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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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der Forderungen. Herr von Varnhagen hat sich in seinen letzten Lebens¬
jahren zu den Demokraten gehalten; seine späteren Freunde mögen die folgende
Notiz ins Auge fassen, 23. Januar 1841:

"Die Verhältnisse sind schlimm, und ich kann mit gutem Gewissen auf diese
Zeitumstände keine constitutionelle Bewegung gründen wollen. In der früheren
Zeit wäre ich mit Wilhelm von Humboldt, Stein, Altenstein, Stägemann.
Grüner, Oelsner, Ludwig, Wieland, Weitzel, Eichhorn. Schleiermacher und
vielen Aehnlichen gewesen; mit wem sollte ich jetzt sein? Mit der unwissen¬
den, rohen Menge? mit der überdreisten, erfahrungslosen Jugend, die das
Wort in den Tageblättern führt? Wie häufig muß ich Unsinn und Frevel
anhören, der mich froh sein läßt, daß solcher noch nicht in Schrift und Wort
mächtig werden kann!*)-- Diese Betrachtungen sind es. denen ich folge. Des¬
halb vermag ich im Augenblicke nicht einzustimmen in den unbestimmten Ruf
nach Constitution. nach Reichsständen. Ueberdies Möchte ich dem Könige Zeit
gelassen sehen, sich zu entwickeln und einzurichten. Er meint es vortrefflich, er
hat große geistige Gaben, sehen wir doch erst, was er leisten wird, welche Gestalt
seine Regierung annimmt. Die jetzige Verstimmung kann noch nichts ent¬
scheiden, das Gewölk zieht vielleicht vorüber, und der Tag steht als ein heiterer
und segensvoller da. Ich möchte es dem Könige nicht zu Leide thun, jetzt
von Constitution zu reden; aber wenn nicht dafür, so auch gewiß nicht da¬
gegen; gar nicht, ist für den König am besten." --

Wie gefüllt der Demokratie ein solcher Staatsmann? Er würde allerdings
die Wirren der Gegenwart anders beherrscht haben, als es heute geschieht. --
Und so geht es öfters fort, bald für. bald gegen die Constitution: "gar nicht,
ist am besten!"

Bei diesem Mangel an Gesinnung fehlt auch, trotz seines wirklichen
Scharfsinns und trotz seines vielseitigen Umgangs, seinem Blick für die Per-
sönlichkeiten etwas Wesentliches. Er gibt eigentlich nur die Stimmungen
ihrer Umgebungen; selbständig den Kern ihres Charakters zu durchschauen, ist
er nicht der Mann. Am auffallendsten ist dies bei seinem Urtheil über die
sogenannten Günstlinge des Königs, namentlich Radowip Und Bunsen. Den
Letzteren hält er immer für eine Art von Jesuiten; er läßt sich auch durch die
Kabalen der Hof- und Junkerpärtei gegen ihn nicht irre machen; endlich,
August 1844, erfährt er von Humboldt zu seinem Erstaunen, daß Bunsen aufs
Eifrigste an der Grundlage einer liberalen Verfassung arbeite. Trotzdem darf
Bunsen nur ein ungeschicktes Wort, ein schlechtes Bonmot aussprechen, so ruft
Varnhagen aus (25. November 1844): "Nun bin ich erst recht überzeugt, daß
der Kerl ein verächtlicher Halunk ist. eine Dreckgeburt, ohne inneres Feuer.



') d. h, der mich froh sein läßt, daß eine Censur existirt!
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der Forderungen. Herr von Varnhagen hat sich in seinen letzten Lebens¬
jahren zu den Demokraten gehalten; seine späteren Freunde mögen die folgende
Notiz ins Auge fassen, 23. Januar 1841:

„Die Verhältnisse sind schlimm, und ich kann mit gutem Gewissen auf diese
Zeitumstände keine constitutionelle Bewegung gründen wollen. In der früheren
Zeit wäre ich mit Wilhelm von Humboldt, Stein, Altenstein, Stägemann.
Grüner, Oelsner, Ludwig, Wieland, Weitzel, Eichhorn. Schleiermacher und
vielen Aehnlichen gewesen; mit wem sollte ich jetzt sein? Mit der unwissen¬
den, rohen Menge? mit der überdreisten, erfahrungslosen Jugend, die das
Wort in den Tageblättern führt? Wie häufig muß ich Unsinn und Frevel
anhören, der mich froh sein läßt, daß solcher noch nicht in Schrift und Wort
mächtig werden kann!*)— Diese Betrachtungen sind es. denen ich folge. Des¬
halb vermag ich im Augenblicke nicht einzustimmen in den unbestimmten Ruf
nach Constitution. nach Reichsständen. Ueberdies Möchte ich dem Könige Zeit
gelassen sehen, sich zu entwickeln und einzurichten. Er meint es vortrefflich, er
hat große geistige Gaben, sehen wir doch erst, was er leisten wird, welche Gestalt
seine Regierung annimmt. Die jetzige Verstimmung kann noch nichts ent¬
scheiden, das Gewölk zieht vielleicht vorüber, und der Tag steht als ein heiterer
und segensvoller da. Ich möchte es dem Könige nicht zu Leide thun, jetzt
von Constitution zu reden; aber wenn nicht dafür, so auch gewiß nicht da¬
gegen; gar nicht, ist für den König am besten." —

Wie gefüllt der Demokratie ein solcher Staatsmann? Er würde allerdings
die Wirren der Gegenwart anders beherrscht haben, als es heute geschieht. —
Und so geht es öfters fort, bald für. bald gegen die Constitution: „gar nicht,
ist am besten!"

Bei diesem Mangel an Gesinnung fehlt auch, trotz seines wirklichen
Scharfsinns und trotz seines vielseitigen Umgangs, seinem Blick für die Per-
sönlichkeiten etwas Wesentliches. Er gibt eigentlich nur die Stimmungen
ihrer Umgebungen; selbständig den Kern ihres Charakters zu durchschauen, ist
er nicht der Mann. Am auffallendsten ist dies bei seinem Urtheil über die
sogenannten Günstlinge des Königs, namentlich Radowip Und Bunsen. Den
Letzteren hält er immer für eine Art von Jesuiten; er läßt sich auch durch die
Kabalen der Hof- und Junkerpärtei gegen ihn nicht irre machen; endlich,
August 1844, erfährt er von Humboldt zu seinem Erstaunen, daß Bunsen aufs
Eifrigste an der Grundlage einer liberalen Verfassung arbeite. Trotzdem darf
Bunsen nur ein ungeschicktes Wort, ein schlechtes Bonmot aussprechen, so ruft
Varnhagen aus (25. November 1844): „Nun bin ich erst recht überzeugt, daß
der Kerl ein verächtlicher Halunk ist. eine Dreckgeburt, ohne inneres Feuer.



') d. h, der mich froh sein läßt, daß eine Censur existirt!
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[0333] der Forderungen. Herr von Varnhagen hat sich in seinen letzten Lebens¬ jahren zu den Demokraten gehalten; seine späteren Freunde mögen die folgende Notiz ins Auge fassen, 23. Januar 1841: „Die Verhältnisse sind schlimm, und ich kann mit gutem Gewissen auf diese Zeitumstände keine constitutionelle Bewegung gründen wollen. In der früheren Zeit wäre ich mit Wilhelm von Humboldt, Stein, Altenstein, Stägemann. Grüner, Oelsner, Ludwig, Wieland, Weitzel, Eichhorn. Schleiermacher und vielen Aehnlichen gewesen; mit wem sollte ich jetzt sein? Mit der unwissen¬ den, rohen Menge? mit der überdreisten, erfahrungslosen Jugend, die das Wort in den Tageblättern führt? Wie häufig muß ich Unsinn und Frevel anhören, der mich froh sein läßt, daß solcher noch nicht in Schrift und Wort mächtig werden kann!*)— Diese Betrachtungen sind es. denen ich folge. Des¬ halb vermag ich im Augenblicke nicht einzustimmen in den unbestimmten Ruf nach Constitution. nach Reichsständen. Ueberdies Möchte ich dem Könige Zeit gelassen sehen, sich zu entwickeln und einzurichten. Er meint es vortrefflich, er hat große geistige Gaben, sehen wir doch erst, was er leisten wird, welche Gestalt seine Regierung annimmt. Die jetzige Verstimmung kann noch nichts ent¬ scheiden, das Gewölk zieht vielleicht vorüber, und der Tag steht als ein heiterer und segensvoller da. Ich möchte es dem Könige nicht zu Leide thun, jetzt von Constitution zu reden; aber wenn nicht dafür, so auch gewiß nicht da¬ gegen; gar nicht, ist für den König am besten." — Wie gefüllt der Demokratie ein solcher Staatsmann? Er würde allerdings die Wirren der Gegenwart anders beherrscht haben, als es heute geschieht. — Und so geht es öfters fort, bald für. bald gegen die Constitution: „gar nicht, ist am besten!" Bei diesem Mangel an Gesinnung fehlt auch, trotz seines wirklichen Scharfsinns und trotz seines vielseitigen Umgangs, seinem Blick für die Per- sönlichkeiten etwas Wesentliches. Er gibt eigentlich nur die Stimmungen ihrer Umgebungen; selbständig den Kern ihres Charakters zu durchschauen, ist er nicht der Mann. Am auffallendsten ist dies bei seinem Urtheil über die sogenannten Günstlinge des Königs, namentlich Radowip Und Bunsen. Den Letzteren hält er immer für eine Art von Jesuiten; er läßt sich auch durch die Kabalen der Hof- und Junkerpärtei gegen ihn nicht irre machen; endlich, August 1844, erfährt er von Humboldt zu seinem Erstaunen, daß Bunsen aufs Eifrigste an der Grundlage einer liberalen Verfassung arbeite. Trotzdem darf Bunsen nur ein ungeschicktes Wort, ein schlechtes Bonmot aussprechen, so ruft Varnhagen aus (25. November 1844): „Nun bin ich erst recht überzeugt, daß der Kerl ein verächtlicher Halunk ist. eine Dreckgeburt, ohne inneres Feuer. ') d. h, der mich froh sein läßt, daß eine Censur existirt! 41*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/333>, abgerufen am 23.07.2024.