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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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mal das Wahre unserer Geschichte, daß uns nicht gleich anderen Völkern ein
unmittelbar nationaler Drang zusammenführt, daß vielmehr mit dem Erlöschen
des höheren idealen Bandes, das einst im mittelalterlichen Kaiserthum Deutsch¬
land zusammenhielt, die hervorragendsten einzelnen Elemente zu spröder selb¬
ständiger Staatshoheit sich verfestigten, und daß also erst in und mit der Aus¬
bildung eines organisch rechtlichen Bürgerthums und seines Berufslebens, mit
dieser Reife der allgemeinen geschichtlichen und menschlichen Entwicklung, auch
die bleibende Form nationaler Einheit und Kraft für uns herbeikommen soll.

Wol mag eine große nationale Gefahr uns, noch ehe wir innerlich bis
zu jenem Punkte gereist sind, auf äußerem Wege die politische Einheit bringen.
Allein auch diese wäre dann insoweit immer noch derjenigen analog, mit
welcher gegenwärtig der büreaukratische Mechanismus die bürgerliche Gesellschaft
zusammenhält, und wäre darin der Anlage und Bestimmung unseres deutschen
Wesens noch nicht völlig angemessen, könnte nur der Uebergang zu einer wahren
von innen heraus kommenden und organischen Umgestaltung sein. Was da¬
gegen dahin wirkt, in den verschiedenen Gebieten unserer Volksarbeit den ge¬
meinsamen Berufsgeist in umfassender Weise zu wecken und ihn vor Allem
seiner ausgeprägten Rechtsform entgegenzuführen, das Alles (wozu wir also
insbesondere auch das Streben nach voller und gegenseitiger Freizügigkeit und
die unvollkommenen Anfänge unseres Vereinswesens rechnen, von volkswirth-
schaftlichen Kongressen und Handelstagen an bis zu den Versammlungen spe¬
ciellerer Berufszweige), das ist auch ein Schritt zu jener letzten und bleibenden
Begründung unserer Einheit. Kein Volk hat den rein objectiven Sinn für
eine allgemeine Sache, in welche der Einzelne mit seiner Thätigkeit sich hin¬
zugeben hat, in solcher Weise, wie unsere Nation. Gar oft geht dies geistige
sich Hingeben an einen allgemeinen Gegenstand bis zur größten Einseitigkeit
und zehrt z. B. im Gelehrten zu Gunsten seines einzelnen Faches den wahren
und vollen Menschen auf. Allein zu jener rechtlich bürgerlichen und organischen
Einigung der Berufsgenossen, dieser inneren Erneuerung unseres Volkslebens,
ist eben jener Sinn an seinem vollen Platze; hier wird sich zeigen, mit welcher
Allgewalt der rechtliche und sittliche Sinn für gemeinsame Berufsaufgabe in
unserem Volke zu wirken vermag.

Andere Nationen freilich sind einen andern Weg gegangen. In England
haben dieselben aus dem Mittelalter herübergel'ommcnen Gesellschaftselemente,
die bei uns (und in Frankreich) gegenüber dem einen Staatsmechcmismu"
zu bloßem Privatdasein herabsanken, vielmehr durch verständige und energische
Theilnahme an den öffentlichen und nationalen Angelegenheiten und durch
entsprechende Ausbildung ihrer Besitz- und Erwerbsgrundlagen, sich auch jene
Formen der Selbstregierung erhalten und gesichert, die wir bureaukratisch re¬
gierten Festlandsbewohner an ihnen bewundern. Allein jener oben erörterte.


mal das Wahre unserer Geschichte, daß uns nicht gleich anderen Völkern ein
unmittelbar nationaler Drang zusammenführt, daß vielmehr mit dem Erlöschen
des höheren idealen Bandes, das einst im mittelalterlichen Kaiserthum Deutsch¬
land zusammenhielt, die hervorragendsten einzelnen Elemente zu spröder selb¬
ständiger Staatshoheit sich verfestigten, und daß also erst in und mit der Aus¬
bildung eines organisch rechtlichen Bürgerthums und seines Berufslebens, mit
dieser Reife der allgemeinen geschichtlichen und menschlichen Entwicklung, auch
die bleibende Form nationaler Einheit und Kraft für uns herbeikommen soll.

Wol mag eine große nationale Gefahr uns, noch ehe wir innerlich bis
zu jenem Punkte gereist sind, auf äußerem Wege die politische Einheit bringen.
Allein auch diese wäre dann insoweit immer noch derjenigen analog, mit
welcher gegenwärtig der büreaukratische Mechanismus die bürgerliche Gesellschaft
zusammenhält, und wäre darin der Anlage und Bestimmung unseres deutschen
Wesens noch nicht völlig angemessen, könnte nur der Uebergang zu einer wahren
von innen heraus kommenden und organischen Umgestaltung sein. Was da¬
gegen dahin wirkt, in den verschiedenen Gebieten unserer Volksarbeit den ge¬
meinsamen Berufsgeist in umfassender Weise zu wecken und ihn vor Allem
seiner ausgeprägten Rechtsform entgegenzuführen, das Alles (wozu wir also
insbesondere auch das Streben nach voller und gegenseitiger Freizügigkeit und
die unvollkommenen Anfänge unseres Vereinswesens rechnen, von volkswirth-
schaftlichen Kongressen und Handelstagen an bis zu den Versammlungen spe¬
ciellerer Berufszweige), das ist auch ein Schritt zu jener letzten und bleibenden
Begründung unserer Einheit. Kein Volk hat den rein objectiven Sinn für
eine allgemeine Sache, in welche der Einzelne mit seiner Thätigkeit sich hin¬
zugeben hat, in solcher Weise, wie unsere Nation. Gar oft geht dies geistige
sich Hingeben an einen allgemeinen Gegenstand bis zur größten Einseitigkeit
und zehrt z. B. im Gelehrten zu Gunsten seines einzelnen Faches den wahren
und vollen Menschen auf. Allein zu jener rechtlich bürgerlichen und organischen
Einigung der Berufsgenossen, dieser inneren Erneuerung unseres Volkslebens,
ist eben jener Sinn an seinem vollen Platze; hier wird sich zeigen, mit welcher
Allgewalt der rechtliche und sittliche Sinn für gemeinsame Berufsaufgabe in
unserem Volke zu wirken vermag.

Andere Nationen freilich sind einen andern Weg gegangen. In England
haben dieselben aus dem Mittelalter herübergel'ommcnen Gesellschaftselemente,
die bei uns (und in Frankreich) gegenüber dem einen Staatsmechcmismu«
zu bloßem Privatdasein herabsanken, vielmehr durch verständige und energische
Theilnahme an den öffentlichen und nationalen Angelegenheiten und durch
entsprechende Ausbildung ihrer Besitz- und Erwerbsgrundlagen, sich auch jene
Formen der Selbstregierung erhalten und gesichert, die wir bureaukratisch re¬
gierten Festlandsbewohner an ihnen bewundern. Allein jener oben erörterte.


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[0143] mal das Wahre unserer Geschichte, daß uns nicht gleich anderen Völkern ein unmittelbar nationaler Drang zusammenführt, daß vielmehr mit dem Erlöschen des höheren idealen Bandes, das einst im mittelalterlichen Kaiserthum Deutsch¬ land zusammenhielt, die hervorragendsten einzelnen Elemente zu spröder selb¬ ständiger Staatshoheit sich verfestigten, und daß also erst in und mit der Aus¬ bildung eines organisch rechtlichen Bürgerthums und seines Berufslebens, mit dieser Reife der allgemeinen geschichtlichen und menschlichen Entwicklung, auch die bleibende Form nationaler Einheit und Kraft für uns herbeikommen soll. Wol mag eine große nationale Gefahr uns, noch ehe wir innerlich bis zu jenem Punkte gereist sind, auf äußerem Wege die politische Einheit bringen. Allein auch diese wäre dann insoweit immer noch derjenigen analog, mit welcher gegenwärtig der büreaukratische Mechanismus die bürgerliche Gesellschaft zusammenhält, und wäre darin der Anlage und Bestimmung unseres deutschen Wesens noch nicht völlig angemessen, könnte nur der Uebergang zu einer wahren von innen heraus kommenden und organischen Umgestaltung sein. Was da¬ gegen dahin wirkt, in den verschiedenen Gebieten unserer Volksarbeit den ge¬ meinsamen Berufsgeist in umfassender Weise zu wecken und ihn vor Allem seiner ausgeprägten Rechtsform entgegenzuführen, das Alles (wozu wir also insbesondere auch das Streben nach voller und gegenseitiger Freizügigkeit und die unvollkommenen Anfänge unseres Vereinswesens rechnen, von volkswirth- schaftlichen Kongressen und Handelstagen an bis zu den Versammlungen spe¬ ciellerer Berufszweige), das ist auch ein Schritt zu jener letzten und bleibenden Begründung unserer Einheit. Kein Volk hat den rein objectiven Sinn für eine allgemeine Sache, in welche der Einzelne mit seiner Thätigkeit sich hin¬ zugeben hat, in solcher Weise, wie unsere Nation. Gar oft geht dies geistige sich Hingeben an einen allgemeinen Gegenstand bis zur größten Einseitigkeit und zehrt z. B. im Gelehrten zu Gunsten seines einzelnen Faches den wahren und vollen Menschen auf. Allein zu jener rechtlich bürgerlichen und organischen Einigung der Berufsgenossen, dieser inneren Erneuerung unseres Volkslebens, ist eben jener Sinn an seinem vollen Platze; hier wird sich zeigen, mit welcher Allgewalt der rechtliche und sittliche Sinn für gemeinsame Berufsaufgabe in unserem Volke zu wirken vermag. Andere Nationen freilich sind einen andern Weg gegangen. In England haben dieselben aus dem Mittelalter herübergel'ommcnen Gesellschaftselemente, die bei uns (und in Frankreich) gegenüber dem einen Staatsmechcmismu« zu bloßem Privatdasein herabsanken, vielmehr durch verständige und energische Theilnahme an den öffentlichen und nationalen Angelegenheiten und durch entsprechende Ausbildung ihrer Besitz- und Erwerbsgrundlagen, sich auch jene Formen der Selbstregierung erhalten und gesichert, die wir bureaukratisch re¬ gierten Festlandsbewohner an ihnen bewundern. Allein jener oben erörterte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/143>, abgerufen am 23.07.2024.