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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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tncbencr Thatendurst gewiß nicht die Schwäche des gegenwärtigen Ministeriums.
Wir werden also zu der zweiten Hypothese greifen, die unterstrichenen Worte
geradezu als opitdoton ornon" auffassen, und jenen Satz folgendermaßen über¬
setzen: Preußen ist für die volle Souveränetät der Mittelstaaten viel gefähr¬
licher als Frankreich, und muß daher, wenn es diese Gefahr beschwichtigen
will, sich der Politik der Mitteistaaten fügen.

Wir haben die Worte des Staatsanzeigers mitgetheilt, man kann uns
daher nicht beschuldigen dieselben zu verdrehen; wir setzen nur noch hinzu,
daß diese Ansicht von der Sachlage auch die unsrige ist.

Wir kommen an den dritten Passus, der am dunkelsten gehalten ist.
"Wie sich auch die Verhältnisse gestalten mögen," d. h. auch im
Fall eines Rheinbundes, werden die Franzosen auf die Dauer sich in Deutsch¬
land nicht behaupten können. Das Nationalgefühl, wird gesagt, würde es
ihnen verwehren; und es wird stillschweigend hinzugedacht: aber das National¬
gefühl würde es den Preußen nicht verwehren. Und darum sind die Preußen
gefährlicher als die Franzosen.

Es ist auch in dieser Ansicht viel Richtiges; obgleich es immer eine schwere
Sache bleibt, die Möglichkeit eines so furchtbaren Leidens, wie das. unter
welchem Deutschland von 1806--1814 schmachtete, in Rechnung zu bringe".
Wäre durch die Deduction des Staatsanzeigers erwiesen, daß. um die volle Sou¬
veränetät der Mitteistaaten zu erhalten, auch diese Eventualität in's Auge ge¬
faßt werden müsse, so Hütte es für seinen Zweck zu viel erwiesen.

Noch in einer andern Sache können wir ihm nicht beipflichten. Der
Rheinbund hat zwar einige neue Königreiche geschaffen, z. B. Würtemberg,
aber weder 1806 noch 1814 sind die Territorialgrenzen intact geblieben. Bei
einem ähnlichen Fall ist dazu noch weniger Aussicht. Bricht einmal der Krieg
los, so wird Preußen nur nach militärischen Rücksichten handeln können, und
da der dritte Napoleon mit seinen Plänen nicht in's Ungeheuere geht, so
wird er so schnell als möglich irgend einen lucrativen Frieden zu schließen
suchen: auf wessen Kosten, das wird er im Moniteur dem verehrungswürdigen
Publicum nicht im voraus melden. Das wäre das Nächste; die weitere Folge
könnte dann aber sein, gerade das herbeizuführen, was vermieden werden soll.

Wenn der Moniteur gegenwärtig die Würzburger Politik predigt, so
kann das eine Art von Programm, es kann aber auch eine Warnung für
Preußen sein. Der Moniteur kann damit zu Preußen sagen wollen: "so steht
jetzt die Sache; werdet ihr endlich eure Unklugheit erkennen?" --

Preußen ist bis jetzt den geraden Weg gegangen, und wir wünschen und
hoffen, daß es ihn fortgehen wird. Aber es wird sich mittlerweile überzeugt
haben, daß seine Schritte zu kurz gemessen waren, daß ihm bei seinem Zwecke
nichts gefährlicher sein kann, als wenn es sich selber der Unsicherheit und der


tncbencr Thatendurst gewiß nicht die Schwäche des gegenwärtigen Ministeriums.
Wir werden also zu der zweiten Hypothese greifen, die unterstrichenen Worte
geradezu als opitdoton ornon« auffassen, und jenen Satz folgendermaßen über¬
setzen: Preußen ist für die volle Souveränetät der Mittelstaaten viel gefähr¬
licher als Frankreich, und muß daher, wenn es diese Gefahr beschwichtigen
will, sich der Politik der Mitteistaaten fügen.

Wir haben die Worte des Staatsanzeigers mitgetheilt, man kann uns
daher nicht beschuldigen dieselben zu verdrehen; wir setzen nur noch hinzu,
daß diese Ansicht von der Sachlage auch die unsrige ist.

Wir kommen an den dritten Passus, der am dunkelsten gehalten ist.
„Wie sich auch die Verhältnisse gestalten mögen," d. h. auch im
Fall eines Rheinbundes, werden die Franzosen auf die Dauer sich in Deutsch¬
land nicht behaupten können. Das Nationalgefühl, wird gesagt, würde es
ihnen verwehren; und es wird stillschweigend hinzugedacht: aber das National¬
gefühl würde es den Preußen nicht verwehren. Und darum sind die Preußen
gefährlicher als die Franzosen.

Es ist auch in dieser Ansicht viel Richtiges; obgleich es immer eine schwere
Sache bleibt, die Möglichkeit eines so furchtbaren Leidens, wie das. unter
welchem Deutschland von 1806—1814 schmachtete, in Rechnung zu bringe».
Wäre durch die Deduction des Staatsanzeigers erwiesen, daß. um die volle Sou¬
veränetät der Mitteistaaten zu erhalten, auch diese Eventualität in's Auge ge¬
faßt werden müsse, so Hütte es für seinen Zweck zu viel erwiesen.

Noch in einer andern Sache können wir ihm nicht beipflichten. Der
Rheinbund hat zwar einige neue Königreiche geschaffen, z. B. Würtemberg,
aber weder 1806 noch 1814 sind die Territorialgrenzen intact geblieben. Bei
einem ähnlichen Fall ist dazu noch weniger Aussicht. Bricht einmal der Krieg
los, so wird Preußen nur nach militärischen Rücksichten handeln können, und
da der dritte Napoleon mit seinen Plänen nicht in's Ungeheuere geht, so
wird er so schnell als möglich irgend einen lucrativen Frieden zu schließen
suchen: auf wessen Kosten, das wird er im Moniteur dem verehrungswürdigen
Publicum nicht im voraus melden. Das wäre das Nächste; die weitere Folge
könnte dann aber sein, gerade das herbeizuführen, was vermieden werden soll.

Wenn der Moniteur gegenwärtig die Würzburger Politik predigt, so
kann das eine Art von Programm, es kann aber auch eine Warnung für
Preußen sein. Der Moniteur kann damit zu Preußen sagen wollen: „so steht
jetzt die Sache; werdet ihr endlich eure Unklugheit erkennen?" —

Preußen ist bis jetzt den geraden Weg gegangen, und wir wünschen und
hoffen, daß es ihn fortgehen wird. Aber es wird sich mittlerweile überzeugt
haben, daß seine Schritte zu kurz gemessen waren, daß ihm bei seinem Zwecke
nichts gefährlicher sein kann, als wenn es sich selber der Unsicherheit und der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/48>, abgerufen am 22.07.2024.