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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Zwischen der Bourgeoisie, als dem glücklichen Erben der Revolution, und dem
Adel, dem Vertreter des alten Frankreichs. Daß der Adel in der Kirche einen
eifrigen Verbündeten fand, war nur ein scheinbarer Gewinn für ihn; in der
That trug diese Alliance nur dazu bei, der Aristokratie in der öffentlichen
Meinung den Todesstoß zu geben. Denn in dieser Verbindung schien die
ganze alte Zeit wie ein unheimliches Gespenst wieder aufzuleben. Je mehr
man sich bemühte, die Alliance mit einem wissenschaftlichen Nimbus zu um¬
geben, je geistreicher die Contrerevolution zu einem hierarchisch-politischen
Systeme sich ausbildete, um so größeren Widerwillen erweckte man einerseits
gegen die Ku-che, die ihres versöhnende" Berufes uneingedenk sich zum Vor¬
kämpfer eines verhaßten und freiheitsfeindlicher Systems machte*), andererseits
gegen den Adel, der damit offen seine Unfähigkeit und Avgeneigtheit aussprach,
auf dem Boden der neuen Zeit eine Stellung zu suchen. In dem Kampf
aber gegen die Wiederherstellung des alten Regime war, nachdem der erste
Enthusiasmus der Reaction seine theils lächerlichen, theils blutigen Orgien
gefeiert hatte, ganz Frankreich einig. Die Bourgeoisie, hierin unterstützt von
allen Schichten der Gesellschaft, setzte, wenige Schwankungen abgerechnet, den
Kampf gegen die Reaction mit wachsendem Erfolge fort. Kaum aber war
der Mittelstand ourch die Julirevolution an das Ziel seiner Wünsche gelangt,
als auch die Gefahren, welche die neuen Herrscher und mit ihnen die ganze
Gesellschaft bedrohten, mit erschreckender Klarheit ein's Tageslicht traten. Man
sah sich am Rande eines Abgrundes. Die Ideen von 1739 hatten den Sieg
nur davon getragen, um alsbald mit den Ideen von 1793 einen Kampf auf
Tod und Leben einzugehen: einen Kampf, der für die herrschende Klasse des¬
halb so gefährlich war, weil es ihr an Verbündeten fehlte, die einen unmittel¬
baren Einfluß auf die Stimmung der Masse ausüben konnten. Der legiti-
wistische Adel war natürlich der Regierung entschieden feindlich und speculirte
auf den Pessimismus, ebenso ein großer Theil der Geistlichkeit. Mochten der
Regierung die Händel mit den Legitimisten in einer Rücksicht auch erwünscht
!um, weil jeder Versuch der älteren Linie eine augenblickliche Vereinigung aller
Parteien zum Schutze des bestehenden Regimes herbeiführte, gefährlich blieb
^ doch immer, wenn von allen Seiten her ,die frondirenden Elemente aller
Möglichen Oppositionen die Gewalt durch Neckereien und Nadelstiche ermüdeten
und ärgerten.



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plntüt put courlis ass s,ävöi-siürk!j rsligisux; ils iMsssnt Is, K>i eomms I'o^inion d'un
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^Ihn, qu'ils rsponsssnt äg.us Is xrütrs, czus 1'g.mi an pouvoir. -- ^, as l^oeizuevills, as
äewooratiL su ^msri^us II, x. 269. Die sich aus diesen Bemerkungen ergebende Lehre
LUt nicht blos für ein Volk und eine Zeit.

Zwischen der Bourgeoisie, als dem glücklichen Erben der Revolution, und dem
Adel, dem Vertreter des alten Frankreichs. Daß der Adel in der Kirche einen
eifrigen Verbündeten fand, war nur ein scheinbarer Gewinn für ihn; in der
That trug diese Alliance nur dazu bei, der Aristokratie in der öffentlichen
Meinung den Todesstoß zu geben. Denn in dieser Verbindung schien die
ganze alte Zeit wie ein unheimliches Gespenst wieder aufzuleben. Je mehr
man sich bemühte, die Alliance mit einem wissenschaftlichen Nimbus zu um¬
geben, je geistreicher die Contrerevolution zu einem hierarchisch-politischen
Systeme sich ausbildete, um so größeren Widerwillen erweckte man einerseits
gegen die Ku-che, die ihres versöhnende» Berufes uneingedenk sich zum Vor¬
kämpfer eines verhaßten und freiheitsfeindlicher Systems machte*), andererseits
gegen den Adel, der damit offen seine Unfähigkeit und Avgeneigtheit aussprach,
auf dem Boden der neuen Zeit eine Stellung zu suchen. In dem Kampf
aber gegen die Wiederherstellung des alten Regime war, nachdem der erste
Enthusiasmus der Reaction seine theils lächerlichen, theils blutigen Orgien
gefeiert hatte, ganz Frankreich einig. Die Bourgeoisie, hierin unterstützt von
allen Schichten der Gesellschaft, setzte, wenige Schwankungen abgerechnet, den
Kampf gegen die Reaction mit wachsendem Erfolge fort. Kaum aber war
der Mittelstand ourch die Julirevolution an das Ziel seiner Wünsche gelangt,
als auch die Gefahren, welche die neuen Herrscher und mit ihnen die ganze
Gesellschaft bedrohten, mit erschreckender Klarheit ein's Tageslicht traten. Man
sah sich am Rande eines Abgrundes. Die Ideen von 1739 hatten den Sieg
nur davon getragen, um alsbald mit den Ideen von 1793 einen Kampf auf
Tod und Leben einzugehen: einen Kampf, der für die herrschende Klasse des¬
halb so gefährlich war, weil es ihr an Verbündeten fehlte, die einen unmittel¬
baren Einfluß auf die Stimmung der Masse ausüben konnten. Der legiti-
wistische Adel war natürlich der Regierung entschieden feindlich und speculirte
auf den Pessimismus, ebenso ein großer Theil der Geistlichkeit. Mochten der
Regierung die Händel mit den Legitimisten in einer Rücksicht auch erwünscht
!um, weil jeder Versuch der älteren Linie eine augenblickliche Vereinigung aller
Parteien zum Schutze des bestehenden Regimes herbeiführte, gefährlich blieb
^ doch immer, wenn von allen Seiten her ,die frondirenden Elemente aller
Möglichen Oppositionen die Gewalt durch Neckereien und Nadelstiche ermüdeten
und ärgerten.



') I^Sö illvrsckllliZS ä'IZurops poursuivsllt Iss elträtisns ovinus ass Sllnsmts potiti^usf,
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PS'ni, disn plus guf coruus uns oro^unes si-ronss; et o'sse moins Is rsprössiitÄllt as
^Ihn, qu'ils rsponsssnt äg.us Is xrütrs, czus 1'g.mi an pouvoir. — ^, as l^oeizuevills, as
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LUt nicht blos für ein Volk und eine Zeit.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/223>, abgerufen am 23.07.2024.