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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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active Wahlrecht von 300 Francs auf 200 Francs, für die Wählbarkeit von
1000 Francs auf 500 Francs Abgaben herab. Daß damit der Demokratie
in Wahrheit nur eine geringe Concession gemacht war, ist klar. Auch ergossen
Legitimisten und Republikaner ihren Spott über dies glänzende Resultat einer
Revolution. Indessen ganz ohne Einwirkung auf die Physiognomie der Wahl¬
körper und somit der Kammern blieb die Herabsetzung des Census doch nicht.
Viele kleinere Capitalien und Gewerbtreibende gelangten dadurch zur Be¬
theiligung an den öffentlichen Angelegenheiten, Männer, die zwar die Straßen¬
tumulte gründlich verabscheuten und fürchteten, dabei aber, um sich und Andern
ihre Wichtigkeit und Unabhängigkeit klar zu machen, eine entschiedene Neigung
zur Opposition, zumal gegen eine starke Regierung, hatten. Ihr Einfluß
wurde dadurch noch bedeutender, daß viele reiche Besitzer aus Schlaffheit, die
Legitimisten aus Princip, sich von der Wahl fernhielten. Dessen ungeachtet
aber blieb die Parteibildung in der Kammer nach wie vor im Wesentlichen
außer, Beziehung zur Parteibildung im Lande. Es war dies ein unvermeid¬
licher Umstand. Hätte man damals der Demokratie den Eintritt in die Kam¬
mer geöffnet, so hätte man ihr den kürzesten und bequemsten Weg zur Grün¬
dung der Republik gebahnt.

Den dringenden Gefahren der Lage konnte nur eine Regierung gewachsen sein,
die innerlich stark, einer kräftigen und entschiedenen Majorität in der Kammer
sicher, eben so entschlossen zum Widerstande, wie zum aufrichtigsten Festhalten an
der Verfassung war. Alles hing von der Persönlichkeit der Regierenden sowie von
der Parteibildung in den Kammern ab. Wie in allen politischen Versammlungen
gab es auch in der Deputirtenkammer eine Partei des Widerstandes und des Fort¬
schrittes, daneben kleinere Fractionen der Legitimisten und Demokraten, die wir
zunächst nicht in Betracht ziehen.. Der Charakter der beiden großen Parteien
nun wurde besonders durch gewisse Traditionen bestimmt, die bis in die ersten
Zeiten der Restauration zurückreichen. Die Linke in ihren verschiedenen Ab¬
stufungen bildete in gewissem Sinne die Fortsetzung jener Partei der Unab¬
hängigen, die sich um Lafayette und einige andere Führer gruppirend. durch
alle unzufriedenen, republicanischen und bonapartistischen Elemente verstärkt,
einen unausgesetzten offenen und heimlichen Krieg gegen die ältere Dynastie
geführt, seit Jahren conspirirt und Aufstünde geplant und den Instinkt für die
Regierung in sich erstickt hatten. Eine kräftige Regierung zu bilden waren
sie unfähig. Von den Bestrebungen der extremen Demokratie weit entfernt,
in ihrer Mehrzahl die Interessen des Bürgerthums theilend, keineswegs blind
gegen die Gefahren der Lage, aber natürliche Gegner jeder starken Staats¬
gewalt, zum Theil auch von schüchternen Sympathien für republicanische
Formen erfüllt, die echten Epigonen der Fayettisten von 1739. waren sie nur
darauf bedacht, jede Negierung zu ärgern und wo möglich zu stürzen. Die


active Wahlrecht von 300 Francs auf 200 Francs, für die Wählbarkeit von
1000 Francs auf 500 Francs Abgaben herab. Daß damit der Demokratie
in Wahrheit nur eine geringe Concession gemacht war, ist klar. Auch ergossen
Legitimisten und Republikaner ihren Spott über dies glänzende Resultat einer
Revolution. Indessen ganz ohne Einwirkung auf die Physiognomie der Wahl¬
körper und somit der Kammern blieb die Herabsetzung des Census doch nicht.
Viele kleinere Capitalien und Gewerbtreibende gelangten dadurch zur Be¬
theiligung an den öffentlichen Angelegenheiten, Männer, die zwar die Straßen¬
tumulte gründlich verabscheuten und fürchteten, dabei aber, um sich und Andern
ihre Wichtigkeit und Unabhängigkeit klar zu machen, eine entschiedene Neigung
zur Opposition, zumal gegen eine starke Regierung, hatten. Ihr Einfluß
wurde dadurch noch bedeutender, daß viele reiche Besitzer aus Schlaffheit, die
Legitimisten aus Princip, sich von der Wahl fernhielten. Dessen ungeachtet
aber blieb die Parteibildung in der Kammer nach wie vor im Wesentlichen
außer, Beziehung zur Parteibildung im Lande. Es war dies ein unvermeid¬
licher Umstand. Hätte man damals der Demokratie den Eintritt in die Kam¬
mer geöffnet, so hätte man ihr den kürzesten und bequemsten Weg zur Grün¬
dung der Republik gebahnt.

Den dringenden Gefahren der Lage konnte nur eine Regierung gewachsen sein,
die innerlich stark, einer kräftigen und entschiedenen Majorität in der Kammer
sicher, eben so entschlossen zum Widerstande, wie zum aufrichtigsten Festhalten an
der Verfassung war. Alles hing von der Persönlichkeit der Regierenden sowie von
der Parteibildung in den Kammern ab. Wie in allen politischen Versammlungen
gab es auch in der Deputirtenkammer eine Partei des Widerstandes und des Fort¬
schrittes, daneben kleinere Fractionen der Legitimisten und Demokraten, die wir
zunächst nicht in Betracht ziehen.. Der Charakter der beiden großen Parteien
nun wurde besonders durch gewisse Traditionen bestimmt, die bis in die ersten
Zeiten der Restauration zurückreichen. Die Linke in ihren verschiedenen Ab¬
stufungen bildete in gewissem Sinne die Fortsetzung jener Partei der Unab¬
hängigen, die sich um Lafayette und einige andere Führer gruppirend. durch
alle unzufriedenen, republicanischen und bonapartistischen Elemente verstärkt,
einen unausgesetzten offenen und heimlichen Krieg gegen die ältere Dynastie
geführt, seit Jahren conspirirt und Aufstünde geplant und den Instinkt für die
Regierung in sich erstickt hatten. Eine kräftige Regierung zu bilden waren
sie unfähig. Von den Bestrebungen der extremen Demokratie weit entfernt,
in ihrer Mehrzahl die Interessen des Bürgerthums theilend, keineswegs blind
gegen die Gefahren der Lage, aber natürliche Gegner jeder starken Staats¬
gewalt, zum Theil auch von schüchternen Sympathien für republicanische
Formen erfüllt, die echten Epigonen der Fayettisten von 1739. waren sie nur
darauf bedacht, jede Negierung zu ärgern und wo möglich zu stürzen. Die


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[0226] active Wahlrecht von 300 Francs auf 200 Francs, für die Wählbarkeit von 1000 Francs auf 500 Francs Abgaben herab. Daß damit der Demokratie in Wahrheit nur eine geringe Concession gemacht war, ist klar. Auch ergossen Legitimisten und Republikaner ihren Spott über dies glänzende Resultat einer Revolution. Indessen ganz ohne Einwirkung auf die Physiognomie der Wahl¬ körper und somit der Kammern blieb die Herabsetzung des Census doch nicht. Viele kleinere Capitalien und Gewerbtreibende gelangten dadurch zur Be¬ theiligung an den öffentlichen Angelegenheiten, Männer, die zwar die Straßen¬ tumulte gründlich verabscheuten und fürchteten, dabei aber, um sich und Andern ihre Wichtigkeit und Unabhängigkeit klar zu machen, eine entschiedene Neigung zur Opposition, zumal gegen eine starke Regierung, hatten. Ihr Einfluß wurde dadurch noch bedeutender, daß viele reiche Besitzer aus Schlaffheit, die Legitimisten aus Princip, sich von der Wahl fernhielten. Dessen ungeachtet aber blieb die Parteibildung in der Kammer nach wie vor im Wesentlichen außer, Beziehung zur Parteibildung im Lande. Es war dies ein unvermeid¬ licher Umstand. Hätte man damals der Demokratie den Eintritt in die Kam¬ mer geöffnet, so hätte man ihr den kürzesten und bequemsten Weg zur Grün¬ dung der Republik gebahnt. Den dringenden Gefahren der Lage konnte nur eine Regierung gewachsen sein, die innerlich stark, einer kräftigen und entschiedenen Majorität in der Kammer sicher, eben so entschlossen zum Widerstande, wie zum aufrichtigsten Festhalten an der Verfassung war. Alles hing von der Persönlichkeit der Regierenden sowie von der Parteibildung in den Kammern ab. Wie in allen politischen Versammlungen gab es auch in der Deputirtenkammer eine Partei des Widerstandes und des Fort¬ schrittes, daneben kleinere Fractionen der Legitimisten und Demokraten, die wir zunächst nicht in Betracht ziehen.. Der Charakter der beiden großen Parteien nun wurde besonders durch gewisse Traditionen bestimmt, die bis in die ersten Zeiten der Restauration zurückreichen. Die Linke in ihren verschiedenen Ab¬ stufungen bildete in gewissem Sinne die Fortsetzung jener Partei der Unab¬ hängigen, die sich um Lafayette und einige andere Führer gruppirend. durch alle unzufriedenen, republicanischen und bonapartistischen Elemente verstärkt, einen unausgesetzten offenen und heimlichen Krieg gegen die ältere Dynastie geführt, seit Jahren conspirirt und Aufstünde geplant und den Instinkt für die Regierung in sich erstickt hatten. Eine kräftige Regierung zu bilden waren sie unfähig. Von den Bestrebungen der extremen Demokratie weit entfernt, in ihrer Mehrzahl die Interessen des Bürgerthums theilend, keineswegs blind gegen die Gefahren der Lage, aber natürliche Gegner jeder starken Staats¬ gewalt, zum Theil auch von schüchternen Sympathien für republicanische Formen erfüllt, die echten Epigonen der Fayettisten von 1739. waren sie nur darauf bedacht, jede Negierung zu ärgern und wo möglich zu stürzen. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/226>, abgerufen am 23.07.2024.