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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Leben muß in der Kunst noch als Leben erscheinen, und hier ist blos eine
Zusammenstellung unlustiger Menschen. Was Couture berühmt und zum
Meister einer großen Schule gemacht Hot. ist seine Kenntniß des Metiers, vor
Allem sein eigenthümliches Geschick, durch die Modellirung in farbensatten,
zerriebenen Tönen den körperhaften Schein der Wirklichkeit zu erreichen.- Aber
er ist es auch, der die Künstler in dem Hervorheben ihrer subjectiven Geschick-
lichkeit bestärkt und das Beispiel gegeben hat. durch verwickelte Proceduren,
welche die feine und geübte Hand verrathen sollen, Wirkungen anzustreben,
die sich viel einfacher erreichen lassen. Das ist es eben, wodurch sich die neueste
französische Kunst bemerklich machen will: das Talent und die Virtuosität der
bloßen Mache. Und dann, was damit in nahem Zusammenhang steht, das
Bestreben, in der Darstellung den unmittelbaren Naiureindruck wiederzu¬
geben. Also einerseits soll die geistreiche Hand des Künstlers sichtbar sein,
es entsteht der "ein'e"; andrerseits erscheint das Bild um so wahrer, als es
die Form und Bewegung der ganz zufälligen, alltäglichen, von den kleinen
Leiden des Lebens mitgenommenen Wirklichkeit darstellt. Wir können hier
nicht näher darauf eingehen, daß die alten Meister auch diese zu treffen, in¬
dessen durch eine große Behandlung über das Gemeine zu erheben oder in
ein ideales Ganze zu setzen wußten: aber auch so viel ergibt sich auf den ersten
Blick, daß auch hierin die moderne Zeit nichts Neues geschaffen hat. Glück¬
licher Weise wird in vielen Fällen das Heraustreten der künstlerischen Fertigkeit
und der krasse Realismus in der Wahl und Auffassung der Motive durch
einen tüchtigen malerischen Sinn in Schranken gehalten und so, da es an
der großen Kunst sehlt, wenigstens in der kleinen manches Anziehende her¬
vorgebracht.

Indessen hatte sich doch jenes Streben nach realistischer Wahrheit in der
Wahl der Gegenstände sowol als in der Darstellung so tief in die neueste
Kunst eingewurzelt, daß es sich als eigenthümliche grundsätzliche Richtung fest¬
setzte. Gustave Courbet war es, der als Künstler und Doctrinär zugleich
mit einem solchen Materialismus der Kunst eine neue Periode der Malerei
zu gründen meinte. Ein reichbegabtes und nicht oberflächlich gebildetes Ta¬
lent, aber durch die Reflexion über sein Zeitalter und die Sucht, etwas Neues
zu schaffen, auf die seltsamsten Abwege geführt. Im Jahre 1851 erregten
seine lebensgroßen Steinklopfer und das Begräbniß zu Omans das heftigste
Für und Wider der Künstler und Laien: gewöhnliche Menschen in der ganzen
Erdenschwere und Plattheit prosaischer Lebensnoth und Arbeit dargestellt, aus
der groben Wirklichkeit wie herausgeschnitten, reiz- und phantasielos auf die
Leinwand übertragen. Es war eine Kunst, die auf lauter Gegensätzen be¬
ruhte: der Stoss sollte als Rückschlag gegen die geschminkte Sitte und Ver¬
feinerung des Zeitalters, die Wahrheit des niederen Lebens gegen die ge-


Leben muß in der Kunst noch als Leben erscheinen, und hier ist blos eine
Zusammenstellung unlustiger Menschen. Was Couture berühmt und zum
Meister einer großen Schule gemacht Hot. ist seine Kenntniß des Metiers, vor
Allem sein eigenthümliches Geschick, durch die Modellirung in farbensatten,
zerriebenen Tönen den körperhaften Schein der Wirklichkeit zu erreichen.- Aber
er ist es auch, der die Künstler in dem Hervorheben ihrer subjectiven Geschick-
lichkeit bestärkt und das Beispiel gegeben hat. durch verwickelte Proceduren,
welche die feine und geübte Hand verrathen sollen, Wirkungen anzustreben,
die sich viel einfacher erreichen lassen. Das ist es eben, wodurch sich die neueste
französische Kunst bemerklich machen will: das Talent und die Virtuosität der
bloßen Mache. Und dann, was damit in nahem Zusammenhang steht, das
Bestreben, in der Darstellung den unmittelbaren Naiureindruck wiederzu¬
geben. Also einerseits soll die geistreiche Hand des Künstlers sichtbar sein,
es entsteht der „ein'e"; andrerseits erscheint das Bild um so wahrer, als es
die Form und Bewegung der ganz zufälligen, alltäglichen, von den kleinen
Leiden des Lebens mitgenommenen Wirklichkeit darstellt. Wir können hier
nicht näher darauf eingehen, daß die alten Meister auch diese zu treffen, in¬
dessen durch eine große Behandlung über das Gemeine zu erheben oder in
ein ideales Ganze zu setzen wußten: aber auch so viel ergibt sich auf den ersten
Blick, daß auch hierin die moderne Zeit nichts Neues geschaffen hat. Glück¬
licher Weise wird in vielen Fällen das Heraustreten der künstlerischen Fertigkeit
und der krasse Realismus in der Wahl und Auffassung der Motive durch
einen tüchtigen malerischen Sinn in Schranken gehalten und so, da es an
der großen Kunst sehlt, wenigstens in der kleinen manches Anziehende her¬
vorgebracht.

Indessen hatte sich doch jenes Streben nach realistischer Wahrheit in der
Wahl der Gegenstände sowol als in der Darstellung so tief in die neueste
Kunst eingewurzelt, daß es sich als eigenthümliche grundsätzliche Richtung fest¬
setzte. Gustave Courbet war es, der als Künstler und Doctrinär zugleich
mit einem solchen Materialismus der Kunst eine neue Periode der Malerei
zu gründen meinte. Ein reichbegabtes und nicht oberflächlich gebildetes Ta¬
lent, aber durch die Reflexion über sein Zeitalter und die Sucht, etwas Neues
zu schaffen, auf die seltsamsten Abwege geführt. Im Jahre 1851 erregten
seine lebensgroßen Steinklopfer und das Begräbniß zu Omans das heftigste
Für und Wider der Künstler und Laien: gewöhnliche Menschen in der ganzen
Erdenschwere und Plattheit prosaischer Lebensnoth und Arbeit dargestellt, aus
der groben Wirklichkeit wie herausgeschnitten, reiz- und phantasielos auf die
Leinwand übertragen. Es war eine Kunst, die auf lauter Gegensätzen be¬
ruhte: der Stoss sollte als Rückschlag gegen die geschminkte Sitte und Ver¬
feinerung des Zeitalters, die Wahrheit des niederen Lebens gegen die ge-


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[0270] Leben muß in der Kunst noch als Leben erscheinen, und hier ist blos eine Zusammenstellung unlustiger Menschen. Was Couture berühmt und zum Meister einer großen Schule gemacht Hot. ist seine Kenntniß des Metiers, vor Allem sein eigenthümliches Geschick, durch die Modellirung in farbensatten, zerriebenen Tönen den körperhaften Schein der Wirklichkeit zu erreichen.- Aber er ist es auch, der die Künstler in dem Hervorheben ihrer subjectiven Geschick- lichkeit bestärkt und das Beispiel gegeben hat. durch verwickelte Proceduren, welche die feine und geübte Hand verrathen sollen, Wirkungen anzustreben, die sich viel einfacher erreichen lassen. Das ist es eben, wodurch sich die neueste französische Kunst bemerklich machen will: das Talent und die Virtuosität der bloßen Mache. Und dann, was damit in nahem Zusammenhang steht, das Bestreben, in der Darstellung den unmittelbaren Naiureindruck wiederzu¬ geben. Also einerseits soll die geistreiche Hand des Künstlers sichtbar sein, es entsteht der „ein'e"; andrerseits erscheint das Bild um so wahrer, als es die Form und Bewegung der ganz zufälligen, alltäglichen, von den kleinen Leiden des Lebens mitgenommenen Wirklichkeit darstellt. Wir können hier nicht näher darauf eingehen, daß die alten Meister auch diese zu treffen, in¬ dessen durch eine große Behandlung über das Gemeine zu erheben oder in ein ideales Ganze zu setzen wußten: aber auch so viel ergibt sich auf den ersten Blick, daß auch hierin die moderne Zeit nichts Neues geschaffen hat. Glück¬ licher Weise wird in vielen Fällen das Heraustreten der künstlerischen Fertigkeit und der krasse Realismus in der Wahl und Auffassung der Motive durch einen tüchtigen malerischen Sinn in Schranken gehalten und so, da es an der großen Kunst sehlt, wenigstens in der kleinen manches Anziehende her¬ vorgebracht. Indessen hatte sich doch jenes Streben nach realistischer Wahrheit in der Wahl der Gegenstände sowol als in der Darstellung so tief in die neueste Kunst eingewurzelt, daß es sich als eigenthümliche grundsätzliche Richtung fest¬ setzte. Gustave Courbet war es, der als Künstler und Doctrinär zugleich mit einem solchen Materialismus der Kunst eine neue Periode der Malerei zu gründen meinte. Ein reichbegabtes und nicht oberflächlich gebildetes Ta¬ lent, aber durch die Reflexion über sein Zeitalter und die Sucht, etwas Neues zu schaffen, auf die seltsamsten Abwege geführt. Im Jahre 1851 erregten seine lebensgroßen Steinklopfer und das Begräbniß zu Omans das heftigste Für und Wider der Künstler und Laien: gewöhnliche Menschen in der ganzen Erdenschwere und Plattheit prosaischer Lebensnoth und Arbeit dargestellt, aus der groben Wirklichkeit wie herausgeschnitten, reiz- und phantasielos auf die Leinwand übertragen. Es war eine Kunst, die auf lauter Gegensätzen be¬ ruhte: der Stoss sollte als Rückschlag gegen die geschminkte Sitte und Ver¬ feinerung des Zeitalters, die Wahrheit des niederen Lebens gegen die ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/270>, abgerufen am 29.12.2024.