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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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ante wagen wir es mit leichtem Herzen vor die Jury hinzutreten, welche aus
den Lesern dieser Zeitschrift besteht. Wir plaidiren "Nicht schuldig" und wir
leben der getrosten Zuversicht, daß der Wahrspruch der Geschworenen, ja daß
der öffentliche Ankläger selbst uns freisprechen wird.

In einem Punkte freilich räumen wir unsere Schuld ein. Ja es ist
wahr, wir sind nicht mehr, was die alte Hansa gewesen ist. Wir spielen
nicht mehr auf den Meeren die große Rolle, die unsere Vorfahren so glorreich
durchführten. Aber wir glauben, daß wir "mildernde Umstände" zu unseren
Gunsten anführen können. Wir sind unserer nur noch drei, während die alte
Hansa ihre Bundesglieder nach vielen Dutzenden zankte. Die Gegner der
alten Hansa dagegen waren arme und unbehilfliche Dynasten, deren verfüg¬
bare Streitkräfte keinen Vergleich aushalten mit der organisirten Macht mo¬
derner Königreiche selbst dritten Ranges. Wir sind für Deutschland, abgesehen
von unserer politischen Verfassung, was Rotterdam und Amsterdam für Hol¬
land, was Liverpool und Hull für England, Marseille und Havre für Frank¬
reich sind, Handelsplätze, Seehäfen, ohne die Mittel, selbständig in die große
Politik einzugreifen. Ich für meine Person kann mir auch nicht vorstellen,
daß unser Anklüger, als er seine glänzende Schilderung von den Kriegsthaten
der alten Hanseaten entwarf, ernstlich daran gedacht hat, Ansprüche auf ähn¬
liche Leistungen an uns zu erheben. Er hat gewiß nur damit bezweckt, un¬
ser, wie er annahm, eingeschlafenes Ehrgefühl zu erwecken, und uns zu er¬
nähren für die Sache der deutschen Seegeltung nach dem Maße unserer jetzi¬
gen Kräfte thätig zu sein.

In der That, wenn wir in seinen Artikeln an die praktischen Anforde¬
rungen kommen, so finden wir, daß er nichts Anderes will. Er verlangt von
uns Bremern eine Leistung, deren jährlichen Geldwerth er auf 50,000 Thlr.
und mit Einschluß der Anlagekosten auf 75,000 Thlr. veranschlagt. Er fordert
nichts, was auch nur entfernt solche Wirkungen hervorrufen könnte, wie die
alte Hansa sie mit ihren Flotten erreichte. Er selbst weiß sehr wohl, daß dazu
die vereinigten Budgets der drei Städte nicht im Mindesten ausreichen wür¬
den, selbst wenn dieselben nur für Kriegsschiffe verwandt würden.

Haben wir in diesem Punkte die Absicht des Anklägers richtig verstanden,
so haben wir die Genugthuung, ihm erklären zu können, daß zwischen ihm
und uns Bremern in der Hauptsache ein vollkommenes EinVerständniß herrscht
und vom Anfang an geherrscht hat. Seitdem in unserer Mitte die Flotten¬
frage in erneute öffentliche Anregung gekommen ist, d. h. seit vorigem Früh¬
jahre ist dasjenige, was die Artikel der "Grenzboten" uns so nachdrücklich
und eifervoll als unsere Schuldigkeit predigen, als etwas durchaus Selbstver¬
ständliches von uns anerkannt worden. Von uns, d. h. von dem gesammten
Bremen, von dem Senate, von der Bürgerschaft, von dem Publicum, von


ante wagen wir es mit leichtem Herzen vor die Jury hinzutreten, welche aus
den Lesern dieser Zeitschrift besteht. Wir plaidiren „Nicht schuldig" und wir
leben der getrosten Zuversicht, daß der Wahrspruch der Geschworenen, ja daß
der öffentliche Ankläger selbst uns freisprechen wird.

In einem Punkte freilich räumen wir unsere Schuld ein. Ja es ist
wahr, wir sind nicht mehr, was die alte Hansa gewesen ist. Wir spielen
nicht mehr auf den Meeren die große Rolle, die unsere Vorfahren so glorreich
durchführten. Aber wir glauben, daß wir „mildernde Umstände" zu unseren
Gunsten anführen können. Wir sind unserer nur noch drei, während die alte
Hansa ihre Bundesglieder nach vielen Dutzenden zankte. Die Gegner der
alten Hansa dagegen waren arme und unbehilfliche Dynasten, deren verfüg¬
bare Streitkräfte keinen Vergleich aushalten mit der organisirten Macht mo¬
derner Königreiche selbst dritten Ranges. Wir sind für Deutschland, abgesehen
von unserer politischen Verfassung, was Rotterdam und Amsterdam für Hol¬
land, was Liverpool und Hull für England, Marseille und Havre für Frank¬
reich sind, Handelsplätze, Seehäfen, ohne die Mittel, selbständig in die große
Politik einzugreifen. Ich für meine Person kann mir auch nicht vorstellen,
daß unser Anklüger, als er seine glänzende Schilderung von den Kriegsthaten
der alten Hanseaten entwarf, ernstlich daran gedacht hat, Ansprüche auf ähn¬
liche Leistungen an uns zu erheben. Er hat gewiß nur damit bezweckt, un¬
ser, wie er annahm, eingeschlafenes Ehrgefühl zu erwecken, und uns zu er¬
nähren für die Sache der deutschen Seegeltung nach dem Maße unserer jetzi¬
gen Kräfte thätig zu sein.

In der That, wenn wir in seinen Artikeln an die praktischen Anforde¬
rungen kommen, so finden wir, daß er nichts Anderes will. Er verlangt von
uns Bremern eine Leistung, deren jährlichen Geldwerth er auf 50,000 Thlr.
und mit Einschluß der Anlagekosten auf 75,000 Thlr. veranschlagt. Er fordert
nichts, was auch nur entfernt solche Wirkungen hervorrufen könnte, wie die
alte Hansa sie mit ihren Flotten erreichte. Er selbst weiß sehr wohl, daß dazu
die vereinigten Budgets der drei Städte nicht im Mindesten ausreichen wür¬
den, selbst wenn dieselben nur für Kriegsschiffe verwandt würden.

Haben wir in diesem Punkte die Absicht des Anklägers richtig verstanden,
so haben wir die Genugthuung, ihm erklären zu können, daß zwischen ihm
und uns Bremern in der Hauptsache ein vollkommenes EinVerständniß herrscht
und vom Anfang an geherrscht hat. Seitdem in unserer Mitte die Flotten¬
frage in erneute öffentliche Anregung gekommen ist, d. h. seit vorigem Früh¬
jahre ist dasjenige, was die Artikel der „Grenzboten" uns so nachdrücklich
und eifervoll als unsere Schuldigkeit predigen, als etwas durchaus Selbstver¬
ständliches von uns anerkannt worden. Von uns, d. h. von dem gesammten
Bremen, von dem Senate, von der Bürgerschaft, von dem Publicum, von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/102>, abgerufen am 23.07.2024.