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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Wenn Juvenal vom Grammatiker sagt, daß er nach Ablauf des Jahres so
viel bekomme, als das Volk für einen Sieger im Wettkampfe bestimme, so
weiß man nicht, ob er den Wagenlenker im Circus. oder den Gladiator im
Amphitheater, oder den Schauspieler im Sinne hat; im letzten Falle wa¬
ren es fünf Goldstücke gewesen. Juvenal klagt auch im Namen der
Lehrer über Lässigkeit im Bezahlen; ja er sagt sogar, daß oft zur ge¬
richtlichen Klage geschritten werden müsse. Auch sei der Lehrer genö¬
thigt, mit sich handeln zu lassen wie ein Hausirer, und doch kurze endlich
noch die Summe der Rentmeister des Hauses und der Pädagog! So war denn
Armuth das gewöhnliche Loos der niederen Lehrer, und Ovid nennt den gro¬
ßen Haufen derselben "des Besitzes beraubt." Und daß die Dichter nicht
übertreiben, erhellt auch aus den wenigen Biographien berühmter Grammati¬
ker, die Sueton hinterlassen hat. Pompilius Andronicus war so arm, daß
er sein Hauptwerk für 16000 Sesterzen verkaufen mußte. Der gelehrte Vale-
rius Cato. ein sehr geschickter Lehrer, mußte sein Landgütchen bei Tusculum den
Gläubigern überlassen und lebte zuletzt in größter Noth in einer entlege¬
nen Brctterhütte. Julius Hyginus, Vorsteher der Palatinischen Bibliothek und
einer sehr besuchten Schule, lebte in seinem Alter von der Gnade des Ge¬
schichtsschreibers Casus Licinius, und Orbilius selbst hauste als Greis von bei¬
nahe 100 Jahren in einem Dachstübchen und schrieb ein Buch über die Krän¬
kungen, welche den Lehrern durch Vernachlässigung und durch die Eitelkeit der
Eltern bereitet werden, ein Buch, das vielleicht unzählige Auflagen und Ver¬
besserungen erlebt hätte, wenn es nicht verloren gegangen wäre! Zuweilen
freilich benutzten Einzelne den starken Zulauf, stellten höhere Preise und wur¬
den sogar reich. Dem schon erwähnten Rhemmius Palämon brachte seine
Schule jährlich 400000 Sesterzien (22000 ^hr.) xjn. Außerdem war er Klei¬
derfabrikant und Weinbergsbesitzer und .übrigens einer der anmaßendsten und
lasterhaftesten Menschen der ersten Kaiserzeit, so daß die Kaiser Tiverius und
Claudius erklärten, daß eigentlich keinem Menschen weniger als ihm die Er¬
ziehung der Kinder anvertraut werden sollte. Doch Niemand kehrte sich daran;
man ließ sich durch seine glänzenden Talente bestechen und dachte nicht an sei¬
nen entsittlichenden Einfluß! Entsprach er doch den Anforderungen, die man
an den Lehrer stellte und die Juvenal ungefähr in folgende Worte faßt: "Alle
grammatischen Regeln müssen ihm bekannt sein; er muß die Weltgeschichte ken¬
nen, alle Schriftsteller'wie seine Nägel und Finger auswendig wissen. Wenn
er zufällig in ein Bad kommt und wird gefragt, muß er den Namen der
Amme des Anchises kennen, muß sagen können, wie alt der sicilische Acestes
geworden sei und wie viel Faß Wein derselbe dem Aeneas geschenkt habe."
Die Staatsgewalt fühlte sich nicht berufen, verhütend in das Erziehungs - und
Untcrichtswescn einzugreifen; sogar fördernd that sie -- man kann es dreist


Wenn Juvenal vom Grammatiker sagt, daß er nach Ablauf des Jahres so
viel bekomme, als das Volk für einen Sieger im Wettkampfe bestimme, so
weiß man nicht, ob er den Wagenlenker im Circus. oder den Gladiator im
Amphitheater, oder den Schauspieler im Sinne hat; im letzten Falle wa¬
ren es fünf Goldstücke gewesen. Juvenal klagt auch im Namen der
Lehrer über Lässigkeit im Bezahlen; ja er sagt sogar, daß oft zur ge¬
richtlichen Klage geschritten werden müsse. Auch sei der Lehrer genö¬
thigt, mit sich handeln zu lassen wie ein Hausirer, und doch kurze endlich
noch die Summe der Rentmeister des Hauses und der Pädagog! So war denn
Armuth das gewöhnliche Loos der niederen Lehrer, und Ovid nennt den gro¬
ßen Haufen derselben „des Besitzes beraubt." Und daß die Dichter nicht
übertreiben, erhellt auch aus den wenigen Biographien berühmter Grammati¬
ker, die Sueton hinterlassen hat. Pompilius Andronicus war so arm, daß
er sein Hauptwerk für 16000 Sesterzen verkaufen mußte. Der gelehrte Vale-
rius Cato. ein sehr geschickter Lehrer, mußte sein Landgütchen bei Tusculum den
Gläubigern überlassen und lebte zuletzt in größter Noth in einer entlege¬
nen Brctterhütte. Julius Hyginus, Vorsteher der Palatinischen Bibliothek und
einer sehr besuchten Schule, lebte in seinem Alter von der Gnade des Ge¬
schichtsschreibers Casus Licinius, und Orbilius selbst hauste als Greis von bei¬
nahe 100 Jahren in einem Dachstübchen und schrieb ein Buch über die Krän¬
kungen, welche den Lehrern durch Vernachlässigung und durch die Eitelkeit der
Eltern bereitet werden, ein Buch, das vielleicht unzählige Auflagen und Ver¬
besserungen erlebt hätte, wenn es nicht verloren gegangen wäre! Zuweilen
freilich benutzten Einzelne den starken Zulauf, stellten höhere Preise und wur¬
den sogar reich. Dem schon erwähnten Rhemmius Palämon brachte seine
Schule jährlich 400000 Sesterzien (22000 ^hr.) xjn. Außerdem war er Klei¬
derfabrikant und Weinbergsbesitzer und .übrigens einer der anmaßendsten und
lasterhaftesten Menschen der ersten Kaiserzeit, so daß die Kaiser Tiverius und
Claudius erklärten, daß eigentlich keinem Menschen weniger als ihm die Er¬
ziehung der Kinder anvertraut werden sollte. Doch Niemand kehrte sich daran;
man ließ sich durch seine glänzenden Talente bestechen und dachte nicht an sei¬
nen entsittlichenden Einfluß! Entsprach er doch den Anforderungen, die man
an den Lehrer stellte und die Juvenal ungefähr in folgende Worte faßt: „Alle
grammatischen Regeln müssen ihm bekannt sein; er muß die Weltgeschichte ken¬
nen, alle Schriftsteller'wie seine Nägel und Finger auswendig wissen. Wenn
er zufällig in ein Bad kommt und wird gefragt, muß er den Namen der
Amme des Anchises kennen, muß sagen können, wie alt der sicilische Acestes
geworden sei und wie viel Faß Wein derselbe dem Aeneas geschenkt habe."
Die Staatsgewalt fühlte sich nicht berufen, verhütend in das Erziehungs - und
Untcrichtswescn einzugreifen; sogar fördernd that sie — man kann es dreist


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[0066] Wenn Juvenal vom Grammatiker sagt, daß er nach Ablauf des Jahres so viel bekomme, als das Volk für einen Sieger im Wettkampfe bestimme, so weiß man nicht, ob er den Wagenlenker im Circus. oder den Gladiator im Amphitheater, oder den Schauspieler im Sinne hat; im letzten Falle wa¬ ren es fünf Goldstücke gewesen. Juvenal klagt auch im Namen der Lehrer über Lässigkeit im Bezahlen; ja er sagt sogar, daß oft zur ge¬ richtlichen Klage geschritten werden müsse. Auch sei der Lehrer genö¬ thigt, mit sich handeln zu lassen wie ein Hausirer, und doch kurze endlich noch die Summe der Rentmeister des Hauses und der Pädagog! So war denn Armuth das gewöhnliche Loos der niederen Lehrer, und Ovid nennt den gro¬ ßen Haufen derselben „des Besitzes beraubt." Und daß die Dichter nicht übertreiben, erhellt auch aus den wenigen Biographien berühmter Grammati¬ ker, die Sueton hinterlassen hat. Pompilius Andronicus war so arm, daß er sein Hauptwerk für 16000 Sesterzen verkaufen mußte. Der gelehrte Vale- rius Cato. ein sehr geschickter Lehrer, mußte sein Landgütchen bei Tusculum den Gläubigern überlassen und lebte zuletzt in größter Noth in einer entlege¬ nen Brctterhütte. Julius Hyginus, Vorsteher der Palatinischen Bibliothek und einer sehr besuchten Schule, lebte in seinem Alter von der Gnade des Ge¬ schichtsschreibers Casus Licinius, und Orbilius selbst hauste als Greis von bei¬ nahe 100 Jahren in einem Dachstübchen und schrieb ein Buch über die Krän¬ kungen, welche den Lehrern durch Vernachlässigung und durch die Eitelkeit der Eltern bereitet werden, ein Buch, das vielleicht unzählige Auflagen und Ver¬ besserungen erlebt hätte, wenn es nicht verloren gegangen wäre! Zuweilen freilich benutzten Einzelne den starken Zulauf, stellten höhere Preise und wur¬ den sogar reich. Dem schon erwähnten Rhemmius Palämon brachte seine Schule jährlich 400000 Sesterzien (22000 ^hr.) xjn. Außerdem war er Klei¬ derfabrikant und Weinbergsbesitzer und .übrigens einer der anmaßendsten und lasterhaftesten Menschen der ersten Kaiserzeit, so daß die Kaiser Tiverius und Claudius erklärten, daß eigentlich keinem Menschen weniger als ihm die Er¬ ziehung der Kinder anvertraut werden sollte. Doch Niemand kehrte sich daran; man ließ sich durch seine glänzenden Talente bestechen und dachte nicht an sei¬ nen entsittlichenden Einfluß! Entsprach er doch den Anforderungen, die man an den Lehrer stellte und die Juvenal ungefähr in folgende Worte faßt: „Alle grammatischen Regeln müssen ihm bekannt sein; er muß die Weltgeschichte ken¬ nen, alle Schriftsteller'wie seine Nägel und Finger auswendig wissen. Wenn er zufällig in ein Bad kommt und wird gefragt, muß er den Namen der Amme des Anchises kennen, muß sagen können, wie alt der sicilische Acestes geworden sei und wie viel Faß Wein derselbe dem Aeneas geschenkt habe." Die Staatsgewalt fühlte sich nicht berufen, verhütend in das Erziehungs - und Untcrichtswescn einzugreifen; sogar fördernd that sie — man kann es dreist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/66>, abgerufen am 22.12.2024.