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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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tiree Leitung; es fehlt selbst eine Stelle, welche die Streitigkeiten zwischen Re¬
gierungen entscheidet, wenn man nicht etwa Dinge, wie die Weigerung Han¬
novers, eine Eisenbahn von Minden nach der Jahde über eine kleine Strecke
seines Gebietes bauen zu lassen, einem Austrägalgerichte zur Bestattung überweisen
will. Diesen einen Punkt hat der volkswnthschaftliche Congreß nicht berührt;
er glaubte weise zu handeln, und er hat sich geirrt. Der Handelstag in
Heidelberg, selbst der Juristentag in Dresden waren ihm mit besserm Beispiele
vorgegangen, er ist ihnen nicht nachgefolgt. Diesen Fehler hat der Congreß
mit einer Niederlage bei der Zollfrage gebüßt.

Das Zollwesen war auf der Tagesordnung mit drei Nummern bedacht.
Es sollte verhandelt werden; 1) über Besteuerung des Zuckers im Zollverein;
2) desgleichen über Twistzölle; 3) Niedersetzung einer permanenten Commission
in Bezug auf die Reform der Zollvereinsgesctzgebung beim bevorstehenden
Ablaufe der Zollvcreinsverträge. Dieser letzte Antrag wurde am 11. Sep¬
tember zuerst zur Debatte ausgesetzt, nachdem ein Vortrag über Zollvereins¬
zustände einleitend vorausgegangen war. Tags zuvor hatte der König die
Theilnehmer huldvoll empfangen und ihnen von dem Nutzen des Zollfchutzcs
für die Industrie gesprochen; für den Nachmittag war die Extrafahrt nach-
Reutlingen anberaumt. Zwischen den Süßigkeiten lag die Pille. Die Ver¬
handlung soll, nach den vorliegenden Berichten, sehr lebhaft, sehr warm ge¬
wesen sein. Sie endete mit dem Uebergang zur Tagesordnung, für welche
die Mehrheit mit 115 gegen 104 Stimmen sich aussprach. Nach der verun¬
glückten Commission kamen die Twistzölle. Die Debatte wurde durch die
Extrafahrt unterbrochen, und am folgenden Tage wurden die Anträge aus
stufenweise Ermäßigung der Twistzölle ebenfalls, mit 98 gegen 88 Stimmen,
durch die Tagesordnung beseitigt. Nun hatten die geschlagenen Führer ge¬
nug; sie ließen die Zuckerzölle fallen. Woher aber die Niederlage, der man
doch in Köln noch glücklich entgangen war, obgleich dort auch Eisenprodu¬
centen um Erhaltung des Schutzes für ihre tief darnieder liegende Industrie
gebeten hatten, nachdem, taktlos genug, in einem so unpassenden Zeitpunkte,
und ohne jede Aussicht auf baldigen Erfolg, die Ermäßigung der Eisenzölle
zur Sprache gebracht worden? Woher insbesondere der Eifer gegen Ernennung
einer Commission über die Reform der Zollvereinsgesetzgebung? Zuerst die
Twistzölle, bei denen die Sache ganz einfach liegt. Die Mehrheit war von
den Spinnern aus Würtemberg und Augsburg gemacht, denen es sehr gut
geht, und die deshalb nicht so artig waren wie die gedrückten Hüttenbesitzcr
am Rhein. Sie wollen keine Ermäßigung der Twistzolle -- die Weber den¬
ken anders -- und sorgten daher für eine Mehrheit gegen den Antrag. War
die Mehrheit nicht größer, so kommt dies vermuthlich daher, daß die Herren
nicht mehr Geld sür Eintrittskarten ausgeben wollten, als für ihren Zweck


tiree Leitung; es fehlt selbst eine Stelle, welche die Streitigkeiten zwischen Re¬
gierungen entscheidet, wenn man nicht etwa Dinge, wie die Weigerung Han¬
novers, eine Eisenbahn von Minden nach der Jahde über eine kleine Strecke
seines Gebietes bauen zu lassen, einem Austrägalgerichte zur Bestattung überweisen
will. Diesen einen Punkt hat der volkswnthschaftliche Congreß nicht berührt;
er glaubte weise zu handeln, und er hat sich geirrt. Der Handelstag in
Heidelberg, selbst der Juristentag in Dresden waren ihm mit besserm Beispiele
vorgegangen, er ist ihnen nicht nachgefolgt. Diesen Fehler hat der Congreß
mit einer Niederlage bei der Zollfrage gebüßt.

Das Zollwesen war auf der Tagesordnung mit drei Nummern bedacht.
Es sollte verhandelt werden; 1) über Besteuerung des Zuckers im Zollverein;
2) desgleichen über Twistzölle; 3) Niedersetzung einer permanenten Commission
in Bezug auf die Reform der Zollvereinsgesctzgebung beim bevorstehenden
Ablaufe der Zollvcreinsverträge. Dieser letzte Antrag wurde am 11. Sep¬
tember zuerst zur Debatte ausgesetzt, nachdem ein Vortrag über Zollvereins¬
zustände einleitend vorausgegangen war. Tags zuvor hatte der König die
Theilnehmer huldvoll empfangen und ihnen von dem Nutzen des Zollfchutzcs
für die Industrie gesprochen; für den Nachmittag war die Extrafahrt nach-
Reutlingen anberaumt. Zwischen den Süßigkeiten lag die Pille. Die Ver¬
handlung soll, nach den vorliegenden Berichten, sehr lebhaft, sehr warm ge¬
wesen sein. Sie endete mit dem Uebergang zur Tagesordnung, für welche
die Mehrheit mit 115 gegen 104 Stimmen sich aussprach. Nach der verun¬
glückten Commission kamen die Twistzölle. Die Debatte wurde durch die
Extrafahrt unterbrochen, und am folgenden Tage wurden die Anträge aus
stufenweise Ermäßigung der Twistzölle ebenfalls, mit 98 gegen 88 Stimmen,
durch die Tagesordnung beseitigt. Nun hatten die geschlagenen Führer ge¬
nug; sie ließen die Zuckerzölle fallen. Woher aber die Niederlage, der man
doch in Köln noch glücklich entgangen war, obgleich dort auch Eisenprodu¬
centen um Erhaltung des Schutzes für ihre tief darnieder liegende Industrie
gebeten hatten, nachdem, taktlos genug, in einem so unpassenden Zeitpunkte,
und ohne jede Aussicht auf baldigen Erfolg, die Ermäßigung der Eisenzölle
zur Sprache gebracht worden? Woher insbesondere der Eifer gegen Ernennung
einer Commission über die Reform der Zollvereinsgesetzgebung? Zuerst die
Twistzölle, bei denen die Sache ganz einfach liegt. Die Mehrheit war von
den Spinnern aus Würtemberg und Augsburg gemacht, denen es sehr gut
geht, und die deshalb nicht so artig waren wie die gedrückten Hüttenbesitzcr
am Rhein. Sie wollen keine Ermäßigung der Twistzolle — die Weber den¬
ken anders — und sorgten daher für eine Mehrheit gegen den Antrag. War
die Mehrheit nicht größer, so kommt dies vermuthlich daher, daß die Herren
nicht mehr Geld sür Eintrittskarten ausgeben wollten, als für ihren Zweck


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/20>, abgerufen am 27.12.2024.