Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.Fertigkeit gehandhabten Rechenbretts denken will, welches vielleicht zugleich Fertigkeit gehandhabten Rechenbretts denken will, welches vielleicht zugleich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0057" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112027"/> <p xml:id="ID_217" prev="#ID_216"> Fertigkeit gehandhabten Rechenbretts denken will, welches vielleicht zugleich<lb/> mit der griechischen Buchstabenschrift von den Oströmern nach Rußland ge¬<lb/> bracht worden ist. Auf diesem sind die runden Steinchen an Drähte gereiht,<lb/> die parallel von links nach rechts gezogen sind und von denen jeder seinen neun<lb/> Steinchen bestimmte Geltung bringt. Der Maler Apelles verglich diese Ne-<lb/> chensteine nicht ohne Witz mit den Günstlingen der Fürsten, weil sie nach dem<lb/> Willen des Rechnenden jetzt einen Dreier und gleich darauf ein Talent gäl¬<lb/> ten ! — Auf die Erlernung des Lesens und Schreibens folgten bei den Knaben,<lb/> die besser erzogen wurden, Uebungen im Auswendiglernen und Declamiren<lb/> poetischer Stücke (in der alten Zeit auch der Gesetze). „Wenn die Knaben",<lb/> läßt Platon den Protagoras sagen, ..die Buchstaben kennen und anfangen,<lb/> das Geschriebene zu verstehen, so geben ihnen die Lehrer auf. die Ge¬<lb/> sänge guter Dichter vorzulesen und zwingen sie, dieselben auswendig zu lernen.<lb/> Darin finden sich viele Ermahnungen, aber auch viele Erzählungen zum Preis<lb/> und Ruhme trefflicher Männer der alten Zeit, und der Knabe soll dadurch<lb/> zum Wetteifer und zur Nachahmung angespornt werden." Außer den Dich¬<lb/> tungen Hesiods und der CMker, waren es vorzüglich die großen nationalen<lb/> Epopöen Homers, die als Mittel zur Erweckung des Nationalgefühls, der<lb/> Vaterlandsliebe, der Religiosität und des ästhetischen Sinnes in den Schulen<lb/> benutzt wurden. So wird denn nicht selten vorgekommen sein, was Nikratos<lb/> in Xenophons Gastmahle von sich rühmt: ..Mein Vater, darum besorgt, daß<lb/> ich ein braver Mann wurde, hat mich gezwungen, alle Gesänge Homers zu<lb/> lernen, und nun kann ich die ganze Ilias und Odyssee auswendig hersagen."<lb/> Wie aber in unserer Zeit vom Standpunkte materialistischer Knownothings und<lb/> hyperorthodoxer Obscuranten aus gegen die Lectüre der unsterblichen classischen<lb/> Kunstwerke der Alten, ja sogar die unserer eigenen Dichter zu Felde gezogen<lb/> wird, so fanden bereits im Alterthum Homer und Hesiod als Lehrmeister der<lb/> Jugend ihre Gegner, aber unter den philosophischen Denkern. Xenophanes<lb/> aus Kolophon (530 v. Chr.) bekämpfte die vermenschlichenden Volksvorstel¬<lb/> lungen des Polytheismus als Pantheist und drang auf Abschaffung Homers<lb/> und Hesiods. die beide ihren Göttern Diebstahl. Ehebruch und Betrug bei¬<lb/> legten. Ebenso urtheilte der streng sittliche Heraklit aus Ephesus (500), der<lb/> sogar behauptete, man müßte den Homer und ArchUochus aus den Schulen<lb/> werfen und mit Ruthen peitschen! Hoffentlich bleiben die Ansichten unserer<lb/> modernen Zeloten ebenso ohne Erfolg wie die jener uralten Reformatoren.<lb/> — Grammatische und sprachwissenschaftliche Belehrungen an das Lesen der<lb/> Klassiker zu knüpfen begann man sicher erst seit dem Zeitalter der Sophisten.<lb/> Gelehrsamkeit in unserem Sinne war ja überhaupt den Hellenen der besseren<lb/> Zeit: tödtende Einseitigkeit, des Freien unwürdig und nur die Arbeit von<lb/> Sklaven.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0057]
Fertigkeit gehandhabten Rechenbretts denken will, welches vielleicht zugleich
mit der griechischen Buchstabenschrift von den Oströmern nach Rußland ge¬
bracht worden ist. Auf diesem sind die runden Steinchen an Drähte gereiht,
die parallel von links nach rechts gezogen sind und von denen jeder seinen neun
Steinchen bestimmte Geltung bringt. Der Maler Apelles verglich diese Ne-
chensteine nicht ohne Witz mit den Günstlingen der Fürsten, weil sie nach dem
Willen des Rechnenden jetzt einen Dreier und gleich darauf ein Talent gäl¬
ten ! — Auf die Erlernung des Lesens und Schreibens folgten bei den Knaben,
die besser erzogen wurden, Uebungen im Auswendiglernen und Declamiren
poetischer Stücke (in der alten Zeit auch der Gesetze). „Wenn die Knaben",
läßt Platon den Protagoras sagen, ..die Buchstaben kennen und anfangen,
das Geschriebene zu verstehen, so geben ihnen die Lehrer auf. die Ge¬
sänge guter Dichter vorzulesen und zwingen sie, dieselben auswendig zu lernen.
Darin finden sich viele Ermahnungen, aber auch viele Erzählungen zum Preis
und Ruhme trefflicher Männer der alten Zeit, und der Knabe soll dadurch
zum Wetteifer und zur Nachahmung angespornt werden." Außer den Dich¬
tungen Hesiods und der CMker, waren es vorzüglich die großen nationalen
Epopöen Homers, die als Mittel zur Erweckung des Nationalgefühls, der
Vaterlandsliebe, der Religiosität und des ästhetischen Sinnes in den Schulen
benutzt wurden. So wird denn nicht selten vorgekommen sein, was Nikratos
in Xenophons Gastmahle von sich rühmt: ..Mein Vater, darum besorgt, daß
ich ein braver Mann wurde, hat mich gezwungen, alle Gesänge Homers zu
lernen, und nun kann ich die ganze Ilias und Odyssee auswendig hersagen."
Wie aber in unserer Zeit vom Standpunkte materialistischer Knownothings und
hyperorthodoxer Obscuranten aus gegen die Lectüre der unsterblichen classischen
Kunstwerke der Alten, ja sogar die unserer eigenen Dichter zu Felde gezogen
wird, so fanden bereits im Alterthum Homer und Hesiod als Lehrmeister der
Jugend ihre Gegner, aber unter den philosophischen Denkern. Xenophanes
aus Kolophon (530 v. Chr.) bekämpfte die vermenschlichenden Volksvorstel¬
lungen des Polytheismus als Pantheist und drang auf Abschaffung Homers
und Hesiods. die beide ihren Göttern Diebstahl. Ehebruch und Betrug bei¬
legten. Ebenso urtheilte der streng sittliche Heraklit aus Ephesus (500), der
sogar behauptete, man müßte den Homer und ArchUochus aus den Schulen
werfen und mit Ruthen peitschen! Hoffentlich bleiben die Ansichten unserer
modernen Zeloten ebenso ohne Erfolg wie die jener uralten Reformatoren.
— Grammatische und sprachwissenschaftliche Belehrungen an das Lesen der
Klassiker zu knüpfen begann man sicher erst seit dem Zeitalter der Sophisten.
Gelehrsamkeit in unserem Sinne war ja überhaupt den Hellenen der besseren
Zeit: tödtende Einseitigkeit, des Freien unwürdig und nur die Arbeit von
Sklaven.
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