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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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stehenden Sondcrdaseins unmöglich wird. Dies ist der tiefste allgemeine Grund,
weshalb z. B. eine unmittelbare Verschmelzung der übrigen Kleinstaaten mit
Preußen, trotz allen Bedürfnisses eines starken einheitlichen Schutzes nach
außen, unmöglich erscheint. Denn abgesehen von allen östreichisch-großdeutschen
und sonstigen Antipathieen und von dem mannigfachsten Widerstreite materieller
Sonderinteressen, welcher sich dagegen erheben würde, ist überhaupt gegenseitig
das Bewußtsein und Gefühl eines Sonderlebens vorhanden, das noch in
keinen organischen Fluß gekommen ist, sondern hinsichtlich der ganzen Rechts-
form und Rechtsanschauung der bürgerlichen Zustände noch in sich selbst ver¬
harrt, welches also bei aller nationalen Gemeinsamkeit doch wieder in der
mannigfachsten Weise sich abstoßen würde. Und indem nun zufolge dieser
ganzen Natur der bürgerlichen Zustände auch die einheitliche Verschmelzung
zunächst noch den Grundcharakter eines bureaukratisch zusammengefaßten Me¬
chanismus tragen müßte, so knüpft sich auch hieran wieder um so mehr die
Furcht, daß em Element der Nation sich auf Kosten der andern geltend machen,
daß das specifisch Preußische das Deutsche überwiegen würde u. s. f. Wie
jetzt noch unsere ganze Regierungsform ungeachtet aller constitutionellen For¬
men doch eine unfrei äußerliche Centralisirung ist, so fürchtet man in ganz
analoger Weise, daß bei einer gleichen Centralisirung der ganzen Nation
(statt der jetzigen Staatenvielheit) unwillkürlich einem Element, dem¬
jenigen, welches der nächste Träger dieser centralisirten Macht wäre, ein
überwiegender und der deutschen Natur widerstrebender Einfluß zufiele. Und
so ist es in gleicher Weise das spröd particularistische Wesen der bürgerlichen
Gesellschaftselemente, wie andererseits der ihm entsprechende unfreie Mechanis¬
mus der Staatsform, was derzeit unserer nationalen Einigung entgegensteht.

Daraus folgt nun freilich in keiner Weise, daß all' die nationalen Be¬
strebungen, mit deren endlichem Wiedererwachen die Nation so eben erst neu
aufzuathmen anfängt, daß all' die Bemühungen für deutsche Wehrhaftigkeit
zu Land und zur See, für einheitliche Vertretung im Innern und nach außen
u. s. w., vergeblich und bedeutungslos seien. So gewiß die industrielle Be¬
wegung bei all' ihrer oben nachgewiesenen Einseitigkeit nothwendig ist, um
die breite natürliche Grundlage unseres Volkslebens gegenüber der früheren
Verkümmerung herzustellen, so wenig wäre auch ohne jene nationalen
Regungen für uns vorwärts zu kommen. Ja in der nationalen Aufgabe ist
für uns Deutsche selbst wieder ein wesentliches Mittel gegeben, um der sittlich
erschlaffenden und selbstsüchtigen Macht des materiellen bloßen Erwerbsgeistes
entgegenzuwirken. Allein das haben wir allerdings hier klar zu machen ver¬
sucht, daß neben den unmittelbar nationalen Aufgaben und Strebungen immer,
doch die letzte innerlich einigende Macht für uns Deutsche in den rechtlich¬
socialen Aufgaben und deren wahrem Verständnisse liege. Dies ist nun ein-


stehenden Sondcrdaseins unmöglich wird. Dies ist der tiefste allgemeine Grund,
weshalb z. B. eine unmittelbare Verschmelzung der übrigen Kleinstaaten mit
Preußen, trotz allen Bedürfnisses eines starken einheitlichen Schutzes nach
außen, unmöglich erscheint. Denn abgesehen von allen östreichisch-großdeutschen
und sonstigen Antipathieen und von dem mannigfachsten Widerstreite materieller
Sonderinteressen, welcher sich dagegen erheben würde, ist überhaupt gegenseitig
das Bewußtsein und Gefühl eines Sonderlebens vorhanden, das noch in
keinen organischen Fluß gekommen ist, sondern hinsichtlich der ganzen Rechts-
form und Rechtsanschauung der bürgerlichen Zustände noch in sich selbst ver¬
harrt, welches also bei aller nationalen Gemeinsamkeit doch wieder in der
mannigfachsten Weise sich abstoßen würde. Und indem nun zufolge dieser
ganzen Natur der bürgerlichen Zustände auch die einheitliche Verschmelzung
zunächst noch den Grundcharakter eines bureaukratisch zusammengefaßten Me¬
chanismus tragen müßte, so knüpft sich auch hieran wieder um so mehr die
Furcht, daß em Element der Nation sich auf Kosten der andern geltend machen,
daß das specifisch Preußische das Deutsche überwiegen würde u. s. f. Wie
jetzt noch unsere ganze Regierungsform ungeachtet aller constitutionellen For¬
men doch eine unfrei äußerliche Centralisirung ist, so fürchtet man in ganz
analoger Weise, daß bei einer gleichen Centralisirung der ganzen Nation
(statt der jetzigen Staatenvielheit) unwillkürlich einem Element, dem¬
jenigen, welches der nächste Träger dieser centralisirten Macht wäre, ein
überwiegender und der deutschen Natur widerstrebender Einfluß zufiele. Und
so ist es in gleicher Weise das spröd particularistische Wesen der bürgerlichen
Gesellschaftselemente, wie andererseits der ihm entsprechende unfreie Mechanis¬
mus der Staatsform, was derzeit unserer nationalen Einigung entgegensteht.

Daraus folgt nun freilich in keiner Weise, daß all' die nationalen Be¬
strebungen, mit deren endlichem Wiedererwachen die Nation so eben erst neu
aufzuathmen anfängt, daß all' die Bemühungen für deutsche Wehrhaftigkeit
zu Land und zur See, für einheitliche Vertretung im Innern und nach außen
u. s. w., vergeblich und bedeutungslos seien. So gewiß die industrielle Be¬
wegung bei all' ihrer oben nachgewiesenen Einseitigkeit nothwendig ist, um
die breite natürliche Grundlage unseres Volkslebens gegenüber der früheren
Verkümmerung herzustellen, so wenig wäre auch ohne jene nationalen
Regungen für uns vorwärts zu kommen. Ja in der nationalen Aufgabe ist
für uns Deutsche selbst wieder ein wesentliches Mittel gegeben, um der sittlich
erschlaffenden und selbstsüchtigen Macht des materiellen bloßen Erwerbsgeistes
entgegenzuwirken. Allein das haben wir allerdings hier klar zu machen ver¬
sucht, daß neben den unmittelbar nationalen Aufgaben und Strebungen immer,
doch die letzte innerlich einigende Macht für uns Deutsche in den rechtlich¬
socialen Aufgaben und deren wahrem Verständnisse liege. Dies ist nun ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/142>, abgerufen am 23.07.2024.