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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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hier zu weit führen-, auch sind die Werke der bedeutenden Meister, wo von
diesen selbst die Rede ist, zu erwähnen. Wie matt, wie leer und eckig sich
die moderne Zeit in diesem Festgcwandc der Kunst ausnimmt, ist schon oben
bemerkt. -- Für die Vortheile, welche die historische Kunst von solchen massen¬
haften Bestellungen zu erwarten hat, kann Versailles ein lehrreiches Beispiel
abgeben; schlimm wäre es. wenn sich von ihr aus die Lebensfähigkeit der
modernen geschichtlichen Malerei überhaupt ein Schluß ziehen ließe.

Doch, wie dem auch sein mag: die historische Kunst lag in der Richtung
des Zeitalters und erhielt durch die Arbeiten für Versailles die lebhafteste
Anregung, Es schien, wie wenn sie aus dem Reich der Mythe auf den festen
Boden der Geschichte ganz und für immer herabsteigen wollte. Und allerdings
erlangte sie ,die Frische. Farbe und Fülle des Lebens, die früher nur Einzelne
erreicht halten, nun in einem größeren Umfange. Immer mehr und tiefer
vereinigten sich die Gegensätze zu einem neuen Ganzen; mit der energischen
Darstellung ergreifender, die Phantasie packender Motive begann sich nun auch
die Vollendung der Form zu verbinden, welche die Jngres'sche Schule anstrebte.
Große Talente traten hervor und führten die neue Kunst zu der Spitze ihrer
Entwicklung.

Zunächst findet hier Horace Vernet seine Stelle. Das ideale Element
tritt in ihm noch zurück: er hält sich an das Leben in seiner wirklichen Be¬
stimmtheit, in seinen einfach menschlichen Zuständen und Empfindungen, immer
aber mit der Erfüllung eines Inhaltes, der eben so sehr durch seine tiefere
Beziehung das Gemüth anspricht, als vollständig in die malerische Erscheinung
aufgeht. Es ist nicht die gewöhnliche, erste beste, es rst die künstlerische Wahr-
)eit und Realität, die er sucht; fast durchweg ist in seinen Gestalten ein be¬
stimmter Seelenzustand, der in der Situation klar und deutlich heraustritt.
Freilich ist es kein tiefgehendes Pathos, keine mächtig erhöhte Empfindung
des Daseins, die seine Figuren belebt; kein Adel eines großen Aufschwungs;
so oft sich Vernet in Motiven von derartiger Stimmung versuchte, verfiel er
im Ausdruck der bloßen Manier, in der Ausführung einer ganz oberflächlichen
Virtuosität. Die Menschen, die ihm vorzugsweise gelingen, sind einfache runde
Naturen, die aus ihrer Umgebung, ihrer nationalen und täglichen Bedingtheit
nicht heraustreten. Daher hält sich Vernet gerne an tue Gegenwart, an die
malerischen Menschen des Südens und des Morgenlandes, die er aber nicht
in allgemeinen Zuständen, sondern in der Bestimmtheit einer durch ihre Sitten
urd Gebräuche bedingten Situation auffaßt: so fehlt seinen Gestalten fast
nie eine gewisse Erfüllung, seinen Kompositionen das Interesse eines in das
Bild eingehenden Vorganges. Insbesondere aber beschäftigt ihn das moderne
Leben seiner Nation in der Bewegung, in der es allein noch malerisch er¬
scheint und zugleich den Einzelnen auf der Folie einer großen allgemeinen


hier zu weit führen-, auch sind die Werke der bedeutenden Meister, wo von
diesen selbst die Rede ist, zu erwähnen. Wie matt, wie leer und eckig sich
die moderne Zeit in diesem Festgcwandc der Kunst ausnimmt, ist schon oben
bemerkt. — Für die Vortheile, welche die historische Kunst von solchen massen¬
haften Bestellungen zu erwarten hat, kann Versailles ein lehrreiches Beispiel
abgeben; schlimm wäre es. wenn sich von ihr aus die Lebensfähigkeit der
modernen geschichtlichen Malerei überhaupt ein Schluß ziehen ließe.

Doch, wie dem auch sein mag: die historische Kunst lag in der Richtung
des Zeitalters und erhielt durch die Arbeiten für Versailles die lebhafteste
Anregung, Es schien, wie wenn sie aus dem Reich der Mythe auf den festen
Boden der Geschichte ganz und für immer herabsteigen wollte. Und allerdings
erlangte sie ,die Frische. Farbe und Fülle des Lebens, die früher nur Einzelne
erreicht halten, nun in einem größeren Umfange. Immer mehr und tiefer
vereinigten sich die Gegensätze zu einem neuen Ganzen; mit der energischen
Darstellung ergreifender, die Phantasie packender Motive begann sich nun auch
die Vollendung der Form zu verbinden, welche die Jngres'sche Schule anstrebte.
Große Talente traten hervor und führten die neue Kunst zu der Spitze ihrer
Entwicklung.

Zunächst findet hier Horace Vernet seine Stelle. Das ideale Element
tritt in ihm noch zurück: er hält sich an das Leben in seiner wirklichen Be¬
stimmtheit, in seinen einfach menschlichen Zuständen und Empfindungen, immer
aber mit der Erfüllung eines Inhaltes, der eben so sehr durch seine tiefere
Beziehung das Gemüth anspricht, als vollständig in die malerische Erscheinung
aufgeht. Es ist nicht die gewöhnliche, erste beste, es rst die künstlerische Wahr-
)eit und Realität, die er sucht; fast durchweg ist in seinen Gestalten ein be¬
stimmter Seelenzustand, der in der Situation klar und deutlich heraustritt.
Freilich ist es kein tiefgehendes Pathos, keine mächtig erhöhte Empfindung
des Daseins, die seine Figuren belebt; kein Adel eines großen Aufschwungs;
so oft sich Vernet in Motiven von derartiger Stimmung versuchte, verfiel er
im Ausdruck der bloßen Manier, in der Ausführung einer ganz oberflächlichen
Virtuosität. Die Menschen, die ihm vorzugsweise gelingen, sind einfache runde
Naturen, die aus ihrer Umgebung, ihrer nationalen und täglichen Bedingtheit
nicht heraustreten. Daher hält sich Vernet gerne an tue Gegenwart, an die
malerischen Menschen des Südens und des Morgenlandes, die er aber nicht
in allgemeinen Zuständen, sondern in der Bestimmtheit einer durch ihre Sitten
urd Gebräuche bedingten Situation auffaßt: so fehlt seinen Gestalten fast
nie eine gewisse Erfüllung, seinen Kompositionen das Interesse eines in das
Bild eingehenden Vorganges. Insbesondere aber beschäftigt ihn das moderne
Leben seiner Nation in der Bewegung, in der es allein noch malerisch er¬
scheint und zugleich den Einzelnen auf der Folie einer großen allgemeinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/239>, abgerufen am 23.07.2024.