Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.an die Stelle der in die Geschichte eingezeichneten Individuen das Thun und In den dreißiger und vierziger Jahren wirkt die Romantik noch fort; es Wohl tritt nun im geschichtlichen Sittenbilde das Häßliche immer mehr an die Stelle der in die Geschichte eingezeichneten Individuen das Thun und In den dreißiger und vierziger Jahren wirkt die Romantik noch fort; es Wohl tritt nun im geschichtlichen Sittenbilde das Häßliche immer mehr <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0260" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112768"/> <p xml:id="ID_769" prev="#ID_768"> an die Stelle der in die Geschichte eingezeichneten Individuen das Thun und<lb/> Leiden der Gattung tritt. Zugleich wird das Leben der großen Künstler und<lb/> Dichter, der Verfechter der geistigen Entwicklung in noch größerer Ausdehnung<lb/> als bisher Gegenstand der Malerei; Hand in Hand mit der Zeitrichtung,<lb/> welche ein tieferes Verständniß der Kunstwerke durch das Eindringen in die<lb/> Privatexistenz ihrer Urheber zu erreichen sucht. In immer weiteren Kreisen<lb/> umfaßt die Kunst die vergangene Wirklichkeit, und in gleichem Maaße fortschrei¬<lb/> tend tritt die Zersplitterung ein, von der früher die Rede gewesen: seit De-<lb/> laroche hat sich die Malerei nicht wieder in einer großen Kraft zur Spitze<lb/> zusammengefaßt. Zugleich schwindet immer mehr das Interesse für den In¬<lb/> halt der Stoffe: die malerische Erscheinung, die Wahrheit der äußeren Be¬<lb/> wegung, der Reichthum des farbigen Lebens wird zur Hauptsache, und der Ge¬<lb/> genstand ist der beste, welcher der gewandten und kundigen Hand des Künst¬<lb/> lers das freieste Spiel läßt.,, .> ,,.,ji,„z„^„. „".,.</p><lb/> <p xml:id="ID_770"> In den dreißiger und vierziger Jahren wirkt die Romantik noch fort; es<lb/> fehlt nicht an friedlichen Scenen, aber noch sind das Erschütternde und Furcht¬<lb/> bare, Gräuclmomente, Kerker, Marter und Tod an der Tagesordnung. Nach<lb/> einer Reihe älterer, nun schon halb verschollener Namen — zu den bekannte¬<lb/> sten gehören Saint-Evre und Monvoisin — tritt eine zweite Generation<lb/> auf, die sich um Delaroche gruppirt; sie sucht ihren Darstellungen eine größere<lb/> Freiheit der Bewegung, Schärfe des Ausdrucks, tiefere Wärme der Farbe zu<lb/> geben. Voran Nicolas Ro dert-Fleury (sein bestes Bild im Luxemburg:<lb/> 1.6 colloauc <1e koiss^). In der Scene aus der Bartholomäusnacht und der<lb/> zur öffentlichen Buße verurtheilten Jane Shore ist es auf eine grelle Wirkung<lb/> abgesehen, die dann auch durch eine talentvolle und energische Ausführung<lb/> zum Theil erreicht wird. Es ist mit derartigen Bildern ein ähnlicher Fall<lb/> wie mit den Romanen von Sue und Dumas: die Phantasie wird künstlich<lb/> erhitzt und durch die täuschende Wahrheit der äußern Realität in einer unfreien<lb/> Spannung erhalten. Ein milderes, aber weniger hervorstechendes Talent ist<lb/> Fleury's Schüler: Charles Comte (bekanntestes Wert: Heinrich III. und<lb/> der Herzog von Guise); ihm ist es schon weniger um ergreifenden Ausdruck,<lb/> als die bunte Pracht vergangener Jahrhunderte zu thun. An sie schließt sich<lb/> Claudius Jacquand aus der alten Lyoner Schule: matt und gezwungen,<lb/> wo er eine Empfindung ausdrücken will, ziemlich geschickt in dem malerischen<lb/> Durcheinander der Geräthe, in der Bewegung noch in der Steifheit der früheren<lb/> historischen Kunst befangen.</p><lb/> <p xml:id="ID_771" next="#ID_772"> Wohl tritt nun im geschichtlichen Sittenbilde das Häßliche immer mehr<lb/> zurück, das die Romantik grell in ihre Bilder hineingestellt hatte, ohne es<lb/> in den Fluß des beziehungsreicher Lebens aufzulösen, in welchem es durch<lb/> das Schöne sich ergänzt. Aber zugleich drängt sich auch der blos malerische</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0260]
an die Stelle der in die Geschichte eingezeichneten Individuen das Thun und
Leiden der Gattung tritt. Zugleich wird das Leben der großen Künstler und
Dichter, der Verfechter der geistigen Entwicklung in noch größerer Ausdehnung
als bisher Gegenstand der Malerei; Hand in Hand mit der Zeitrichtung,
welche ein tieferes Verständniß der Kunstwerke durch das Eindringen in die
Privatexistenz ihrer Urheber zu erreichen sucht. In immer weiteren Kreisen
umfaßt die Kunst die vergangene Wirklichkeit, und in gleichem Maaße fortschrei¬
tend tritt die Zersplitterung ein, von der früher die Rede gewesen: seit De-
laroche hat sich die Malerei nicht wieder in einer großen Kraft zur Spitze
zusammengefaßt. Zugleich schwindet immer mehr das Interesse für den In¬
halt der Stoffe: die malerische Erscheinung, die Wahrheit der äußeren Be¬
wegung, der Reichthum des farbigen Lebens wird zur Hauptsache, und der Ge¬
genstand ist der beste, welcher der gewandten und kundigen Hand des Künst¬
lers das freieste Spiel läßt.,, .> ,,.,ji,„z„^„. „".,.
In den dreißiger und vierziger Jahren wirkt die Romantik noch fort; es
fehlt nicht an friedlichen Scenen, aber noch sind das Erschütternde und Furcht¬
bare, Gräuclmomente, Kerker, Marter und Tod an der Tagesordnung. Nach
einer Reihe älterer, nun schon halb verschollener Namen — zu den bekannte¬
sten gehören Saint-Evre und Monvoisin — tritt eine zweite Generation
auf, die sich um Delaroche gruppirt; sie sucht ihren Darstellungen eine größere
Freiheit der Bewegung, Schärfe des Ausdrucks, tiefere Wärme der Farbe zu
geben. Voran Nicolas Ro dert-Fleury (sein bestes Bild im Luxemburg:
1.6 colloauc <1e koiss^). In der Scene aus der Bartholomäusnacht und der
zur öffentlichen Buße verurtheilten Jane Shore ist es auf eine grelle Wirkung
abgesehen, die dann auch durch eine talentvolle und energische Ausführung
zum Theil erreicht wird. Es ist mit derartigen Bildern ein ähnlicher Fall
wie mit den Romanen von Sue und Dumas: die Phantasie wird künstlich
erhitzt und durch die täuschende Wahrheit der äußern Realität in einer unfreien
Spannung erhalten. Ein milderes, aber weniger hervorstechendes Talent ist
Fleury's Schüler: Charles Comte (bekanntestes Wert: Heinrich III. und
der Herzog von Guise); ihm ist es schon weniger um ergreifenden Ausdruck,
als die bunte Pracht vergangener Jahrhunderte zu thun. An sie schließt sich
Claudius Jacquand aus der alten Lyoner Schule: matt und gezwungen,
wo er eine Empfindung ausdrücken will, ziemlich geschickt in dem malerischen
Durcheinander der Geräthe, in der Bewegung noch in der Steifheit der früheren
historischen Kunst befangen.
Wohl tritt nun im geschichtlichen Sittenbilde das Häßliche immer mehr
zurück, das die Romantik grell in ihre Bilder hineingestellt hatte, ohne es
in den Fluß des beziehungsreicher Lebens aufzulösen, in welchem es durch
das Schöne sich ergänzt. Aber zugleich drängt sich auch der blos malerische
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