Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.der nicht unbefangen und von naiver Anschauung getrieben ein's Werk ging, War schon Flandrin, indem er in der Weise des Meisters die Italiener Grenzboten IV. 1S61. 22
der nicht unbefangen und von naiver Anschauung getrieben ein's Werk ging, War schon Flandrin, indem er in der Weise des Meisters die Italiener Grenzboten IV. 1S61. 22
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der nicht unbefangen und von naiver Anschauung getrieben ein's Werk ging,
ungleich schwieriger; auch sagten solche Motive von mehr dramatischer Erregt¬
heit dem Talente Flandrins nicht zu. Es fehlt dem Bilde am rechten Leben,
dem Christuskopf an Ausdruck, und in den Figuren greift die Bewegung des
Körpers durch die Gewänder nicht deutlich durch. Dagegen war der Maler
in der Darstellung der Heiligen in der Kirche des heil. Vincenz von Paula
(vollendet 1853) ganz in seinem Elemente; diese ziehen — die Seitenwunde
des Schiffs entlang — in stiller Andacht und doch, ganz von ihrem göttlichen
Beruf durchdrungen, in grandioser Würde, zwei feierliche Reihen bildend, dem
Heiland zu. Gerade durch die Einfachheit und statuarische Ruhe, mit der die
Gestalten, ganze volle Individuen von Einem mächtigen Gefühle bewegt und
doch jeder für sich vollkommen ausgeprägt in edler Gemessenheit dahinschreiten,
ist das Ganze von großer Wirkung. In allen neuen monumentalen Bildern,
welche Frankreich besitzt, sind es allein diese Arbeiten Flandrins, welche eben¬
sowohl durch die gediegene Ausführung, als den Adel des in ihnen aus¬
gesprochenen Lebens nicht bloß den Eindruck von Decorationsvildern machen.
Fast die gleiche Meisterschaft erreichte Flandrin in den vielen Portraits, die
er vom Jahre 1840 bis auf die neueste Zeit verfertigt (im Salon von 1361
unter andern der Prinz Napoleon), wenn er es auch in der Auffassung der
Individualität dem Lehrer nicht gleich thut; die Personen sind in der Erschei¬
nung ihrer edlen Existenz, in ihren guten Augenblicken wiedergegeben. Zeich¬
nung und Modellirung vortrefflich, wie bei Ingres, und eine Ausführung, in
der die Arbeit des Pinsels in die gleichmäßige Durchbildung wie ausgehoben
erscheint.
War schon Flandrin, indem er in der Weise des Meisters die Italiener
sich zum Vorbild nahm, in seinen religiösen Bildern hie und da, um die In¬
nigkeit des Ausdrucks zu retten, bis auf Giotto zurückgegangen, so lehnten
sich bald andere Schüler um so entschiedener an die älteren Italiener an, als
sie es jenem in der Vollendung der Form nicht gleichthun konnten und dafür
mit einem größern Aufwand von Frömmigkeit zu entschädigen meinten. Dazu
kam der Einfluß des deutschen Beispiels und die katholische Rückströmung der
dreißiger Jahre. Es ist hier nicht der Ort. auf die Bestrebungen der Nazci-
rener einzugehen; möglich, daß auch in Frankreich die Kunst das Bedürfniß
empfand, nach einem Inhalt zurückzugreifen, der ihr. wie sie wähnte, eine
neue Nahrung und eine zweite Jugend geben sollte. Gewiß ist. daß die
Schüler von Ingres, die sich alle lange in Italien aufgehalten, von der Wirk¬
samkeit der Veit und Overbeck nicht unberührt blieben; es erschien ihnen die
Nachahmung einer früheren Kunst als der bequemste Weg. die Malerei allmälig
zu neuer Blüthe zu führen. Die kirchliche Restauration, welche im bewußten
Gegensatz gegen die Julidynastie die Gesellschaft für sich zu gewinnen suchte
Grenzboten IV. 1S61. 22
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