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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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schichtliche Kunst näher kennen lernen, die durch das Kaiserthum plötzlich neben
den idealen Darstellungen auftauchte und der Malerei eine neue, folgenreiche
Anregung gab. Uebngens merkt man allen Gemälden Girodets die Anstren¬
gung der Arbeit an und schon dieses gibt ihnen ein gezwungenes Aussehen.

Zu einer größeren Anerkennung ist Franyois Gvrard gelangt (1770--
1835). In ihm vereinigte sich ein feiner Formensinn, der in der Schule
Davids eine tüchtige Ausbildung erhielt, mit einer tieferen Empfindungsweise
und einer malerischen Anschauung, welche das innere Leben des Menschen
zum Ausdruck zu bringen suchte und in einem glühenderen Colorit, als es
sonst der ganzen Richtung eigen ist, Widerscheinen ließ. Einen vollständigen
Erfolg hatte sein Belisar (jetzt in der Leuchtenberger Galerie). Zum ersten¬
male sah man in der neuen Malerei die Darstellung eines einfachen Motivs,
welche sich an die gewohnte edle Auffassungsweise hielt, dabei aber den Aus¬
druck der innern Empfindung mit ergreifender Wahrheit wiedergab. Das
volle Maß des Leidens sprach aus jedem Gesichtszuge, und doch war über
die ganze Gestalt die Fassung einer großen Seele ausgebreitet; dazu verfehlte
der Contrast zwischen dem noch rüstigen Alter und der Jugend des schönen
sterbenden Knaben seine Wirkung nicht, und die Form erschien noch durchge¬
bildeter und vollendeter, als bei David. Für unsere Anschauung lassen freilich
Modellirung und Farbe noch Manches zu wünschen übrig, aber die Schönheit
der Composition und der wahre Ausdruck des tieferen Pathos behaupten auch
jetzt noch ihr Recht. Nicht die gleiche Bewunderung erregte das Bild: ,,PsrM
und Amor" (1797). Es ist wahr, daß der etwas gezierten Anordnung der
Reiz des naiven und der um sich unbewußten Liebenswürdigkeit fehlt, die
Anmuth ist gesucht, daher der Ausdruck kalt und die Haltung der Figuren
manierirt. Aber dennoch ist in dem Bilde eine Reinheit der Auffassung und
eine stille Einfachheit der Composition, die im Verhältniß der wildausschwei-
senden Phantasie der vorhergegangenen Periode den Blick anziehen und die
neue Kunst über die frühere unendlich erheben. Zu derselben Richtung zählen
die schwächeren idyllischen Bilder: "les trois ÄZss" und "Daphnis und Choo";
auch gehören hierher die gefälligen Zeichnungen, welche G6rard zu den Didot'-
schen Ausgaben des Horaz, Virgil und Racine geliefert hat.

Den Uebergang zu der zweiten Periode Gerard's machen eine große An¬
zahl Porträts, die er zu malen durch seine Lage sich genöthigt sah. Auf
jenem idealen Gebiet fand er sich vielleicht am meisten zu Hause; aber der
Kaiser nahm auch ihn zur Verherrlichung seiner Macht in Anspruch. Er voll¬
endete im Jahre 1810 sein großes Bild: . Die Schlacht von Austerlitz. Die
ideale und malerische Anschauung half sich hier, wie noch jetzi die Maler der
neusten Kämpfe sich zu helfen suchen: man sieht vorne Gruppen von Ver¬
wundeten, dann in ruhiger Größe das Ganze beherrschend den Kaiser mit


schichtliche Kunst näher kennen lernen, die durch das Kaiserthum plötzlich neben
den idealen Darstellungen auftauchte und der Malerei eine neue, folgenreiche
Anregung gab. Uebngens merkt man allen Gemälden Girodets die Anstren¬
gung der Arbeit an und schon dieses gibt ihnen ein gezwungenes Aussehen.

Zu einer größeren Anerkennung ist Franyois Gvrard gelangt (1770—
1835). In ihm vereinigte sich ein feiner Formensinn, der in der Schule
Davids eine tüchtige Ausbildung erhielt, mit einer tieferen Empfindungsweise
und einer malerischen Anschauung, welche das innere Leben des Menschen
zum Ausdruck zu bringen suchte und in einem glühenderen Colorit, als es
sonst der ganzen Richtung eigen ist, Widerscheinen ließ. Einen vollständigen
Erfolg hatte sein Belisar (jetzt in der Leuchtenberger Galerie). Zum ersten¬
male sah man in der neuen Malerei die Darstellung eines einfachen Motivs,
welche sich an die gewohnte edle Auffassungsweise hielt, dabei aber den Aus¬
druck der innern Empfindung mit ergreifender Wahrheit wiedergab. Das
volle Maß des Leidens sprach aus jedem Gesichtszuge, und doch war über
die ganze Gestalt die Fassung einer großen Seele ausgebreitet; dazu verfehlte
der Contrast zwischen dem noch rüstigen Alter und der Jugend des schönen
sterbenden Knaben seine Wirkung nicht, und die Form erschien noch durchge¬
bildeter und vollendeter, als bei David. Für unsere Anschauung lassen freilich
Modellirung und Farbe noch Manches zu wünschen übrig, aber die Schönheit
der Composition und der wahre Ausdruck des tieferen Pathos behaupten auch
jetzt noch ihr Recht. Nicht die gleiche Bewunderung erregte das Bild: ,,PsrM
und Amor" (1797). Es ist wahr, daß der etwas gezierten Anordnung der
Reiz des naiven und der um sich unbewußten Liebenswürdigkeit fehlt, die
Anmuth ist gesucht, daher der Ausdruck kalt und die Haltung der Figuren
manierirt. Aber dennoch ist in dem Bilde eine Reinheit der Auffassung und
eine stille Einfachheit der Composition, die im Verhältniß der wildausschwei-
senden Phantasie der vorhergegangenen Periode den Blick anziehen und die
neue Kunst über die frühere unendlich erheben. Zu derselben Richtung zählen
die schwächeren idyllischen Bilder: „les trois ÄZss" und „Daphnis und Choo";
auch gehören hierher die gefälligen Zeichnungen, welche G6rard zu den Didot'-
schen Ausgaben des Horaz, Virgil und Racine geliefert hat.

Den Uebergang zu der zweiten Periode Gerard's machen eine große An¬
zahl Porträts, die er zu malen durch seine Lage sich genöthigt sah. Auf
jenem idealen Gebiet fand er sich vielleicht am meisten zu Hause; aber der
Kaiser nahm auch ihn zur Verherrlichung seiner Macht in Anspruch. Er voll¬
endete im Jahre 1810 sein großes Bild: . Die Schlacht von Austerlitz. Die
ideale und malerische Anschauung half sich hier, wie noch jetzi die Maler der
neusten Kämpfe sich zu helfen suchen: man sieht vorne Gruppen von Ver¬
wundeten, dann in ruhiger Größe das Ganze beherrschend den Kaiser mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/516>, abgerufen am 26.08.2024.