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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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richtlichen Verfolgungen zu beeilen. Guizot gesteht, daß er nicht ganz streng
nach diesem Grundsätze verfahren ist. Die leicht reizbare Empfindlichkeit seiner
parlamentarischen Freunde nöthigte ihn oft, Verfolgungen zuzulassen, auch
wenn er dieselben nicht gerade billigte. Dann aber war auch die Unterstützung,
die er in der Presse selbst fand, zu unbedeutend, um den befreundeten Zei¬
tungen allein den Kampf zu überlassen. Die Zeitungen scheuten sich, die
Unpopularitüt der Regierung zu theilen. Ludwig Philipp zeichnete die Si¬
tuation trefflich mit den Worten: ^e suis approuve, ains je us suis Ms
ä6kenau. Vor Allem aber gehört zu der unbedingten Anwendbarkeit der von
Guizot aufgestellten Grundsätze eine starke Parteiorganisation. Nur wo ein
Ministerium sich auf eine Partei stützt, die entschlossen ist, mit ihm die Ver¬
antwortlichkeit für seine Maaßregeln zu tragen. kann es ohne Besorgniß die
Presse sich selbst überlassen. Eine officielle Presse ist schon deshalb, weil sie
ihrer Natur nach meist auf die Defensive beschränkt ist, und stets bemüht sein
muß. die Negierung nach keiner Seite hin zu compromittiren, schwächer als
die Oppositionspresse, deren Macht und Wirkung mit ihrer Rücksichtslosigkeit
sich steigert. Ganz anders, wenn hinter der Zeitung, welche die Negierung
vertheidigt, nicht die Regierung selbst, oder irgend eine individuelle Meinung,
sondern das volle Gewicht einer der Regierung verbundnen, wohlorganisirten
Partei steht, welche die Sache der Regierung mit voller Unabhängigkeit als ihre
eigne Sache vertheidigt, und dem Einzelnen die moralische Kraft gibt, sowol
der Mißliebigkeit, wie der UnPopularität zu trotzen.

Nicht minder bedenklich als die Tagespresse wirkte eine zahlreiche Flug¬
schriftenliteratur, wie sie Frankreich schon im Jahre 1790 hatte kennen lernen.
Der Geist derselbe ergibt sich aus den Titeln. z.B. OktseKisme r6vuhlieg.in,
Oeuvres enoiKies ac Rax. liobespierre, OpinionZ ac Loutlron, ^ 1a potenee
les serZeants <te ville u. s. w. Ein geschärftes Gesetz gegen die Ausrufer
solcher Pamphlete schränkt den Unfug wenigstens ein. Kaum ist aber die
Furcht vor der Emeute etwas in den Hintergrund getreten, so machen sich
in der Kammer auch die Wirkungen des tiers-parti auf die Majorität geltend.
Die Bureauwahlen des Jahres 1834 künden schon eine bevorstehende Lockerung
des Verhältnisses zum Ministerium an. Aber die Gefahr, die von Seiten
der Anarchisten drohte, war größer und näher, als man geglaubt hatte. Die
weitverzweigten Verbindungen, die sast alle von dem Comite der Looiete ach
äroits ac l'Komme geleitet wurden, rüsteten sich zum offenbaren Aufstande.
Die Furcht weckte in der Majorität rasch wieder den conservativen Jnstinct,
den das Gefühl der Sicherheit einzuschläfern im Begriff war. Mit großer
Mehrheit wurde ein Gesetz angenommen, nach welchem alle religiösen, lite¬
rarischen, politischen und andern Associationen von der jeden Augenblick
widerruflichen Autorisation der Regierung abhängig gemacht wurden. Guizot.


richtlichen Verfolgungen zu beeilen. Guizot gesteht, daß er nicht ganz streng
nach diesem Grundsätze verfahren ist. Die leicht reizbare Empfindlichkeit seiner
parlamentarischen Freunde nöthigte ihn oft, Verfolgungen zuzulassen, auch
wenn er dieselben nicht gerade billigte. Dann aber war auch die Unterstützung,
die er in der Presse selbst fand, zu unbedeutend, um den befreundeten Zei¬
tungen allein den Kampf zu überlassen. Die Zeitungen scheuten sich, die
Unpopularitüt der Regierung zu theilen. Ludwig Philipp zeichnete die Si¬
tuation trefflich mit den Worten: ^e suis approuve, ains je us suis Ms
ä6kenau. Vor Allem aber gehört zu der unbedingten Anwendbarkeit der von
Guizot aufgestellten Grundsätze eine starke Parteiorganisation. Nur wo ein
Ministerium sich auf eine Partei stützt, die entschlossen ist, mit ihm die Ver¬
antwortlichkeit für seine Maaßregeln zu tragen. kann es ohne Besorgniß die
Presse sich selbst überlassen. Eine officielle Presse ist schon deshalb, weil sie
ihrer Natur nach meist auf die Defensive beschränkt ist, und stets bemüht sein
muß. die Negierung nach keiner Seite hin zu compromittiren, schwächer als
die Oppositionspresse, deren Macht und Wirkung mit ihrer Rücksichtslosigkeit
sich steigert. Ganz anders, wenn hinter der Zeitung, welche die Negierung
vertheidigt, nicht die Regierung selbst, oder irgend eine individuelle Meinung,
sondern das volle Gewicht einer der Regierung verbundnen, wohlorganisirten
Partei steht, welche die Sache der Regierung mit voller Unabhängigkeit als ihre
eigne Sache vertheidigt, und dem Einzelnen die moralische Kraft gibt, sowol
der Mißliebigkeit, wie der UnPopularität zu trotzen.

Nicht minder bedenklich als die Tagespresse wirkte eine zahlreiche Flug¬
schriftenliteratur, wie sie Frankreich schon im Jahre 1790 hatte kennen lernen.
Der Geist derselbe ergibt sich aus den Titeln. z.B. OktseKisme r6vuhlieg.in,
Oeuvres enoiKies ac Rax. liobespierre, OpinionZ ac Loutlron, ^ 1a potenee
les serZeants <te ville u. s. w. Ein geschärftes Gesetz gegen die Ausrufer
solcher Pamphlete schränkt den Unfug wenigstens ein. Kaum ist aber die
Furcht vor der Emeute etwas in den Hintergrund getreten, so machen sich
in der Kammer auch die Wirkungen des tiers-parti auf die Majorität geltend.
Die Bureauwahlen des Jahres 1834 künden schon eine bevorstehende Lockerung
des Verhältnisses zum Ministerium an. Aber die Gefahr, die von Seiten
der Anarchisten drohte, war größer und näher, als man geglaubt hatte. Die
weitverzweigten Verbindungen, die sast alle von dem Comite der Looiete ach
äroits ac l'Komme geleitet wurden, rüsteten sich zum offenbaren Aufstande.
Die Furcht weckte in der Majorität rasch wieder den conservativen Jnstinct,
den das Gefühl der Sicherheit einzuschläfern im Begriff war. Mit großer
Mehrheit wurde ein Gesetz angenommen, nach welchem alle religiösen, lite¬
rarischen, politischen und andern Associationen von der jeden Augenblick
widerruflichen Autorisation der Regierung abhängig gemacht wurden. Guizot.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/318>, abgerufen am 23.07.2024.