chen werde. Der Erfolg seiner Ansprache war gering, man betheuerte seine
Unschuld, gab allerlei schöne Versprechungen und nahm sich in Acht, daß die
Verletzung derselben nicht bekannt wurde. Allmählig jedoch mehrten sich die
Ausnahmen von der traurigen Regel. Einzelne Radschputen, wie der Häupt¬
ling Huttaj, ließen ihre Töchter am Leben. Bei diesem traf Walker zwei
hübsche Mädchen von 6 bis 8 Jahren, welche der Vater mit großer Zärtlich¬
keit aufzog. Sie waren indeß wie Knaben gekleidet, trugen Turbane und ver¬
sicherten, sich ihres Geschlechts entweder schämend oder im Gefühl einer un¬
bestimmten Furcht, daß sie keine Mädchen seien und der Vater dies bezeugen
könne. Noch.jetzt ist der Kindermord unter den Radschputen nicht völlig un¬
terdrückt. Die Sengers sind der einzige Stamm, der, soweit er Audh bewohnt.


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[0396] gültigkeit, welche das Verbrechen umgaben, erschwerten dessen Verfolgung, und dieselbe wurde nur da möglich, wo das ermordete Kind vom Familienpriester in einem Korb fortgetragen und begraben zu werden pflegte, für welchen Dienst jener ein Geldgeschenk und ein Mahl erhielt. In Kutsch wird das Kind von der Frau des Hausbrahmanen ermordet. Dieselben Menschen, welche gleich den alten Pharisäern Mücken seihen, welche sich scheuen in der Regenzeit umherzuwandern, welche in derselben vorsichtigen Weise den Staub von ihren Tritten wegfegen, welche den Mund beim Athmen und Sprechen bedecken, damit kein lebendes Wesen den Tod erleide, welche Krankenhäuser für Affen errichten und Krokodile hegen und Pflegen, tragen kein Bedenken, die Neugebornen ihres eignen Geschlechts grausam umzubringen. Erst in den letzten dreißig Jahren ist es den Bemühungen menschen¬ freundlicher Engländer gelungen, das Uebel auf engere Grenzen zu beschränken. So wirkte z. B. Oberst Hall unter dem rohen Stamm von Mairwarra mit Erfolg gegen Kindermord und Weiberverkauf. Beide üble Sitten, schreibt er 1827, hängen eng zusammen, indem sie aus den großen Kosten der Heiraths- vcrträge hervorgehen. Die Summen, welche der Vater zu zahlen hat, sind bedeutend und gleich groß für reich und arm. Wie sie zuerst festgestellt wor¬ den sind, weiß Keiner anzugeben, aber sie stehen unabänderlich fest. Hall er¬ wirkte deshalb eine Herabsetzung dieser Summen, und 1847 berichtete sein Nachfolger. Oberst Dixon. daß der Kindermord seinen Todesstoß durch die Verminderung der Kosten bei der Verheirathung erhalten habe. Mit diesen rohen Mairs aber ließ sich leichter zu einem Abkommen ge¬ langen als mit den stolzen Radschputen des centralen und westlichen Indiens. Man hielt hier jede directe Einmischung für bedenklich, und erst 1831 suchte Sir John Malcolm, der damalige Gouverneur von Bombay, die Jharijah- Hnuptlinge durch Vorstellungen über das Abscheuliche des Gebrauchs aufzu¬ klären. Er schloß mit der Drohung, daß die ostindische Compagnie mit Bar¬ baren, die sich mit Ermordung ihrer Töchter befleckten, allen Verkehr abbre¬ chen werde. Der Erfolg seiner Ansprache war gering, man betheuerte seine Unschuld, gab allerlei schöne Versprechungen und nahm sich in Acht, daß die Verletzung derselben nicht bekannt wurde. Allmählig jedoch mehrten sich die Ausnahmen von der traurigen Regel. Einzelne Radschputen, wie der Häupt¬ ling Huttaj, ließen ihre Töchter am Leben. Bei diesem traf Walker zwei hübsche Mädchen von 6 bis 8 Jahren, welche der Vater mit großer Zärtlich¬ keit aufzog. Sie waren indeß wie Knaben gekleidet, trugen Turbane und ver¬ sicherten, sich ihres Geschlechts entweder schämend oder im Gefühl einer un¬ bestimmten Furcht, daß sie keine Mädchen seien und der Vater dies bezeugen könne. Noch.jetzt ist der Kindermord unter den Radschputen nicht völlig un¬ terdrückt. Die Sengers sind der einzige Stamm, der, soweit er Audh bewohnt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/396>, abgerufen am 28.12.2024.