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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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allgemeinen Theilnahme der Nation gehoben, er fand sick zugleich auf dem
sicheren Boden der vaterländischen Geschichte, der ihn mit den darzustellenden
Menschen und Dingen in ein trauliches Verhältniß brachte.

Das Zusammentreffen aller dieser Bedingungen blieb denn auch nicht
ohne glücklichen Einfluß auf die Entwicklung der Kunst. Schon Anfang der
dreißiger Jahre standen sich die romantische und classische Kunst nicht mehr in
der alten Härte und Schroffheit gegenüber: die Bestimmtheit der Geschichte
brachte beide einander näher, indem sie die eine von der nebelhaften Ueber¬
treibung des Charakteristischen in's Häßliche, die andere von der reizlosen
Trockenheit eines hohlen Ideals erlöste. Jüngere, bedeutende Talente fingen
bald an vorzutreten. Zudem wirkte die malerische Erscheinung der früheren
Jahrhunderte belebend auf die Kunst ein; vornehmlich ist unter den Darstel¬
lungen der Kreuzzüge manche tüchtige Leistung.

Indessen la.g es in der Natur des Unternehmens, daß es doch auf die
Förderung der Kunst die Wirkung nicht hatte, die man erwartete. Abgesehen
von dem vielen Flüchtigen und Mittelmäßigen, das bei einer solchen Massen-
production nothwendig mit unterlief, war der Zweck der Sammlung von vorn¬
herein der Kunst nicht günstig. Es waren die ruhmvollen und folgenschweren
Momente aus der französischen Geschichte darzustellen; es konnte nicht ausbleiben,
daß man vornehmlich zwei Gattungen von Ereignissen behandelte: Schlachten
und friedliche Versammlungen Mais-Zenei-aux, ^.Lsemblees ach notables u. s. f).
Waren jene auch malerisch, so ließ sich doch die Bedeutung des Moments
(wie in dem antiken Mosaikbilde der Schlacht bei Issus durch den Kampf der
die Gegensätze vertretenden Helden) nur selten zum Ausdruck bringen, und des
ewigen Gemetzels wird man müde; welche Schwierigkeiten bei den Bildern
neuerer Schlachten eintreten, werden wir bei Horace Verriet sehen. Bei den
Versammlungen aber läßt sich in das einfache Zusammenstehen der Personen
weder eine malerische Anordnung bringen, noch die Wichtigkeit der Verhand¬
lung legen: und sucht der Maler seinen Figuren die Begeisterung und Be¬
wegtheit der inneren Aufregung zu geben, so entstehen ewige Dutzend Gesichter
von ziemlich einförmigen leidenschaftlichen Ausdruck und die doppelte Anzahl
in die Luft gestreckter Arme. Hätte die Gallerie nicht die ergreifenden Wechsel-
fälle der Geschichte ausgeschlossen, in denen der Held einer Periode den Um¬
schlag des Glückes erfährt, oder andere, in denen die Volkskraft gegen die
bestehende Macht in entscheidender Spannung sich auflehnt: so hätte sich der
Kunst ein vielleicht fruchtbareres Feld eröffnet. Der durch zahllose Säle fort¬
laufende Glanz der französischen Nation erscheint doch schließlich als ein äußeres
Gepränge, in das -- mit wenigen Ausnahmen -- weder die Phantasie des
Künstlers ein tieferes Leben hat bringen können, noch der Beschauer mit be¬
sonderer Theilnahme eingehen mag. Das Einzelne zu berücksichtigen, würde


allgemeinen Theilnahme der Nation gehoben, er fand sick zugleich auf dem
sicheren Boden der vaterländischen Geschichte, der ihn mit den darzustellenden
Menschen und Dingen in ein trauliches Verhältniß brachte.

Das Zusammentreffen aller dieser Bedingungen blieb denn auch nicht
ohne glücklichen Einfluß auf die Entwicklung der Kunst. Schon Anfang der
dreißiger Jahre standen sich die romantische und classische Kunst nicht mehr in
der alten Härte und Schroffheit gegenüber: die Bestimmtheit der Geschichte
brachte beide einander näher, indem sie die eine von der nebelhaften Ueber¬
treibung des Charakteristischen in's Häßliche, die andere von der reizlosen
Trockenheit eines hohlen Ideals erlöste. Jüngere, bedeutende Talente fingen
bald an vorzutreten. Zudem wirkte die malerische Erscheinung der früheren
Jahrhunderte belebend auf die Kunst ein; vornehmlich ist unter den Darstel¬
lungen der Kreuzzüge manche tüchtige Leistung.

Indessen la.g es in der Natur des Unternehmens, daß es doch auf die
Förderung der Kunst die Wirkung nicht hatte, die man erwartete. Abgesehen
von dem vielen Flüchtigen und Mittelmäßigen, das bei einer solchen Massen-
production nothwendig mit unterlief, war der Zweck der Sammlung von vorn¬
herein der Kunst nicht günstig. Es waren die ruhmvollen und folgenschweren
Momente aus der französischen Geschichte darzustellen; es konnte nicht ausbleiben,
daß man vornehmlich zwei Gattungen von Ereignissen behandelte: Schlachten
und friedliche Versammlungen Mais-Zenei-aux, ^.Lsemblees ach notables u. s. f).
Waren jene auch malerisch, so ließ sich doch die Bedeutung des Moments
(wie in dem antiken Mosaikbilde der Schlacht bei Issus durch den Kampf der
die Gegensätze vertretenden Helden) nur selten zum Ausdruck bringen, und des
ewigen Gemetzels wird man müde; welche Schwierigkeiten bei den Bildern
neuerer Schlachten eintreten, werden wir bei Horace Verriet sehen. Bei den
Versammlungen aber läßt sich in das einfache Zusammenstehen der Personen
weder eine malerische Anordnung bringen, noch die Wichtigkeit der Verhand¬
lung legen: und sucht der Maler seinen Figuren die Begeisterung und Be¬
wegtheit der inneren Aufregung zu geben, so entstehen ewige Dutzend Gesichter
von ziemlich einförmigen leidenschaftlichen Ausdruck und die doppelte Anzahl
in die Luft gestreckter Arme. Hätte die Gallerie nicht die ergreifenden Wechsel-
fälle der Geschichte ausgeschlossen, in denen der Held einer Periode den Um¬
schlag des Glückes erfährt, oder andere, in denen die Volkskraft gegen die
bestehende Macht in entscheidender Spannung sich auflehnt: so hätte sich der
Kunst ein vielleicht fruchtbareres Feld eröffnet. Der durch zahllose Säle fort¬
laufende Glanz der französischen Nation erscheint doch schließlich als ein äußeres
Gepränge, in das — mit wenigen Ausnahmen — weder die Phantasie des
Künstlers ein tieferes Leben hat bringen können, noch der Beschauer mit be¬
sonderer Theilnahme eingehen mag. Das Einzelne zu berücksichtigen, würde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/238>, abgerufen am 23.07.2024.