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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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durch ein berühmter Mann, aber der eigentliche Sinn jener Aeußerungen war
doch nur der: wenn ihr Preußen Lust habt, euch mit Frankreich zu raufen,
so thut es auf eigene Hand! von uns bekommt ihr keinen Schilling! -- Ir¬
gendwann und irgendwo hat man auch auf Schweden reflectirt: nun, Schwe¬
den ist die Antwort auch nicht schuldig geblieben.

So steht es mit unsern auswärtigen Verbindungen. Sehen wir uns jetzt
unsern natürlichen Bundesgenossen an.

In Oestreich ist in dieser Periode ein großer Umbildungsproceß vor sich
gegangen. Tue Geldnoth ryurde so arg, daß man zu dem Mittel Necker's
und Ludwigs des Sechzehnten griff: man berief eine Nationalversammlung,
die in vieler Beziehung eine constituirende genannt werden konnte; denn eben¬
sowenig wie Necker den Generalstünden, brachte Schmerling dem "engeren"
oder "weiteren" Reichsrath ein fertiges System entgegen. Aber ein sehr wich¬
tiger Unterschied besteht doch gegen die Lage von 1789: damals war nur die
Aristokratie und ein Theil der Geistlichkeit den neuen Verfassungsplänen abhold;
jetzt sind es die Aristokratie und die gesammte Geistlichkeit, und außerdem noch
ziemlich alle Nationen der Monarchie mit Ausnahme der Deutschen. Weder
die Ungarn, noch die Kroaten, noch die Polen, noch die Czechen wollen von
der Gesammtverfassung etwas wissen, und wenn man sie schließlich alle doch
dazu bereden sollte, den Reichsrath zu beschicken, so würde das Ministerium
eine ungeheure Majorität gegen sich haben. Kommen sie aber nicht, so sehen
wir keine Möglichkeit, wie der "Reichsrath" der Regierung Geld oder Credit
verschaffen soll, und wenn man die Widerstrebenden mit Gewalt unterwirft,
so steht die Sache für Oestreich unendlich schlimmer, als vor dem October-
diplom. Daß Oestreich im Stande ist, Ungarn wieder zu unterwerfen, daran
zweifeln wir nicht; daß es sich aber in diese Nothwendigkeit gesetzt hat. das
ist keinenfalls eine Verbesserung seiner Lage. Auch ist in Deutschland dies
Gefühl jetzt ganz allgemein, daß Oestreich in der drohenden Krisis keinen Halt
gewähren kann.

Wie man in Oestreich selbst darüber denkt, ist einem Nichtöstreicher voll¬
kommen unverständlich. Zweierlei ist klar: man hat Preußens Entgegenkommen
auf's Neue abgelehnt, und man hat aus's Neue versucht, sich Napoleon in die Arme
zu werfen. Die Erwiderung des Kaisers ist so spöttisch, man möchte sagen
so höhnisch, daß die Aufmerksamkeiten, welche man in Paris der schönen, geist¬
reichen und bezaubernden Fürstin Metternich erweist, dafür doch kaum ent¬
schädigen können.

Noch wunderlicher ist die Stellung Preußens zu den übrigen deutschen Staaten.
Gerade in diesen Staaten wurde früher die Kriegstrommete gegen Frankreich am
lautesten geblasen, als es noch galt, den Großherzog von Toscana und den
Herzog von Modeno. wieder einzusetzen. Vor anderthalb Jahren schien Preu-


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durch ein berühmter Mann, aber der eigentliche Sinn jener Aeußerungen war
doch nur der: wenn ihr Preußen Lust habt, euch mit Frankreich zu raufen,
so thut es auf eigene Hand! von uns bekommt ihr keinen Schilling! — Ir¬
gendwann und irgendwo hat man auch auf Schweden reflectirt: nun, Schwe¬
den ist die Antwort auch nicht schuldig geblieben.

So steht es mit unsern auswärtigen Verbindungen. Sehen wir uns jetzt
unsern natürlichen Bundesgenossen an.

In Oestreich ist in dieser Periode ein großer Umbildungsproceß vor sich
gegangen. Tue Geldnoth ryurde so arg, daß man zu dem Mittel Necker's
und Ludwigs des Sechzehnten griff: man berief eine Nationalversammlung,
die in vieler Beziehung eine constituirende genannt werden konnte; denn eben¬
sowenig wie Necker den Generalstünden, brachte Schmerling dem „engeren"
oder „weiteren" Reichsrath ein fertiges System entgegen. Aber ein sehr wich¬
tiger Unterschied besteht doch gegen die Lage von 1789: damals war nur die
Aristokratie und ein Theil der Geistlichkeit den neuen Verfassungsplänen abhold;
jetzt sind es die Aristokratie und die gesammte Geistlichkeit, und außerdem noch
ziemlich alle Nationen der Monarchie mit Ausnahme der Deutschen. Weder
die Ungarn, noch die Kroaten, noch die Polen, noch die Czechen wollen von
der Gesammtverfassung etwas wissen, und wenn man sie schließlich alle doch
dazu bereden sollte, den Reichsrath zu beschicken, so würde das Ministerium
eine ungeheure Majorität gegen sich haben. Kommen sie aber nicht, so sehen
wir keine Möglichkeit, wie der „Reichsrath" der Regierung Geld oder Credit
verschaffen soll, und wenn man die Widerstrebenden mit Gewalt unterwirft,
so steht die Sache für Oestreich unendlich schlimmer, als vor dem October-
diplom. Daß Oestreich im Stande ist, Ungarn wieder zu unterwerfen, daran
zweifeln wir nicht; daß es sich aber in diese Nothwendigkeit gesetzt hat. das
ist keinenfalls eine Verbesserung seiner Lage. Auch ist in Deutschland dies
Gefühl jetzt ganz allgemein, daß Oestreich in der drohenden Krisis keinen Halt
gewähren kann.

Wie man in Oestreich selbst darüber denkt, ist einem Nichtöstreicher voll¬
kommen unverständlich. Zweierlei ist klar: man hat Preußens Entgegenkommen
auf's Neue abgelehnt, und man hat aus's Neue versucht, sich Napoleon in die Arme
zu werfen. Die Erwiderung des Kaisers ist so spöttisch, man möchte sagen
so höhnisch, daß die Aufmerksamkeiten, welche man in Paris der schönen, geist¬
reichen und bezaubernden Fürstin Metternich erweist, dafür doch kaum ent¬
schädigen können.

Noch wunderlicher ist die Stellung Preußens zu den übrigen deutschen Staaten.
Gerade in diesen Staaten wurde früher die Kriegstrommete gegen Frankreich am
lautesten geblasen, als es noch galt, den Großherzog von Toscana und den
Herzog von Modeno. wieder einzusetzen. Vor anderthalb Jahren schien Preu-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/45>, abgerufen am 22.07.2024.