Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Laterne mit geölter Leinwand geflickt worden ist, dann gehen ,die Parteien
auseinander." Auf allen Bildwerken erscheinen die Pädagogen mit Leibrock.
Mantel und hohen Schnürstiefeln bekleidet und außerdem am Krückstocke und
ehrwürdigen Barte kenntlich.

Wie schon aus den erwähnten solonischen Gesetzen erhellt, begann der
Unterricht in den Elementarschulen mit Sonnenaufgang. So will es auch
Platon, und Thucydides erwähnt bei der Erzählung des Ueberfalls von My-
kalessus, daß derselbe mit Tagesanbruch geschah, als die Schule sich kaum erst
gefüllt hatte. Daß auch nach der leichten Mittagsmahlzeit Unterricht ertheilt
wurde, zeigt das solonische Gebot, die Schulen mit Sonnenuntergang zu
schließen. Darum heißt es auch bei Lucian in einem Gespräche: "Ich werde,
wie die Kinder, früh und Nachmittags zu Dir kommen, um Deine Kunst
zu erlernen." In der Schule des Grammatisten saßen die Kinder auf stufen-
artig ansteigenden hölzernen Bänken. Der Unterricht begann mit dem Erler¬
nen der Buchstaben, dem das Buchstabiren folgte. Man hat die Erfindung
der Lautirmcthode nach einer falsch verstandenen Stelle den Griechen zu¬
schreiben wollen; allein in den Fragmenten, die uns Athenäus von der "gram¬
matischen Komödie" des Kallias (410 v. Chr.) erhalten hat, buchstabirt
der Chor der Weiber ganz nach der noch vor wenigen Jahrzehnten herrschen¬
den Weise. Das Lesenlernen ging gewöhnlich langsam und mühselig von
Statten; aber man gewöhnte auch die Knaben dabei an eine deutliche Arti-
culation und sah auf melodischen Klang und Rhythmus des Vortrags. Beim
Schreiben zog der Lehrer, wie Platon erwähnt, den Anfängern Linien und
schrieb ihnen wol auch die Buchstaben vor. Dabei benutzten die Knaben
wahrscheinlich, wie die Erwachsenen zu thun pflegten, das herangezogene Knie
als Stützpunkt für den Schreibapparat. Uebrigens verlangt Platon, der nur
drei Jahre auf den Elementarunterricht verwendet wissen will, gerade keine
Fertigkeit im Schön- und Schncllschreiben, wenn dieselbe nicht innerhalb dieser
Zeit gewonnen werden könnte. -- Hinsichtlich des arithmetischen Unterrichts
schlägt derselbe vor, durch die sinnliche Anschauung, durch Bertheilen und Zu¬
sammenordnen von Aepfeln, Kränzen oder metallenen Gefäßen die Zahlbe¬
griffe spielend den Kindern beizubringen. In den Schulen wird man aber
wol, wie im gewöhnlichen Leben, sich hierzu theils der Finger, theils der
Rechensteine bedient haben. Während nämlich schon die einzelnen Finger ihre
bestimmte und, je nachdem sie der rechten oder linken Hand angehörten, ver¬
schiedene Geltung hatten, drückten die durch Zusammenstellung und Biegung
derselben entstehenden Figuren die mannigfaltigsten Zahlverhältnisse aus. Zu
den Rechensteinen gehörte auch das Rechenbrett, auf dem wahrscheinlich durch
Linien die Stellen abgetheilt waren, welche die Geltung der Steine bestimmten;
wenn man nicht bereits an die Einrichtung des von den Russen mit großer


Laterne mit geölter Leinwand geflickt worden ist, dann gehen ,die Parteien
auseinander." Auf allen Bildwerken erscheinen die Pädagogen mit Leibrock.
Mantel und hohen Schnürstiefeln bekleidet und außerdem am Krückstocke und
ehrwürdigen Barte kenntlich.

Wie schon aus den erwähnten solonischen Gesetzen erhellt, begann der
Unterricht in den Elementarschulen mit Sonnenaufgang. So will es auch
Platon, und Thucydides erwähnt bei der Erzählung des Ueberfalls von My-
kalessus, daß derselbe mit Tagesanbruch geschah, als die Schule sich kaum erst
gefüllt hatte. Daß auch nach der leichten Mittagsmahlzeit Unterricht ertheilt
wurde, zeigt das solonische Gebot, die Schulen mit Sonnenuntergang zu
schließen. Darum heißt es auch bei Lucian in einem Gespräche: „Ich werde,
wie die Kinder, früh und Nachmittags zu Dir kommen, um Deine Kunst
zu erlernen." In der Schule des Grammatisten saßen die Kinder auf stufen-
artig ansteigenden hölzernen Bänken. Der Unterricht begann mit dem Erler¬
nen der Buchstaben, dem das Buchstabiren folgte. Man hat die Erfindung
der Lautirmcthode nach einer falsch verstandenen Stelle den Griechen zu¬
schreiben wollen; allein in den Fragmenten, die uns Athenäus von der „gram¬
matischen Komödie" des Kallias (410 v. Chr.) erhalten hat, buchstabirt
der Chor der Weiber ganz nach der noch vor wenigen Jahrzehnten herrschen¬
den Weise. Das Lesenlernen ging gewöhnlich langsam und mühselig von
Statten; aber man gewöhnte auch die Knaben dabei an eine deutliche Arti-
culation und sah auf melodischen Klang und Rhythmus des Vortrags. Beim
Schreiben zog der Lehrer, wie Platon erwähnt, den Anfängern Linien und
schrieb ihnen wol auch die Buchstaben vor. Dabei benutzten die Knaben
wahrscheinlich, wie die Erwachsenen zu thun pflegten, das herangezogene Knie
als Stützpunkt für den Schreibapparat. Uebrigens verlangt Platon, der nur
drei Jahre auf den Elementarunterricht verwendet wissen will, gerade keine
Fertigkeit im Schön- und Schncllschreiben, wenn dieselbe nicht innerhalb dieser
Zeit gewonnen werden könnte. — Hinsichtlich des arithmetischen Unterrichts
schlägt derselbe vor, durch die sinnliche Anschauung, durch Bertheilen und Zu¬
sammenordnen von Aepfeln, Kränzen oder metallenen Gefäßen die Zahlbe¬
griffe spielend den Kindern beizubringen. In den Schulen wird man aber
wol, wie im gewöhnlichen Leben, sich hierzu theils der Finger, theils der
Rechensteine bedient haben. Während nämlich schon die einzelnen Finger ihre
bestimmte und, je nachdem sie der rechten oder linken Hand angehörten, ver¬
schiedene Geltung hatten, drückten die durch Zusammenstellung und Biegung
derselben entstehenden Figuren die mannigfaltigsten Zahlverhältnisse aus. Zu
den Rechensteinen gehörte auch das Rechenbrett, auf dem wahrscheinlich durch
Linien die Stellen abgetheilt waren, welche die Geltung der Steine bestimmten;
wenn man nicht bereits an die Einrichtung des von den Russen mit großer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/112026"/>
          <p xml:id="ID_215" prev="#ID_214"> Laterne mit geölter Leinwand geflickt worden ist, dann gehen ,die Parteien<lb/>
auseinander." Auf allen Bildwerken erscheinen die Pädagogen mit Leibrock.<lb/>
Mantel und hohen Schnürstiefeln bekleidet und außerdem am Krückstocke und<lb/>
ehrwürdigen Barte kenntlich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_216" next="#ID_217"> Wie schon aus den erwähnten solonischen Gesetzen erhellt, begann der<lb/>
Unterricht in den Elementarschulen mit Sonnenaufgang. So will es auch<lb/>
Platon, und Thucydides erwähnt bei der Erzählung des Ueberfalls von My-<lb/>
kalessus, daß derselbe mit Tagesanbruch geschah, als die Schule sich kaum erst<lb/>
gefüllt hatte. Daß auch nach der leichten Mittagsmahlzeit Unterricht ertheilt<lb/>
wurde, zeigt das solonische Gebot, die Schulen mit Sonnenuntergang zu<lb/>
schließen. Darum heißt es auch bei Lucian in einem Gespräche: &#x201E;Ich werde,<lb/>
wie die Kinder, früh und Nachmittags zu Dir kommen, um Deine Kunst<lb/>
zu erlernen." In der Schule des Grammatisten saßen die Kinder auf stufen-<lb/>
artig ansteigenden hölzernen Bänken. Der Unterricht begann mit dem Erler¬<lb/>
nen der Buchstaben, dem das Buchstabiren folgte. Man hat die Erfindung<lb/>
der Lautirmcthode nach einer falsch verstandenen Stelle den Griechen zu¬<lb/>
schreiben wollen; allein in den Fragmenten, die uns Athenäus von der &#x201E;gram¬<lb/>
matischen Komödie" des Kallias (410 v. Chr.) erhalten hat, buchstabirt<lb/>
der Chor der Weiber ganz nach der noch vor wenigen Jahrzehnten herrschen¬<lb/>
den Weise. Das Lesenlernen ging gewöhnlich langsam und mühselig von<lb/>
Statten; aber man gewöhnte auch die Knaben dabei an eine deutliche Arti-<lb/>
culation und sah auf melodischen Klang und Rhythmus des Vortrags. Beim<lb/>
Schreiben zog der Lehrer, wie Platon erwähnt, den Anfängern Linien und<lb/>
schrieb ihnen wol auch die Buchstaben vor. Dabei benutzten die Knaben<lb/>
wahrscheinlich, wie die Erwachsenen zu thun pflegten, das herangezogene Knie<lb/>
als Stützpunkt für den Schreibapparat. Uebrigens verlangt Platon, der nur<lb/>
drei Jahre auf den Elementarunterricht verwendet wissen will, gerade keine<lb/>
Fertigkeit im Schön- und Schncllschreiben, wenn dieselbe nicht innerhalb dieser<lb/>
Zeit gewonnen werden könnte. &#x2014; Hinsichtlich des arithmetischen Unterrichts<lb/>
schlägt derselbe vor, durch die sinnliche Anschauung, durch Bertheilen und Zu¬<lb/>
sammenordnen von Aepfeln, Kränzen oder metallenen Gefäßen die Zahlbe¬<lb/>
griffe spielend den Kindern beizubringen. In den Schulen wird man aber<lb/>
wol, wie im gewöhnlichen Leben, sich hierzu theils der Finger, theils der<lb/>
Rechensteine bedient haben. Während nämlich schon die einzelnen Finger ihre<lb/>
bestimmte und, je nachdem sie der rechten oder linken Hand angehörten, ver¬<lb/>
schiedene Geltung hatten, drückten die durch Zusammenstellung und Biegung<lb/>
derselben entstehenden Figuren die mannigfaltigsten Zahlverhältnisse aus. Zu<lb/>
den Rechensteinen gehörte auch das Rechenbrett, auf dem wahrscheinlich durch<lb/>
Linien die Stellen abgetheilt waren, welche die Geltung der Steine bestimmten;<lb/>
wenn man nicht bereits an die Einrichtung des von den Russen mit großer</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0056] Laterne mit geölter Leinwand geflickt worden ist, dann gehen ,die Parteien auseinander." Auf allen Bildwerken erscheinen die Pädagogen mit Leibrock. Mantel und hohen Schnürstiefeln bekleidet und außerdem am Krückstocke und ehrwürdigen Barte kenntlich. Wie schon aus den erwähnten solonischen Gesetzen erhellt, begann der Unterricht in den Elementarschulen mit Sonnenaufgang. So will es auch Platon, und Thucydides erwähnt bei der Erzählung des Ueberfalls von My- kalessus, daß derselbe mit Tagesanbruch geschah, als die Schule sich kaum erst gefüllt hatte. Daß auch nach der leichten Mittagsmahlzeit Unterricht ertheilt wurde, zeigt das solonische Gebot, die Schulen mit Sonnenuntergang zu schließen. Darum heißt es auch bei Lucian in einem Gespräche: „Ich werde, wie die Kinder, früh und Nachmittags zu Dir kommen, um Deine Kunst zu erlernen." In der Schule des Grammatisten saßen die Kinder auf stufen- artig ansteigenden hölzernen Bänken. Der Unterricht begann mit dem Erler¬ nen der Buchstaben, dem das Buchstabiren folgte. Man hat die Erfindung der Lautirmcthode nach einer falsch verstandenen Stelle den Griechen zu¬ schreiben wollen; allein in den Fragmenten, die uns Athenäus von der „gram¬ matischen Komödie" des Kallias (410 v. Chr.) erhalten hat, buchstabirt der Chor der Weiber ganz nach der noch vor wenigen Jahrzehnten herrschen¬ den Weise. Das Lesenlernen ging gewöhnlich langsam und mühselig von Statten; aber man gewöhnte auch die Knaben dabei an eine deutliche Arti- culation und sah auf melodischen Klang und Rhythmus des Vortrags. Beim Schreiben zog der Lehrer, wie Platon erwähnt, den Anfängern Linien und schrieb ihnen wol auch die Buchstaben vor. Dabei benutzten die Knaben wahrscheinlich, wie die Erwachsenen zu thun pflegten, das herangezogene Knie als Stützpunkt für den Schreibapparat. Uebrigens verlangt Platon, der nur drei Jahre auf den Elementarunterricht verwendet wissen will, gerade keine Fertigkeit im Schön- und Schncllschreiben, wenn dieselbe nicht innerhalb dieser Zeit gewonnen werden könnte. — Hinsichtlich des arithmetischen Unterrichts schlägt derselbe vor, durch die sinnliche Anschauung, durch Bertheilen und Zu¬ sammenordnen von Aepfeln, Kränzen oder metallenen Gefäßen die Zahlbe¬ griffe spielend den Kindern beizubringen. In den Schulen wird man aber wol, wie im gewöhnlichen Leben, sich hierzu theils der Finger, theils der Rechensteine bedient haben. Während nämlich schon die einzelnen Finger ihre bestimmte und, je nachdem sie der rechten oder linken Hand angehörten, ver¬ schiedene Geltung hatten, drückten die durch Zusammenstellung und Biegung derselben entstehenden Figuren die mannigfaltigsten Zahlverhältnisse aus. Zu den Rechensteinen gehörte auch das Rechenbrett, auf dem wahrscheinlich durch Linien die Stellen abgetheilt waren, welche die Geltung der Steine bestimmten; wenn man nicht bereits an die Einrichtung des von den Russen mit großer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/56
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/56>, abgerufen am 22.07.2024.