Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.Schwert legte. Jetzt erhob sich der Freigraf und sprach in feierlicher Weife Der Kläger bekam in der Regel eine vom Freigrafen unterschriebene und Das war also die heimliche Fehme! Fragen wir zum Schluß, welche 44*
Schwert legte. Jetzt erhob sich der Freigraf und sprach in feierlicher Weife Der Kläger bekam in der Regel eine vom Freigrafen unterschriebene und Das war also die heimliche Fehme! Fragen wir zum Schluß, welche 44*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0357" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112865"/> <p xml:id="ID_1060" prev="#ID_1059"> Schwert legte. Jetzt erhob sich der Freigraf und sprach in feierlicher Weife<lb/> die „letzte schwere Sentenz", die Verfehmung aus: „Da nun vor-mir ver-<lb/> wunnen.(überwunden) ist der verklagte Mann mit Namen N., so nehme ich<lb/> ihn hier aus dem Frieden, dem Rechte und den Freiheiten, die Kaiser Karl<lb/> gesetzt und Papst Leo bestätigt hat und ferner alle Fürsten, Herren, Ritter<lb/> und Knechte, Freien und Freischöffen beschworen haben in dem Lande zu West¬<lb/> falen und Wrf,,ih^n nieder und setze ihn uns alle.iri Frieden, allen Freiheiten<lb/> und Rechten in Königsbann und Wette und in den höchsten Unfrieden und<lb/> Ungnade und mache ihn echtlos, rechtlos, fieberlos. friedelos und untheilhaftig<lb/> «.lies Rechtes und versehene und verführe ihn nach Satzung der heimlichen<lb/> Acht und weihe seinen Hals dem Stricke, seinen Leichnam den Vögeln und<lb/> Thieren in der Luft zu verzehren und befehle seine,.S,e,ele. Gott im Himmel<lb/> Wd setze seine Lehne und Güter ledig dem Herrn, sein Weib zur Wittwe,<lb/> seine. Kinder zu Waisen." Dann warf er einen Weidenstra.ng über sich weg<lb/> aus .dem Gerichte, und alle Freischöffen spieen qus. als ob man einen zur<lb/> Se.unde hinge. Hierauf gebot der Freigraf allen Freigrafen und Freischöffen<lb/> Md.erwähnte sie bei den Eiden, die sie der heimlichen Acht gethan,,^ dH sie,<lb/> sobald sie den verfehrnten Mann ankamen, ihn hängen sollten, an.den zachsten<lb/> Baum, den sie haben möchten, nach all ihrer Macht und Kraft.</p><lb/> <p xml:id="ID_1061"> Der Kläger bekam in der Regel eine vom Freigrafen unterschriebene und<lb/> besiegelte Ausfertigung des Urtheils, womit er sich vor andern Freischöffen<lb/> legitiniiren und ihre Hülfe in Anspruch nehmen konnte. Wo nnn mindestens<lb/> ihrer drei den Verbrecher nntrafen, so daß sie seiner mächtig wurden, da<lb/> nahmen sie ihn, führten ihn zum nächsten Baum und knüpften ihn auf. Zum<lb/> Zeichen, daß die Fehme ihn gerichtet habe, ließ man ihm Alles, was er bei<lb/> sich trug, und steckte ein Messer in den Baum. Vorschrift war, das Urtheil<lb/> geheim zu halten, ja jede Warnung des Verfehmten sollte mit dem Tode be¬<lb/> straft werden, allein diese Vorschrift scheint in der Regel nicht beobachtet zu<lb/> sein; wer vorgeladen war und nicht erschien, wußte ohnehin ja, daß er schließlich<lb/> verfehmt würde. Der Verurtheilte konnte jedoch appelliren an den Kaiser<lb/> oder den Kurfürsten von Cöln, der dann meist die Sache zur Revision an den<lb/> Freistuhl zu Dortmund, hernach an den zu Arnsberg wies. Auch hatten<lb/> beide das Recht, unschuldig Verfehmte wieder in ihre Rechte einzusetzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1062" next="#ID_1063"> Das war also die heimliche Fehme! Fragen wir zum Schluß, welche<lb/> Bedeutung dieselbe für die Aufrechthaltung des Rechtes in Deutschland gehabt<lb/> habe, so lehrt ein vorurtheilsfreier Blick in die Geschichte, daß die Vorstellun¬<lb/> gen von ihrer nie fehlenden Rache, wie sie im Mittelalter und noch heute<lb/> allgemein gangbar waren, völlig übertrieben sind. Wäre ihre Gewalt wirklich<lb/> so furchtbar gewesen, wie man meint, wie hätte denn in Deutschland, wie<lb/> hätte namentlich in Westfalen gerade im 14. und 15. Jahrhundert so unent-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 44*</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0357]
Schwert legte. Jetzt erhob sich der Freigraf und sprach in feierlicher Weife
die „letzte schwere Sentenz", die Verfehmung aus: „Da nun vor-mir ver-
wunnen.(überwunden) ist der verklagte Mann mit Namen N., so nehme ich
ihn hier aus dem Frieden, dem Rechte und den Freiheiten, die Kaiser Karl
gesetzt und Papst Leo bestätigt hat und ferner alle Fürsten, Herren, Ritter
und Knechte, Freien und Freischöffen beschworen haben in dem Lande zu West¬
falen und Wrf,,ih^n nieder und setze ihn uns alle.iri Frieden, allen Freiheiten
und Rechten in Königsbann und Wette und in den höchsten Unfrieden und
Ungnade und mache ihn echtlos, rechtlos, fieberlos. friedelos und untheilhaftig
«.lies Rechtes und versehene und verführe ihn nach Satzung der heimlichen
Acht und weihe seinen Hals dem Stricke, seinen Leichnam den Vögeln und
Thieren in der Luft zu verzehren und befehle seine,.S,e,ele. Gott im Himmel
Wd setze seine Lehne und Güter ledig dem Herrn, sein Weib zur Wittwe,
seine. Kinder zu Waisen." Dann warf er einen Weidenstra.ng über sich weg
aus .dem Gerichte, und alle Freischöffen spieen qus. als ob man einen zur
Se.unde hinge. Hierauf gebot der Freigraf allen Freigrafen und Freischöffen
Md.erwähnte sie bei den Eiden, die sie der heimlichen Acht gethan,,^ dH sie,
sobald sie den verfehrnten Mann ankamen, ihn hängen sollten, an.den zachsten
Baum, den sie haben möchten, nach all ihrer Macht und Kraft.
Der Kläger bekam in der Regel eine vom Freigrafen unterschriebene und
besiegelte Ausfertigung des Urtheils, womit er sich vor andern Freischöffen
legitiniiren und ihre Hülfe in Anspruch nehmen konnte. Wo nnn mindestens
ihrer drei den Verbrecher nntrafen, so daß sie seiner mächtig wurden, da
nahmen sie ihn, führten ihn zum nächsten Baum und knüpften ihn auf. Zum
Zeichen, daß die Fehme ihn gerichtet habe, ließ man ihm Alles, was er bei
sich trug, und steckte ein Messer in den Baum. Vorschrift war, das Urtheil
geheim zu halten, ja jede Warnung des Verfehmten sollte mit dem Tode be¬
straft werden, allein diese Vorschrift scheint in der Regel nicht beobachtet zu
sein; wer vorgeladen war und nicht erschien, wußte ohnehin ja, daß er schließlich
verfehmt würde. Der Verurtheilte konnte jedoch appelliren an den Kaiser
oder den Kurfürsten von Cöln, der dann meist die Sache zur Revision an den
Freistuhl zu Dortmund, hernach an den zu Arnsberg wies. Auch hatten
beide das Recht, unschuldig Verfehmte wieder in ihre Rechte einzusetzen.
Das war also die heimliche Fehme! Fragen wir zum Schluß, welche
Bedeutung dieselbe für die Aufrechthaltung des Rechtes in Deutschland gehabt
habe, so lehrt ein vorurtheilsfreier Blick in die Geschichte, daß die Vorstellun¬
gen von ihrer nie fehlenden Rache, wie sie im Mittelalter und noch heute
allgemein gangbar waren, völlig übertrieben sind. Wäre ihre Gewalt wirklich
so furchtbar gewesen, wie man meint, wie hätte denn in Deutschland, wie
hätte namentlich in Westfalen gerade im 14. und 15. Jahrhundert so unent-
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