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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Das Bild, so scheint es. will nicht durch malerischen Reiz wirken, das Colo-
rit soll sich dem Ausdruck unterordnen. Und diesen, das läßt sich nicht be-
streiten, hat der Künstler zur vollen Geltung gebracht, das Bild erklärt sich
auf den ersten Blick von selbst. Aber -- und dies ist die Kehrseite -- nichts
erhebt die Seele des Beschauers über die schneidende Wirkung des Gräßlichen,
kein Hauch von Seelengröße beruhigt uns über das bange Entsetzen der Cor-
day. versöhnt mit der schrecklichen That. Indem der Maler die geschichtliche
Bedeutung des Motivs ganz bei Seite läßt, konnte er der Bangigkeit des er¬
schütterten Gemüths nicht die Macht der sittlichen Leidenschaft entgegengehalten;
und jene wirkt um so stärker, als sie in den durch Form und Farbe mildern¬
den Schein der Kunst nicht aufgehoben ist. Historisch ist auch dieses Bild
nicht, da es sich auf den Ausdruck der individuellen Empfindung beschränkt.
Seine Bedeutung besteht in einer ganz gegenwärtigen Behandlung des mo¬
dernen Motivs, die zugleich das innere Leben zu ergreifender Anschauung
bringt.

Wie kann indessen von einem Mangel an historischen Bildern die Rede
sein, da ja mit großen Schlachtenbildern aus den neueren Kriegen ein ge¬
räumiger Saal ganz angefüllt ist! In die weittragende Bedeutung dieser
Kämpfe ist wol kein Zweifel zu sehen. Dazu kommt dem Maler zu gute,
daß er sich für die Stoffe begeistern kann, daß sie seiner Anschauung nahe¬
liegen und seine Phantasie, um sich mit ihnen zu erfüllen, keinen langwierigen
Proceß durchzumachen hat. Der Gang der Dinge und die Menschen sind ihm
vertraut, auch die äußere Erscheinung ist günstig, denn sie ist nicht umualerifcl).
da in der Entscheidung des kritischen Momentes die Schlachtreihe sich auflöst
und der Einzelne hervortritt. Aber dennoch überwiegt auch hier die Ungunst
der neuen Culturformen. Die Seele des ganzen Borgangs hat sich in das
Gehirn des Feldherrn zurückgezogen, der, des handelnden Eingreifens über¬
hoben, vom sichern Platze aus die Bewegung wie an geheimen Fäden leitet,
der Einzelne ist bei aller Brnvour doch nur die von der verborgenen Macht
bewegte Maschine. Die treibende entscheidende Kraft des Feldherrn kommt
nicht zur Erscheinung und der Kampf der Individuen hilft zwar mit zum Er¬
folg, ist aber doch, auch abgesehen von den gezogenen Kanonen, ohne innere
Bedeutung. Entweder wählt nun der Maler eine Episode, die den Ausschlag
gegeben hat, aus der Schlacht selber oder er stellt den Feldherrn Befehle er¬
theilend in der Mitte seines Generalstabes wenigstens in der Nähe des Kampf-
getümmels dar.

Den Ehrenpreis der Ausstellung hat die "Schlacht an der Alma" von dem
schon genannten Pils erhalten. Der Tag war für die Franzosen gewonnen
durch die rechtzeitige Besetzung einer Anhöhe mit Artillerie: das Bild stellt den
Moment dar, in dem die Soldaten die Kanonen hinausschieben. während der


Das Bild, so scheint es. will nicht durch malerischen Reiz wirken, das Colo-
rit soll sich dem Ausdruck unterordnen. Und diesen, das läßt sich nicht be-
streiten, hat der Künstler zur vollen Geltung gebracht, das Bild erklärt sich
auf den ersten Blick von selbst. Aber — und dies ist die Kehrseite — nichts
erhebt die Seele des Beschauers über die schneidende Wirkung des Gräßlichen,
kein Hauch von Seelengröße beruhigt uns über das bange Entsetzen der Cor-
day. versöhnt mit der schrecklichen That. Indem der Maler die geschichtliche
Bedeutung des Motivs ganz bei Seite läßt, konnte er der Bangigkeit des er¬
schütterten Gemüths nicht die Macht der sittlichen Leidenschaft entgegengehalten;
und jene wirkt um so stärker, als sie in den durch Form und Farbe mildern¬
den Schein der Kunst nicht aufgehoben ist. Historisch ist auch dieses Bild
nicht, da es sich auf den Ausdruck der individuellen Empfindung beschränkt.
Seine Bedeutung besteht in einer ganz gegenwärtigen Behandlung des mo¬
dernen Motivs, die zugleich das innere Leben zu ergreifender Anschauung
bringt.

Wie kann indessen von einem Mangel an historischen Bildern die Rede
sein, da ja mit großen Schlachtenbildern aus den neueren Kriegen ein ge¬
räumiger Saal ganz angefüllt ist! In die weittragende Bedeutung dieser
Kämpfe ist wol kein Zweifel zu sehen. Dazu kommt dem Maler zu gute,
daß er sich für die Stoffe begeistern kann, daß sie seiner Anschauung nahe¬
liegen und seine Phantasie, um sich mit ihnen zu erfüllen, keinen langwierigen
Proceß durchzumachen hat. Der Gang der Dinge und die Menschen sind ihm
vertraut, auch die äußere Erscheinung ist günstig, denn sie ist nicht umualerifcl).
da in der Entscheidung des kritischen Momentes die Schlachtreihe sich auflöst
und der Einzelne hervortritt. Aber dennoch überwiegt auch hier die Ungunst
der neuen Culturformen. Die Seele des ganzen Borgangs hat sich in das
Gehirn des Feldherrn zurückgezogen, der, des handelnden Eingreifens über¬
hoben, vom sichern Platze aus die Bewegung wie an geheimen Fäden leitet,
der Einzelne ist bei aller Brnvour doch nur die von der verborgenen Macht
bewegte Maschine. Die treibende entscheidende Kraft des Feldherrn kommt
nicht zur Erscheinung und der Kampf der Individuen hilft zwar mit zum Er¬
folg, ist aber doch, auch abgesehen von den gezogenen Kanonen, ohne innere
Bedeutung. Entweder wählt nun der Maler eine Episode, die den Ausschlag
gegeben hat, aus der Schlacht selber oder er stellt den Feldherrn Befehle er¬
theilend in der Mitte seines Generalstabes wenigstens in der Nähe des Kampf-
getümmels dar.

Den Ehrenpreis der Ausstellung hat die „Schlacht an der Alma" von dem
schon genannten Pils erhalten. Der Tag war für die Franzosen gewonnen
durch die rechtzeitige Besetzung einer Anhöhe mit Artillerie: das Bild stellt den
Moment dar, in dem die Soldaten die Kanonen hinausschieben. während der


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[0464] Das Bild, so scheint es. will nicht durch malerischen Reiz wirken, das Colo- rit soll sich dem Ausdruck unterordnen. Und diesen, das läßt sich nicht be- streiten, hat der Künstler zur vollen Geltung gebracht, das Bild erklärt sich auf den ersten Blick von selbst. Aber — und dies ist die Kehrseite — nichts erhebt die Seele des Beschauers über die schneidende Wirkung des Gräßlichen, kein Hauch von Seelengröße beruhigt uns über das bange Entsetzen der Cor- day. versöhnt mit der schrecklichen That. Indem der Maler die geschichtliche Bedeutung des Motivs ganz bei Seite läßt, konnte er der Bangigkeit des er¬ schütterten Gemüths nicht die Macht der sittlichen Leidenschaft entgegengehalten; und jene wirkt um so stärker, als sie in den durch Form und Farbe mildern¬ den Schein der Kunst nicht aufgehoben ist. Historisch ist auch dieses Bild nicht, da es sich auf den Ausdruck der individuellen Empfindung beschränkt. Seine Bedeutung besteht in einer ganz gegenwärtigen Behandlung des mo¬ dernen Motivs, die zugleich das innere Leben zu ergreifender Anschauung bringt. Wie kann indessen von einem Mangel an historischen Bildern die Rede sein, da ja mit großen Schlachtenbildern aus den neueren Kriegen ein ge¬ räumiger Saal ganz angefüllt ist! In die weittragende Bedeutung dieser Kämpfe ist wol kein Zweifel zu sehen. Dazu kommt dem Maler zu gute, daß er sich für die Stoffe begeistern kann, daß sie seiner Anschauung nahe¬ liegen und seine Phantasie, um sich mit ihnen zu erfüllen, keinen langwierigen Proceß durchzumachen hat. Der Gang der Dinge und die Menschen sind ihm vertraut, auch die äußere Erscheinung ist günstig, denn sie ist nicht umualerifcl). da in der Entscheidung des kritischen Momentes die Schlachtreihe sich auflöst und der Einzelne hervortritt. Aber dennoch überwiegt auch hier die Ungunst der neuen Culturformen. Die Seele des ganzen Borgangs hat sich in das Gehirn des Feldherrn zurückgezogen, der, des handelnden Eingreifens über¬ hoben, vom sichern Platze aus die Bewegung wie an geheimen Fäden leitet, der Einzelne ist bei aller Brnvour doch nur die von der verborgenen Macht bewegte Maschine. Die treibende entscheidende Kraft des Feldherrn kommt nicht zur Erscheinung und der Kampf der Individuen hilft zwar mit zum Er¬ folg, ist aber doch, auch abgesehen von den gezogenen Kanonen, ohne innere Bedeutung. Entweder wählt nun der Maler eine Episode, die den Ausschlag gegeben hat, aus der Schlacht selber oder er stellt den Feldherrn Befehle er¬ theilend in der Mitte seines Generalstabes wenigstens in der Nähe des Kampf- getümmels dar. Den Ehrenpreis der Ausstellung hat die „Schlacht an der Alma" von dem schon genannten Pils erhalten. Der Tag war für die Franzosen gewonnen durch die rechtzeitige Besetzung einer Anhöhe mit Artillerie: das Bild stellt den Moment dar, in dem die Soldaten die Kanonen hinausschieben. während der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/464>, abgerufen am 22.07.2024.