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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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seinem Generalstab, um ihn und in die Ferne sich verlierend das Schlacht¬
getümmel. Doch fühlt der Beschauer wohl, daß sich der Künstler für seinen
Stoff begeistert hatte und daß ihn die große Bedeutung des Moments be¬
wegte. Wie ideal Gerard sein Motiv auffaßte, zeigt die eigenthümliche Zu¬
gabe der vier kolossalen allegorischen Figuren, welche ursprünglich, das Bild
zu halten und zu entrollen schienen (gegenwärtig als selbständige Bilder im
Louvre); und so sehr diese frostige Idee an die Reflexion der modernen Zeit
erinnern mag, so ist doch den weiblichen Gestalten, welche den Ruhm, den
Sieg, die Geschichte und die Poesie vorstellen, -- das Alles sah die Zeit in
dem Kaiser verwirklicht -- ein großartiger Schwung der Linien und der Aus¬
druck einer ernsten Würde nicht abzusprechen.

Die folgenden Jahre war der Künstler wieder vollauf mit Portraits be-
schäftigt. Er wußte die Persönlichkeit in einem günstigen Lichte aufzufassen
und in eleganter Weise wiederzugeben, alle Fürsten wollten nur von ihm
gemalt^sein. Die Restauration kam, und schon in ihrem ersten kurzen Zwischen-
reiche ging Görard leichten Schrittes zu ihr über: so ernst es ihm auch mit
der Kunst war, im Leben war er elastisch und vor Allem Weltmann. Er
malte schon 1814 den wiedereingesetzten Ludwig an seinem Schreibtisch in
den Tuilerien; mit der idealen Auffassung hatte es da freilich ein Ende, und
Gsrard hatte das richtige Gefühl, daß sich diese fette, prosaische Mittel¬
mäßigkeit im königlichen Ornat und in der Bibliothek mit dem Ausdruck der
Gleichgültigkeit noch am Besten ausnehme. Statt der Könige malte er
nun die Minister. Es mochte ihm doch nicht ganz wohl sein bei der
neuesten Wendung der Dinge, in der die Gesellschaft aus dem Erhabenen
in's Platte fiel. Endlich ward ihm ein besserer Auftrag, der wenigstens
einer malerischen Behandlung nicht widerstrebte: "Der Einzug Heinrichs des
Vierten in Paris" (Salon von 1817). Das Bild ist insofern epoche¬
machend, als es -- einige wenige Vorläufer blieben ohne Einfluß -- der
neuen Malerei den Anstoß gab. ihre Motive aus der Vergangenheit Frank¬
reichs zu holen. Die günstige Erscheinung, welche die malerischen Cultur-
formen früherer Zeitalter dem Künstler bieten, dann der Vortheil eines be¬
deutenden das nationale Interesse erregenden Inhaltes, endlich die Freiheit,
mit der die Phantasie über den vergangenen und doch nicht fremden Stoff
verfügen kann, das Alles war in G6arts Werk für die Künstler von über¬
zeugender Wirkung. Der gefährliche Reiz des Costüms aus der Renaissance-
Zeit fängt schon hier an seine Rolle zu spielen, und so bricht auch von dieser
Seite das Romantische in die David'sche Schule ein. Doch hat das Ge-
mälde noch einen besseren Werth: die figurenreiche Anordnung ist lebendig
und klar, und vor Allem spricht sich der Vorgang und die Empfindung des-
selben in den verschiedenartig charakteristrten Köpfen. Gestalten und Gruppen


seinem Generalstab, um ihn und in die Ferne sich verlierend das Schlacht¬
getümmel. Doch fühlt der Beschauer wohl, daß sich der Künstler für seinen
Stoff begeistert hatte und daß ihn die große Bedeutung des Moments be¬
wegte. Wie ideal Gerard sein Motiv auffaßte, zeigt die eigenthümliche Zu¬
gabe der vier kolossalen allegorischen Figuren, welche ursprünglich, das Bild
zu halten und zu entrollen schienen (gegenwärtig als selbständige Bilder im
Louvre); und so sehr diese frostige Idee an die Reflexion der modernen Zeit
erinnern mag, so ist doch den weiblichen Gestalten, welche den Ruhm, den
Sieg, die Geschichte und die Poesie vorstellen, — das Alles sah die Zeit in
dem Kaiser verwirklicht — ein großartiger Schwung der Linien und der Aus¬
druck einer ernsten Würde nicht abzusprechen.

Die folgenden Jahre war der Künstler wieder vollauf mit Portraits be-
schäftigt. Er wußte die Persönlichkeit in einem günstigen Lichte aufzufassen
und in eleganter Weise wiederzugeben, alle Fürsten wollten nur von ihm
gemalt^sein. Die Restauration kam, und schon in ihrem ersten kurzen Zwischen-
reiche ging Görard leichten Schrittes zu ihr über: so ernst es ihm auch mit
der Kunst war, im Leben war er elastisch und vor Allem Weltmann. Er
malte schon 1814 den wiedereingesetzten Ludwig an seinem Schreibtisch in
den Tuilerien; mit der idealen Auffassung hatte es da freilich ein Ende, und
Gsrard hatte das richtige Gefühl, daß sich diese fette, prosaische Mittel¬
mäßigkeit im königlichen Ornat und in der Bibliothek mit dem Ausdruck der
Gleichgültigkeit noch am Besten ausnehme. Statt der Könige malte er
nun die Minister. Es mochte ihm doch nicht ganz wohl sein bei der
neuesten Wendung der Dinge, in der die Gesellschaft aus dem Erhabenen
in's Platte fiel. Endlich ward ihm ein besserer Auftrag, der wenigstens
einer malerischen Behandlung nicht widerstrebte: „Der Einzug Heinrichs des
Vierten in Paris" (Salon von 1817). Das Bild ist insofern epoche¬
machend, als es — einige wenige Vorläufer blieben ohne Einfluß — der
neuen Malerei den Anstoß gab. ihre Motive aus der Vergangenheit Frank¬
reichs zu holen. Die günstige Erscheinung, welche die malerischen Cultur-
formen früherer Zeitalter dem Künstler bieten, dann der Vortheil eines be¬
deutenden das nationale Interesse erregenden Inhaltes, endlich die Freiheit,
mit der die Phantasie über den vergangenen und doch nicht fremden Stoff
verfügen kann, das Alles war in G6arts Werk für die Künstler von über¬
zeugender Wirkung. Der gefährliche Reiz des Costüms aus der Renaissance-
Zeit fängt schon hier an seine Rolle zu spielen, und so bricht auch von dieser
Seite das Romantische in die David'sche Schule ein. Doch hat das Ge-
mälde noch einen besseren Werth: die figurenreiche Anordnung ist lebendig
und klar, und vor Allem spricht sich der Vorgang und die Empfindung des-
selben in den verschiedenartig charakteristrten Köpfen. Gestalten und Gruppen


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[0517] seinem Generalstab, um ihn und in die Ferne sich verlierend das Schlacht¬ getümmel. Doch fühlt der Beschauer wohl, daß sich der Künstler für seinen Stoff begeistert hatte und daß ihn die große Bedeutung des Moments be¬ wegte. Wie ideal Gerard sein Motiv auffaßte, zeigt die eigenthümliche Zu¬ gabe der vier kolossalen allegorischen Figuren, welche ursprünglich, das Bild zu halten und zu entrollen schienen (gegenwärtig als selbständige Bilder im Louvre); und so sehr diese frostige Idee an die Reflexion der modernen Zeit erinnern mag, so ist doch den weiblichen Gestalten, welche den Ruhm, den Sieg, die Geschichte und die Poesie vorstellen, — das Alles sah die Zeit in dem Kaiser verwirklicht — ein großartiger Schwung der Linien und der Aus¬ druck einer ernsten Würde nicht abzusprechen. Die folgenden Jahre war der Künstler wieder vollauf mit Portraits be- schäftigt. Er wußte die Persönlichkeit in einem günstigen Lichte aufzufassen und in eleganter Weise wiederzugeben, alle Fürsten wollten nur von ihm gemalt^sein. Die Restauration kam, und schon in ihrem ersten kurzen Zwischen- reiche ging Görard leichten Schrittes zu ihr über: so ernst es ihm auch mit der Kunst war, im Leben war er elastisch und vor Allem Weltmann. Er malte schon 1814 den wiedereingesetzten Ludwig an seinem Schreibtisch in den Tuilerien; mit der idealen Auffassung hatte es da freilich ein Ende, und Gsrard hatte das richtige Gefühl, daß sich diese fette, prosaische Mittel¬ mäßigkeit im königlichen Ornat und in der Bibliothek mit dem Ausdruck der Gleichgültigkeit noch am Besten ausnehme. Statt der Könige malte er nun die Minister. Es mochte ihm doch nicht ganz wohl sein bei der neuesten Wendung der Dinge, in der die Gesellschaft aus dem Erhabenen in's Platte fiel. Endlich ward ihm ein besserer Auftrag, der wenigstens einer malerischen Behandlung nicht widerstrebte: „Der Einzug Heinrichs des Vierten in Paris" (Salon von 1817). Das Bild ist insofern epoche¬ machend, als es — einige wenige Vorläufer blieben ohne Einfluß — der neuen Malerei den Anstoß gab. ihre Motive aus der Vergangenheit Frank¬ reichs zu holen. Die günstige Erscheinung, welche die malerischen Cultur- formen früherer Zeitalter dem Künstler bieten, dann der Vortheil eines be¬ deutenden das nationale Interesse erregenden Inhaltes, endlich die Freiheit, mit der die Phantasie über den vergangenen und doch nicht fremden Stoff verfügen kann, das Alles war in G6arts Werk für die Künstler von über¬ zeugender Wirkung. Der gefährliche Reiz des Costüms aus der Renaissance- Zeit fängt schon hier an seine Rolle zu spielen, und so bricht auch von dieser Seite das Romantische in die David'sche Schule ein. Doch hat das Ge- mälde noch einen besseren Werth: die figurenreiche Anordnung ist lebendig und klar, und vor Allem spricht sich der Vorgang und die Empfindung des- selben in den verschiedenartig charakteristrten Köpfen. Gestalten und Gruppen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/517>, abgerufen am 26.08.2024.