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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Reiz des Costüms und Geräthes immer breiter hervor; unter den Figuren
ist nur selten noch eine charaktervolle Persönlichkeit, und das innere Leben ist
unter der Masse und Pracht der Stoffe verschüttet. Die Gestalten sind keine
erfüllten Menschen, es sind angezogene Modelle, im günstigen Falle durch
materielle und zeitliche Eigenthümlichkeit, die äußere Situation charakterisiert.
Die Blätter der Geschichte werden nach kleinen interessanten Vorfällen durch¬
stöbert, und diese keck, geistreich, mit eigenthümlichen Farben reich zu behan¬
deln, wird immer mehr zur eigentlichen Aufgabe. Hier sind Eugöne Jsa-
bey und Camille Roqueplan zu nennen, die sich auch als Marinemaler
Ruf erworben haben. In neuester Zeit thun sich in einer solchen genrearti¬
gen Behandlung historischer Motive vornehmlich Cduard Hammam, Ernest
Hillemacher. Henri Rodakowski, Hsgesippe Vetter hervor. Fast
alle diese Maler holen auch gern ihre Motive aus den bcrühnuen Ateliers
früherer Jahrhunderte; und dabei kommt es ihnen nicht minder auf das
Spiel der Farben, das lebendige Scheinen und schimmern der Stoffe.
Waffen und Geräthe an, als auf die Darstellung von Glück und Leid der
künstlerischen Existenz. Es liegt auf der Hand, daß hier die Grenzen des
geschichtlichen und reinen Genre zu verschwimmen beginnen : das Thatsächliche
schwindet zu so geringer Bedeutung zusammen, daß nicht selten die particu'
lären Züge des alltäglichen Daseins, das gattungsmäßige Leben der Indi¬
viduen zur Hauptsache werden.

So geht das historische Genre in eine Schilderung der Lebensweise, der
Sitten, Trachten der verschiedenen Zeitalter über. Der Beschauer soll sehen,
wie behaglich sich der Maler in vergangenen Perioden einzurichten weiß, aber
auch, was des Lebens Brauch in dieser und jener Zeit gewesen ist. wie heiter
und malerisch sich die eine und andere in ihrer eigenthümlichen Bestimmtheit
anließ. Es versteht sich, daß hier auf die historisch treue Darstellung der
Culturformen Gewicht gelegt wird, der Künstler soll sich die archäologischen
und ethnographischen Studien der Neuzeit zu Nutze machen. Natürlich wird,
je nachdem derselbe mehr oder weniger Phantasie hat, bald mehr eine ge¬
müthliche Beziehung der Personen innerhalb der Umgebung der verflossenen
Zeit, bald mehr das Außenwerk hervortreten.

In neuester Zeit ist. wie schon angedeutet, in dieser Weise das Alter¬
thum zum Gegenstand des Genre geworden: das heroische Zeitalter soll uns
w der einfachen Erscheinung des alltäglichen Daseins vertraut werden. Es
sind besonders Schüler von Delaroche. welche in diesem Fache sich auszeichnen.:
mit der realistischen Wahrheit in der Bewegung und im Beiwerk suchen sie
eine feine Vollendung der Form zu verbinden. An der Spade dieser Gruppe
steht L6on G6r6me. ein wirkliches Talent, dem indessen größere historische
Kompositionen nicht gelingen wollen (is siecle ä'^uMste). Die geschickt-


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Reiz des Costüms und Geräthes immer breiter hervor; unter den Figuren
ist nur selten noch eine charaktervolle Persönlichkeit, und das innere Leben ist
unter der Masse und Pracht der Stoffe verschüttet. Die Gestalten sind keine
erfüllten Menschen, es sind angezogene Modelle, im günstigen Falle durch
materielle und zeitliche Eigenthümlichkeit, die äußere Situation charakterisiert.
Die Blätter der Geschichte werden nach kleinen interessanten Vorfällen durch¬
stöbert, und diese keck, geistreich, mit eigenthümlichen Farben reich zu behan¬
deln, wird immer mehr zur eigentlichen Aufgabe. Hier sind Eugöne Jsa-
bey und Camille Roqueplan zu nennen, die sich auch als Marinemaler
Ruf erworben haben. In neuester Zeit thun sich in einer solchen genrearti¬
gen Behandlung historischer Motive vornehmlich Cduard Hammam, Ernest
Hillemacher. Henri Rodakowski, Hsgesippe Vetter hervor. Fast
alle diese Maler holen auch gern ihre Motive aus den bcrühnuen Ateliers
früherer Jahrhunderte; und dabei kommt es ihnen nicht minder auf das
Spiel der Farben, das lebendige Scheinen und schimmern der Stoffe.
Waffen und Geräthe an, als auf die Darstellung von Glück und Leid der
künstlerischen Existenz. Es liegt auf der Hand, daß hier die Grenzen des
geschichtlichen und reinen Genre zu verschwimmen beginnen : das Thatsächliche
schwindet zu so geringer Bedeutung zusammen, daß nicht selten die particu'
lären Züge des alltäglichen Daseins, das gattungsmäßige Leben der Indi¬
viduen zur Hauptsache werden.

So geht das historische Genre in eine Schilderung der Lebensweise, der
Sitten, Trachten der verschiedenen Zeitalter über. Der Beschauer soll sehen,
wie behaglich sich der Maler in vergangenen Perioden einzurichten weiß, aber
auch, was des Lebens Brauch in dieser und jener Zeit gewesen ist. wie heiter
und malerisch sich die eine und andere in ihrer eigenthümlichen Bestimmtheit
anließ. Es versteht sich, daß hier auf die historisch treue Darstellung der
Culturformen Gewicht gelegt wird, der Künstler soll sich die archäologischen
und ethnographischen Studien der Neuzeit zu Nutze machen. Natürlich wird,
je nachdem derselbe mehr oder weniger Phantasie hat, bald mehr eine ge¬
müthliche Beziehung der Personen innerhalb der Umgebung der verflossenen
Zeit, bald mehr das Außenwerk hervortreten.

In neuester Zeit ist. wie schon angedeutet, in dieser Weise das Alter¬
thum zum Gegenstand des Genre geworden: das heroische Zeitalter soll uns
w der einfachen Erscheinung des alltäglichen Daseins vertraut werden. Es
sind besonders Schüler von Delaroche. welche in diesem Fache sich auszeichnen.:
mit der realistischen Wahrheit in der Bewegung und im Beiwerk suchen sie
eine feine Vollendung der Form zu verbinden. An der Spade dieser Gruppe
steht L6on G6r6me. ein wirkliches Talent, dem indessen größere historische
Kompositionen nicht gelingen wollen (is siecle ä'^uMste). Die geschickt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/261>, abgerufen am 23.07.2024.