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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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ländischen Nationen mitzutheilen versucht. Durch die, von Anfang seiner Herr¬
schaft an begonnene, mit Zähigkeit allmälig fortgeführte und durch die Ver¬
träge mit England und Belgien beinahe vollendete Umgestaltung des fran¬
zösischen Tarifs hat Napoleon der Dritte gezeigt, daß er wirtlich Herr über
Frankreich ist; er hat der volorM nationa-le, die er neben Gottes Gnade als
Quelle seiner Macht erkennt, zum wahren Besten des Landes eine Gewalt
angethan, wie kein früherer Herrscher es gewagt hatte. Preußen dagegen,
das vor mehr als vierzig Jahren einen Tarif aufgestellt hatte, welcher ne¬
ben den damaligen Tarifen sämmtlicher Mauthstaaten als vorzugsweise liberal
erschien, sollte jetzt als das Hinderniß der Verkehrsbcfreiung im Herzen Eu¬
ropas angesehen werden? Preußen hat durch die Ausdehnung seiner Zollgesetz¬
gebung über die meisten deutschen Staaten ein deutsches großes Marktgebiet ge¬
schaffen. Daß die Organisation des Zollvereins eine zeitgemäße Fortbildung des
Tarifs verhinderte, erscheint daneben als ein Uebelstand, der zu ertragen war, und
der die Entwickelung der deutschen Industrie nicht verhindern konnte. Aber
in der Lage, in welche die Verhandlungen mit Frankreich über einen Zoll-
und Handelsvertrag Preußen gebracht haben, kann es nicht bleiben. Es kann
nicht vor Europa sich als den Sündenbock hinstellen lassen, mich nicht hinter
kleinere Sündenböcke sich verstecken, an deren Widerstand die Bemühungen
Frankreichs für die Freiheit des europäischen Verkehrs sich brechen. Wir
glauben gern, daß man in Berlin von dieser Ueberzeugung durchdrungen und
nicht gewillt ist, bei dem Stillstand der Verhandlungen mit Frankreich sich zu
beruhigen und die Hände in den Schooß zu legen. Aber es genügt nicht,
daß man, wie geschehen sein soll, die Vornahme einer materiellen Tarifrevision
empfiehlt. Auch wäre wohl zu überlegen, ob man den revidirten Tarif als
Lockspeise für Zugeständnisse Anderen anbieten soll. Man schafft dadurch von
vornherein Differenzialzölle, während man sich gegen Anwendung von Werth¬
zöllen bei einzelnen Artikeln hartnäckig gewehrt hat. Man operirt mit dem
Köder der "meistbegünstigten Nation", "während gerade das Verhältniß zu
Oestreich als solcher im Anfange der Verhandlungen mit Frankreich eine
Schwierigkeit darbot, die später > wol nur deshalb in den Hintergrund ge-
treten ist. weil noch größere auftauchten, und weil man in Wien kein großes
Gewicht mehr auf weitere Annäherung an den Zollverein in den letzten
Jahren vor Ablauf seiner Verträge zu legen scheint. Doch -- die Erwägung
über den Gebrauch des revidirten Tarifs hat keine Eile, denn die bloße Em¬
pfehlung Preußens, die Revision vorzunehmen, wird ihn nicht zu Stande
bringen. Unseres Erachtens muß Preußen selbst das Nevisionswerk in die
Hand nehmen, es muß nachträglich thun, was vor Eröffnung der Verhand¬
lungen mit Frankreich hätte geschehen sollen. Dadurch erst wird eine Grund¬
lage für die Arbeit der Zolleonferenzen gewonnen, welcher durch die Kündi-


ländischen Nationen mitzutheilen versucht. Durch die, von Anfang seiner Herr¬
schaft an begonnene, mit Zähigkeit allmälig fortgeführte und durch die Ver¬
träge mit England und Belgien beinahe vollendete Umgestaltung des fran¬
zösischen Tarifs hat Napoleon der Dritte gezeigt, daß er wirtlich Herr über
Frankreich ist; er hat der volorM nationa-le, die er neben Gottes Gnade als
Quelle seiner Macht erkennt, zum wahren Besten des Landes eine Gewalt
angethan, wie kein früherer Herrscher es gewagt hatte. Preußen dagegen,
das vor mehr als vierzig Jahren einen Tarif aufgestellt hatte, welcher ne¬
ben den damaligen Tarifen sämmtlicher Mauthstaaten als vorzugsweise liberal
erschien, sollte jetzt als das Hinderniß der Verkehrsbcfreiung im Herzen Eu¬
ropas angesehen werden? Preußen hat durch die Ausdehnung seiner Zollgesetz¬
gebung über die meisten deutschen Staaten ein deutsches großes Marktgebiet ge¬
schaffen. Daß die Organisation des Zollvereins eine zeitgemäße Fortbildung des
Tarifs verhinderte, erscheint daneben als ein Uebelstand, der zu ertragen war, und
der die Entwickelung der deutschen Industrie nicht verhindern konnte. Aber
in der Lage, in welche die Verhandlungen mit Frankreich über einen Zoll-
und Handelsvertrag Preußen gebracht haben, kann es nicht bleiben. Es kann
nicht vor Europa sich als den Sündenbock hinstellen lassen, mich nicht hinter
kleinere Sündenböcke sich verstecken, an deren Widerstand die Bemühungen
Frankreichs für die Freiheit des europäischen Verkehrs sich brechen. Wir
glauben gern, daß man in Berlin von dieser Ueberzeugung durchdrungen und
nicht gewillt ist, bei dem Stillstand der Verhandlungen mit Frankreich sich zu
beruhigen und die Hände in den Schooß zu legen. Aber es genügt nicht,
daß man, wie geschehen sein soll, die Vornahme einer materiellen Tarifrevision
empfiehlt. Auch wäre wohl zu überlegen, ob man den revidirten Tarif als
Lockspeise für Zugeständnisse Anderen anbieten soll. Man schafft dadurch von
vornherein Differenzialzölle, während man sich gegen Anwendung von Werth¬
zöllen bei einzelnen Artikeln hartnäckig gewehrt hat. Man operirt mit dem
Köder der „meistbegünstigten Nation", "während gerade das Verhältniß zu
Oestreich als solcher im Anfange der Verhandlungen mit Frankreich eine
Schwierigkeit darbot, die später > wol nur deshalb in den Hintergrund ge-
treten ist. weil noch größere auftauchten, und weil man in Wien kein großes
Gewicht mehr auf weitere Annäherung an den Zollverein in den letzten
Jahren vor Ablauf seiner Verträge zu legen scheint. Doch — die Erwägung
über den Gebrauch des revidirten Tarifs hat keine Eile, denn die bloße Em¬
pfehlung Preußens, die Revision vorzunehmen, wird ihn nicht zu Stande
bringen. Unseres Erachtens muß Preußen selbst das Nevisionswerk in die
Hand nehmen, es muß nachträglich thun, was vor Eröffnung der Verhand¬
lungen mit Frankreich hätte geschehen sollen. Dadurch erst wird eine Grund¬
lage für die Arbeit der Zolleonferenzen gewonnen, welcher durch die Kündi-


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[0302] ländischen Nationen mitzutheilen versucht. Durch die, von Anfang seiner Herr¬ schaft an begonnene, mit Zähigkeit allmälig fortgeführte und durch die Ver¬ träge mit England und Belgien beinahe vollendete Umgestaltung des fran¬ zösischen Tarifs hat Napoleon der Dritte gezeigt, daß er wirtlich Herr über Frankreich ist; er hat der volorM nationa-le, die er neben Gottes Gnade als Quelle seiner Macht erkennt, zum wahren Besten des Landes eine Gewalt angethan, wie kein früherer Herrscher es gewagt hatte. Preußen dagegen, das vor mehr als vierzig Jahren einen Tarif aufgestellt hatte, welcher ne¬ ben den damaligen Tarifen sämmtlicher Mauthstaaten als vorzugsweise liberal erschien, sollte jetzt als das Hinderniß der Verkehrsbcfreiung im Herzen Eu¬ ropas angesehen werden? Preußen hat durch die Ausdehnung seiner Zollgesetz¬ gebung über die meisten deutschen Staaten ein deutsches großes Marktgebiet ge¬ schaffen. Daß die Organisation des Zollvereins eine zeitgemäße Fortbildung des Tarifs verhinderte, erscheint daneben als ein Uebelstand, der zu ertragen war, und der die Entwickelung der deutschen Industrie nicht verhindern konnte. Aber in der Lage, in welche die Verhandlungen mit Frankreich über einen Zoll- und Handelsvertrag Preußen gebracht haben, kann es nicht bleiben. Es kann nicht vor Europa sich als den Sündenbock hinstellen lassen, mich nicht hinter kleinere Sündenböcke sich verstecken, an deren Widerstand die Bemühungen Frankreichs für die Freiheit des europäischen Verkehrs sich brechen. Wir glauben gern, daß man in Berlin von dieser Ueberzeugung durchdrungen und nicht gewillt ist, bei dem Stillstand der Verhandlungen mit Frankreich sich zu beruhigen und die Hände in den Schooß zu legen. Aber es genügt nicht, daß man, wie geschehen sein soll, die Vornahme einer materiellen Tarifrevision empfiehlt. Auch wäre wohl zu überlegen, ob man den revidirten Tarif als Lockspeise für Zugeständnisse Anderen anbieten soll. Man schafft dadurch von vornherein Differenzialzölle, während man sich gegen Anwendung von Werth¬ zöllen bei einzelnen Artikeln hartnäckig gewehrt hat. Man operirt mit dem Köder der „meistbegünstigten Nation", "während gerade das Verhältniß zu Oestreich als solcher im Anfange der Verhandlungen mit Frankreich eine Schwierigkeit darbot, die später > wol nur deshalb in den Hintergrund ge- treten ist. weil noch größere auftauchten, und weil man in Wien kein großes Gewicht mehr auf weitere Annäherung an den Zollverein in den letzten Jahren vor Ablauf seiner Verträge zu legen scheint. Doch — die Erwägung über den Gebrauch des revidirten Tarifs hat keine Eile, denn die bloße Em¬ pfehlung Preußens, die Revision vorzunehmen, wird ihn nicht zu Stande bringen. Unseres Erachtens muß Preußen selbst das Nevisionswerk in die Hand nehmen, es muß nachträglich thun, was vor Eröffnung der Verhand¬ lungen mit Frankreich hätte geschehen sollen. Dadurch erst wird eine Grund¬ lage für die Arbeit der Zolleonferenzen gewonnen, welcher durch die Kündi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/302>, abgerufen am 27.12.2024.