Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ihren Werken nothwendig in Unsittlichkeit; denn Unsittlichkeit ist nichts Anderes,
als der Atomismus des Willens. Nicht etwa, daß solche Dichter daraus aus¬
gehen, die Sittlichkeit durch ihre Schöpfungen zu untergraben, im Gegentheil
haben sie oft die beste Absicht, tugendhafte Menschen zu schildern, aber weil
ihnen der Kern der schöpferischen Kraft abgeht, werden meistens daraus Fi¬
guren, die, wie Kotzebue's Eulalia, im entscheidenden Augenblick sagen: "Sie
stoßen da auf eine Unbegreiflichkeit in meiner Geschichte/' Man hat in jedem
Augenblick die Empfindung, daß sie eben so gut das Gegentheil von dem
thun könnten, was sie wirklich thun. Es ist in ihnen, wie gesagt, keine Seele,
sie tragen kein Gesetz der inneren Nothwendigkeit in sich.

Was Gutzkow von den übrigen Poeten dieser Art unterscheidet, ist, daß
seine Bildung und sein Scharfsinn so weit geht, ihm auf Augenblicke die Er¬
bärmlichkeit seines Helden klar zu machen; in solchen Augenblicken nimmt er
den Anschein eines Satirikers an, den er aber in der nächsten Stunde über
neuen Eindrücken, neuen Empfindungen, wieder vergißt. Solche Züge finden
sich auch in dem "Zauberer von Rom" mehrfach, und Figuren, wie Schlurf
und Ströhmer in den "Rittern vom Geist", in denen sich wirklich einig"
brillante Einfälle finden, sehen ganz aus wie eine Satire auf seine eigenen
Schöpfungen; aber sabald er sich zusammenrafft, um einen tüchtigen Menschen
zu schildern, wird wieder ein Schlurk oder Ströhmer daraus, nur in anderem
Costüm. ^ulv ni,," ' ,.:,.,,^i->-n 'kann? ,-,,'-> ketten chi rtmvi' ,f,W-jlM

Wer nicht von innerer Nothwendigkeit ausgeht, verfällt dem Zwang der
äußeren Umstände, d. h. dem Atomismus, und man wird an den, vierten
König in Goethe's Märchen erinnert, der, sobald ihm die Irrlichter die Gold¬
adern aussaugen, in einen lächerlichen und unförmlichen Klumpen zusammen¬
fällt. Eine solche Gemüthsstimmung ist auch der wahren Satire nicht "rich¬
tig, denn auch diese verlangt ein festes Maß der Seele, das man anch im
Uebermuth nicht aus den Augen setzt. Gutzkow, in seinem innersten Wesen
ein Anempfinder, bemüht sich durchweg., sich selber in Rührung zu sprechen.
Er lauscht gewissermaßen mit Behagen dem Klang seiner Worte. Nun wird
er aber gleichzeitig von unzähligen sich widersprechenden Gedanken und Em¬
pfindungen heimgesucht, und da er keinem derselben Widerstand zu leisten ver¬
mag, widerfährt ihm fast durchweg, daß er das Ungehörigste in den Vorder¬
grund schiebt, daß seine Rührung plötzlich in blasirte oder gar in faunische
Stimmung überspringt, und daß seine Satire in schwächlicher, empfindsamer
Julian Schmidt. Rührung verklingt.




ihren Werken nothwendig in Unsittlichkeit; denn Unsittlichkeit ist nichts Anderes,
als der Atomismus des Willens. Nicht etwa, daß solche Dichter daraus aus¬
gehen, die Sittlichkeit durch ihre Schöpfungen zu untergraben, im Gegentheil
haben sie oft die beste Absicht, tugendhafte Menschen zu schildern, aber weil
ihnen der Kern der schöpferischen Kraft abgeht, werden meistens daraus Fi¬
guren, die, wie Kotzebue's Eulalia, im entscheidenden Augenblick sagen: „Sie
stoßen da auf eine Unbegreiflichkeit in meiner Geschichte/' Man hat in jedem
Augenblick die Empfindung, daß sie eben so gut das Gegentheil von dem
thun könnten, was sie wirklich thun. Es ist in ihnen, wie gesagt, keine Seele,
sie tragen kein Gesetz der inneren Nothwendigkeit in sich.

Was Gutzkow von den übrigen Poeten dieser Art unterscheidet, ist, daß
seine Bildung und sein Scharfsinn so weit geht, ihm auf Augenblicke die Er¬
bärmlichkeit seines Helden klar zu machen; in solchen Augenblicken nimmt er
den Anschein eines Satirikers an, den er aber in der nächsten Stunde über
neuen Eindrücken, neuen Empfindungen, wieder vergißt. Solche Züge finden
sich auch in dem „Zauberer von Rom" mehrfach, und Figuren, wie Schlurf
und Ströhmer in den „Rittern vom Geist", in denen sich wirklich einig«
brillante Einfälle finden, sehen ganz aus wie eine Satire auf seine eigenen
Schöpfungen; aber sabald er sich zusammenrafft, um einen tüchtigen Menschen
zu schildern, wird wieder ein Schlurk oder Ströhmer daraus, nur in anderem
Costüm. ^ulv ni,,„ ' ,.:,.,,^i->-n 'kann? ,-,,'-> ketten chi rtmvi' ,f,W-jlM

Wer nicht von innerer Nothwendigkeit ausgeht, verfällt dem Zwang der
äußeren Umstände, d. h. dem Atomismus, und man wird an den, vierten
König in Goethe's Märchen erinnert, der, sobald ihm die Irrlichter die Gold¬
adern aussaugen, in einen lächerlichen und unförmlichen Klumpen zusammen¬
fällt. Eine solche Gemüthsstimmung ist auch der wahren Satire nicht »rich¬
tig, denn auch diese verlangt ein festes Maß der Seele, das man anch im
Uebermuth nicht aus den Augen setzt. Gutzkow, in seinem innersten Wesen
ein Anempfinder, bemüht sich durchweg., sich selber in Rührung zu sprechen.
Er lauscht gewissermaßen mit Behagen dem Klang seiner Worte. Nun wird
er aber gleichzeitig von unzähligen sich widersprechenden Gedanken und Em¬
pfindungen heimgesucht, und da er keinem derselben Widerstand zu leisten ver¬
mag, widerfährt ihm fast durchweg, daß er das Ungehörigste in den Vorder¬
grund schiebt, daß seine Rührung plötzlich in blasirte oder gar in faunische
Stimmung überspringt, und daß seine Satire in schwächlicher, empfindsamer
Julian Schmidt. Rührung verklingt.




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0258" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112766"/>
          <p xml:id="ID_764" prev="#ID_763"> ihren Werken nothwendig in Unsittlichkeit; denn Unsittlichkeit ist nichts Anderes,<lb/>
als der Atomismus des Willens. Nicht etwa, daß solche Dichter daraus aus¬<lb/>
gehen, die Sittlichkeit durch ihre Schöpfungen zu untergraben, im Gegentheil<lb/>
haben sie oft die beste Absicht, tugendhafte Menschen zu schildern, aber weil<lb/>
ihnen der Kern der schöpferischen Kraft abgeht, werden meistens daraus Fi¬<lb/>
guren, die, wie Kotzebue's Eulalia, im entscheidenden Augenblick sagen: &#x201E;Sie<lb/>
stoßen da auf eine Unbegreiflichkeit in meiner Geschichte/' Man hat in jedem<lb/>
Augenblick die Empfindung, daß sie eben so gut das Gegentheil von dem<lb/>
thun könnten, was sie wirklich thun. Es ist in ihnen, wie gesagt, keine Seele,<lb/>
sie tragen kein Gesetz der inneren Nothwendigkeit in sich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_765"> Was Gutzkow von den übrigen Poeten dieser Art unterscheidet, ist, daß<lb/>
seine Bildung und sein Scharfsinn so weit geht, ihm auf Augenblicke die Er¬<lb/>
bärmlichkeit seines Helden klar zu machen; in solchen Augenblicken nimmt er<lb/>
den Anschein eines Satirikers an, den er aber in der nächsten Stunde über<lb/>
neuen Eindrücken, neuen Empfindungen, wieder vergißt. Solche Züge finden<lb/>
sich auch in dem &#x201E;Zauberer von Rom" mehrfach, und Figuren, wie Schlurf<lb/>
und Ströhmer in den &#x201E;Rittern vom Geist", in denen sich wirklich einig«<lb/>
brillante Einfälle finden, sehen ganz aus wie eine Satire auf seine eigenen<lb/>
Schöpfungen; aber sabald er sich zusammenrafft, um einen tüchtigen Menschen<lb/>
zu schildern, wird wieder ein Schlurk oder Ströhmer daraus, nur in anderem<lb/>
Costüm. ^ulv ni,,&#x201E; ' ,.:,.,,^i-&gt;-n 'kann? ,-,,'-&gt; ketten chi rtmvi' ,f,W-jlM</p><lb/>
          <p xml:id="ID_766"> Wer nicht von innerer Nothwendigkeit ausgeht, verfällt dem Zwang der<lb/>
äußeren Umstände, d. h. dem Atomismus, und man wird an den, vierten<lb/>
König in Goethe's Märchen erinnert, der, sobald ihm die Irrlichter die Gold¬<lb/>
adern aussaugen, in einen lächerlichen und unförmlichen Klumpen zusammen¬<lb/>
fällt. Eine solche Gemüthsstimmung ist auch der wahren Satire nicht »rich¬<lb/>
tig, denn auch diese verlangt ein festes Maß der Seele, das man anch im<lb/>
Uebermuth nicht aus den Augen setzt. Gutzkow, in seinem innersten Wesen<lb/>
ein Anempfinder, bemüht sich durchweg., sich selber in Rührung zu sprechen.<lb/>
Er lauscht gewissermaßen mit Behagen dem Klang seiner Worte. Nun wird<lb/>
er aber gleichzeitig von unzähligen sich widersprechenden Gedanken und Em¬<lb/>
pfindungen heimgesucht, und da er keinem derselben Widerstand zu leisten ver¬<lb/>
mag, widerfährt ihm fast durchweg, daß er das Ungehörigste in den Vorder¬<lb/>
grund schiebt, daß seine Rührung plötzlich in blasirte oder gar in faunische<lb/>
Stimmung überspringt, und daß seine Satire in schwächlicher, empfindsamer<lb/><note type="byline"> Julian Schmidt.</note> Rührung verklingt. </p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0258] ihren Werken nothwendig in Unsittlichkeit; denn Unsittlichkeit ist nichts Anderes, als der Atomismus des Willens. Nicht etwa, daß solche Dichter daraus aus¬ gehen, die Sittlichkeit durch ihre Schöpfungen zu untergraben, im Gegentheil haben sie oft die beste Absicht, tugendhafte Menschen zu schildern, aber weil ihnen der Kern der schöpferischen Kraft abgeht, werden meistens daraus Fi¬ guren, die, wie Kotzebue's Eulalia, im entscheidenden Augenblick sagen: „Sie stoßen da auf eine Unbegreiflichkeit in meiner Geschichte/' Man hat in jedem Augenblick die Empfindung, daß sie eben so gut das Gegentheil von dem thun könnten, was sie wirklich thun. Es ist in ihnen, wie gesagt, keine Seele, sie tragen kein Gesetz der inneren Nothwendigkeit in sich. Was Gutzkow von den übrigen Poeten dieser Art unterscheidet, ist, daß seine Bildung und sein Scharfsinn so weit geht, ihm auf Augenblicke die Er¬ bärmlichkeit seines Helden klar zu machen; in solchen Augenblicken nimmt er den Anschein eines Satirikers an, den er aber in der nächsten Stunde über neuen Eindrücken, neuen Empfindungen, wieder vergißt. Solche Züge finden sich auch in dem „Zauberer von Rom" mehrfach, und Figuren, wie Schlurf und Ströhmer in den „Rittern vom Geist", in denen sich wirklich einig« brillante Einfälle finden, sehen ganz aus wie eine Satire auf seine eigenen Schöpfungen; aber sabald er sich zusammenrafft, um einen tüchtigen Menschen zu schildern, wird wieder ein Schlurk oder Ströhmer daraus, nur in anderem Costüm. ^ulv ni,,„ ' ,.:,.,,^i->-n 'kann? ,-,,'-> ketten chi rtmvi' ,f,W-jlM Wer nicht von innerer Nothwendigkeit ausgeht, verfällt dem Zwang der äußeren Umstände, d. h. dem Atomismus, und man wird an den, vierten König in Goethe's Märchen erinnert, der, sobald ihm die Irrlichter die Gold¬ adern aussaugen, in einen lächerlichen und unförmlichen Klumpen zusammen¬ fällt. Eine solche Gemüthsstimmung ist auch der wahren Satire nicht »rich¬ tig, denn auch diese verlangt ein festes Maß der Seele, das man anch im Uebermuth nicht aus den Augen setzt. Gutzkow, in seinem innersten Wesen ein Anempfinder, bemüht sich durchweg., sich selber in Rührung zu sprechen. Er lauscht gewissermaßen mit Behagen dem Klang seiner Worte. Nun wird er aber gleichzeitig von unzähligen sich widersprechenden Gedanken und Em¬ pfindungen heimgesucht, und da er keinem derselben Widerstand zu leisten ver¬ mag, widerfährt ihm fast durchweg, daß er das Ungehörigste in den Vorder¬ grund schiebt, daß seine Rührung plötzlich in blasirte oder gar in faunische Stimmung überspringt, und daß seine Satire in schwächlicher, empfindsamer Julian Schmidt. Rührung verklingt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/258
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/258>, abgerufen am 27.12.2024.