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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Gütern, den sogenannten Freistuhlgütern, sowie einen Theil von den am Frei¬
stuhl verhängten Geldbußen. Diejenigen, welche das Recht hatten, dem Kaiser
oder Kurfürsten einen Freigrafen zur Belehnung vorzuschlagen, hießen Stuhl¬
herrn, und der Bezirk, innerhalb dessen ihre Freigrafen ihr Recht ausüben
konnten, Freigrafschaften. Die Stuhlberrschaft war indeß wesentlich verschie¬
den von Landesherrschafr; sie bestand nämlich in nichts Weiterem als in dem
Recht, die vor dem Freistuhl erkannten Bußen und Brüchen (für Versäumen
eines Termins. Ueberrretung der Gerichtsordnung u. tgi.) für sich einzuziehen
und eine gewisse Aufsicht über, die Freistühle des Bezirks zu führen, war also
ein nutzbares Recht, das verkauft, verpfändet, verliehen oder verschenkt werden
konnte. So finden wir denn unter den Stuhlherrn sowol wirkliche Landes¬
herrn, wie die Bischöfe von Münster. Paderborn und Osnabrück, die Grafen
von Ravensberg. von der Mark u. A.. als auch Städte, wie Soest, Dort¬
mund, Münster und auch manche ntterbürtige Gutsbesitzer.

Was die Competenz der Fehmgerichte angeht, so erstreckte sich dieselbe
seit dem Ende des 14. Jahrhunderts über das ganze deutsche Reich, sowol
über die Fürsten wie über ihre Unterthanen; doch sollten Geistliche, Juden und
Weiber nicht vorgeladen werden, eine Bestimmung, die allerdings oft genug zu¬
nächst von den Freigrafen verletzt wurde. Indessen war diese Competenz mehr¬
fach beschränkt, z. B. dadurch, daß sie außerhalb Westfalens nur dann einschreiten
durften, wenn der Kläger vor seinen ordentlichen Gerichten nicht zu seinem
Rechte kommen konnte, entweder weil der Angeklagte sich vor dem Gerichte zu
stellen, oder der Richter ein Urtheil zu fällen sich weigerte. Sie hatten somit
eine subsidiäre Gerichtsbarkeit, die selbst von dem kaiserlichen Reichskammer-
gericht anerkannt wurde, allein gewöhnlich nur zu langwierigen und schließlich
doch resultatlosen Streitigkeiten führte. Ferner sollten sie auch nur über die¬
jenigen Sachen richten, die "Fehmwroge", seien, d. h. vor sie gehörten: das
war allerdings sehr unbestimmt ausgedrückt, aber nicht viel bestimmter ist
jene alte Bestimmung, daß Alles vor die Fehme gehöre, was "gegen die
heiligen 10 Gebote und gegen die Evangelien, gegen Gott. Ehre und Recht"
sei. Allerdings führen außerdem die Rechtsbücher verschiedene grobe Verbrechen
an. die vor das heimliche Gericht gehörten, besonders Verbrechen gegen die
Religion, Mord, Brand, Raub und Diebstahl. Jede Sache aber, sie mochte
noch so geringfügig sein, konnte "fehmwrogig" werden, sobald der Beklagte
vor se.mein ordentlichen Richter sich nicht verantworten wollte; diese Befugniß
beruhte eben daraus, daß die Fehmgerichte höchste kaiserliche Gerichte waren.

Das gerichtliche Verfahren war in den Rcchtsbüchern und Weisthümern
genau vorgezeichnet. Nur in einem einzigen Falle brauchte kein förmliches
Verfahren einzutreten, nämlich "bei habender Hand, blickenden Scheine und
gichtigem Mund", wie es in der alten Sprache hieß: wenn drei oder mehr


Gütern, den sogenannten Freistuhlgütern, sowie einen Theil von den am Frei¬
stuhl verhängten Geldbußen. Diejenigen, welche das Recht hatten, dem Kaiser
oder Kurfürsten einen Freigrafen zur Belehnung vorzuschlagen, hießen Stuhl¬
herrn, und der Bezirk, innerhalb dessen ihre Freigrafen ihr Recht ausüben
konnten, Freigrafschaften. Die Stuhlberrschaft war indeß wesentlich verschie¬
den von Landesherrschafr; sie bestand nämlich in nichts Weiterem als in dem
Recht, die vor dem Freistuhl erkannten Bußen und Brüchen (für Versäumen
eines Termins. Ueberrretung der Gerichtsordnung u. tgi.) für sich einzuziehen
und eine gewisse Aufsicht über, die Freistühle des Bezirks zu führen, war also
ein nutzbares Recht, das verkauft, verpfändet, verliehen oder verschenkt werden
konnte. So finden wir denn unter den Stuhlherrn sowol wirkliche Landes¬
herrn, wie die Bischöfe von Münster. Paderborn und Osnabrück, die Grafen
von Ravensberg. von der Mark u. A.. als auch Städte, wie Soest, Dort¬
mund, Münster und auch manche ntterbürtige Gutsbesitzer.

Was die Competenz der Fehmgerichte angeht, so erstreckte sich dieselbe
seit dem Ende des 14. Jahrhunderts über das ganze deutsche Reich, sowol
über die Fürsten wie über ihre Unterthanen; doch sollten Geistliche, Juden und
Weiber nicht vorgeladen werden, eine Bestimmung, die allerdings oft genug zu¬
nächst von den Freigrafen verletzt wurde. Indessen war diese Competenz mehr¬
fach beschränkt, z. B. dadurch, daß sie außerhalb Westfalens nur dann einschreiten
durften, wenn der Kläger vor seinen ordentlichen Gerichten nicht zu seinem
Rechte kommen konnte, entweder weil der Angeklagte sich vor dem Gerichte zu
stellen, oder der Richter ein Urtheil zu fällen sich weigerte. Sie hatten somit
eine subsidiäre Gerichtsbarkeit, die selbst von dem kaiserlichen Reichskammer-
gericht anerkannt wurde, allein gewöhnlich nur zu langwierigen und schließlich
doch resultatlosen Streitigkeiten führte. Ferner sollten sie auch nur über die¬
jenigen Sachen richten, die „Fehmwroge", seien, d. h. vor sie gehörten: das
war allerdings sehr unbestimmt ausgedrückt, aber nicht viel bestimmter ist
jene alte Bestimmung, daß Alles vor die Fehme gehöre, was „gegen die
heiligen 10 Gebote und gegen die Evangelien, gegen Gott. Ehre und Recht"
sei. Allerdings führen außerdem die Rechtsbücher verschiedene grobe Verbrechen
an. die vor das heimliche Gericht gehörten, besonders Verbrechen gegen die
Religion, Mord, Brand, Raub und Diebstahl. Jede Sache aber, sie mochte
noch so geringfügig sein, konnte „fehmwrogig" werden, sobald der Beklagte
vor se.mein ordentlichen Richter sich nicht verantworten wollte; diese Befugniß
beruhte eben daraus, daß die Fehmgerichte höchste kaiserliche Gerichte waren.

Das gerichtliche Verfahren war in den Rcchtsbüchern und Weisthümern
genau vorgezeichnet. Nur in einem einzigen Falle brauchte kein förmliches
Verfahren einzutreten, nämlich „bei habender Hand, blickenden Scheine und
gichtigem Mund", wie es in der alten Sprache hieß: wenn drei oder mehr


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[0354] Gütern, den sogenannten Freistuhlgütern, sowie einen Theil von den am Frei¬ stuhl verhängten Geldbußen. Diejenigen, welche das Recht hatten, dem Kaiser oder Kurfürsten einen Freigrafen zur Belehnung vorzuschlagen, hießen Stuhl¬ herrn, und der Bezirk, innerhalb dessen ihre Freigrafen ihr Recht ausüben konnten, Freigrafschaften. Die Stuhlberrschaft war indeß wesentlich verschie¬ den von Landesherrschafr; sie bestand nämlich in nichts Weiterem als in dem Recht, die vor dem Freistuhl erkannten Bußen und Brüchen (für Versäumen eines Termins. Ueberrretung der Gerichtsordnung u. tgi.) für sich einzuziehen und eine gewisse Aufsicht über, die Freistühle des Bezirks zu führen, war also ein nutzbares Recht, das verkauft, verpfändet, verliehen oder verschenkt werden konnte. So finden wir denn unter den Stuhlherrn sowol wirkliche Landes¬ herrn, wie die Bischöfe von Münster. Paderborn und Osnabrück, die Grafen von Ravensberg. von der Mark u. A.. als auch Städte, wie Soest, Dort¬ mund, Münster und auch manche ntterbürtige Gutsbesitzer. Was die Competenz der Fehmgerichte angeht, so erstreckte sich dieselbe seit dem Ende des 14. Jahrhunderts über das ganze deutsche Reich, sowol über die Fürsten wie über ihre Unterthanen; doch sollten Geistliche, Juden und Weiber nicht vorgeladen werden, eine Bestimmung, die allerdings oft genug zu¬ nächst von den Freigrafen verletzt wurde. Indessen war diese Competenz mehr¬ fach beschränkt, z. B. dadurch, daß sie außerhalb Westfalens nur dann einschreiten durften, wenn der Kläger vor seinen ordentlichen Gerichten nicht zu seinem Rechte kommen konnte, entweder weil der Angeklagte sich vor dem Gerichte zu stellen, oder der Richter ein Urtheil zu fällen sich weigerte. Sie hatten somit eine subsidiäre Gerichtsbarkeit, die selbst von dem kaiserlichen Reichskammer- gericht anerkannt wurde, allein gewöhnlich nur zu langwierigen und schließlich doch resultatlosen Streitigkeiten führte. Ferner sollten sie auch nur über die¬ jenigen Sachen richten, die „Fehmwroge", seien, d. h. vor sie gehörten: das war allerdings sehr unbestimmt ausgedrückt, aber nicht viel bestimmter ist jene alte Bestimmung, daß Alles vor die Fehme gehöre, was „gegen die heiligen 10 Gebote und gegen die Evangelien, gegen Gott. Ehre und Recht" sei. Allerdings führen außerdem die Rechtsbücher verschiedene grobe Verbrechen an. die vor das heimliche Gericht gehörten, besonders Verbrechen gegen die Religion, Mord, Brand, Raub und Diebstahl. Jede Sache aber, sie mochte noch so geringfügig sein, konnte „fehmwrogig" werden, sobald der Beklagte vor se.mein ordentlichen Richter sich nicht verantworten wollte; diese Befugniß beruhte eben daraus, daß die Fehmgerichte höchste kaiserliche Gerichte waren. Das gerichtliche Verfahren war in den Rcchtsbüchern und Weisthümern genau vorgezeichnet. Nur in einem einzigen Falle brauchte kein förmliches Verfahren einzutreten, nämlich „bei habender Hand, blickenden Scheine und gichtigem Mund", wie es in der alten Sprache hieß: wenn drei oder mehr

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/354>, abgerufen am 29.12.2024.