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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Grade ebenso ungenügend besoldet sind, als geringe Aussicht auf Be¬
förderung haben, und einige Unteroffiziere und Gemeine (Bäckermeister und
Bäckergemeine) bilden das Personal eines sogenannten "Verpflegsmagazins".
Der zwar sehr gerechte, aber oft unzeitig angewendete Grundsatz der Ersatz¬
pflichtigkeit zieht den meisten Beamten bedeutende Gehaltsabzüge für die von
den Controlebehörden entdeckten, oft unausweichlichen Abgänge zu, da die
Entstehung der letzteren nicht berücksichtigt, sondern einfach die Vergütung
durch den betreffenden, oft erst einige Tage auf seinem Posten befindlichen
Beamten gefordert wird. Bedenkt man aber, daß die Schadloshaltung auf
anderem Wege in dieser Branche traditionell ist und als durchaus entschuld¬
bar betrachtet, ja selbst von den höhern Behörden indirect als ein "natürliches-
und "gewiß schon öfter angewendetes" Hilfsmittel bezeichnet wird, und daß
es ferner möglich ist, der Controle das Zehnfache dessen, was sie entdeckt hat,
unbemerkt und mit leichter Mühe zu entziehen, so wird der Leser leicht er¬
rathen können, daß man eben nicht sehr gewissenhaft bei diesem "Wiederher¬
einbringen" verfahren und dasselbe endlich bei jeder Gelegenheit angewendet
werden wird, zumal die Sitte und das Herkommen selbst den niedern Be¬
amten einen "standesgemäßen Aufwand" zur Pflicht machen.

Das eigenthümliche Dienstverhältniß, indem nämlich die Diener und Ar¬
beiter der Verpflegsbranche Soldaten, wenn auch keine Combattanten, und ihre
Vorgesetzten reine Beamte sind, der Soldat aber bekanntlich nur den Offizier
als Vorgesetzten anzuerkennen pflegt, lockert die Disciplin und bringt eine oft
sehr auffallende Vertraulichkeit zwischen Höhern und Niedern, im schlimmeren
Falle aber Willkür und Gehorsamsverweigerungen mit sich. Neid und Habsucht
bewachen die Schritte jedes Einzelnen, und schwierig, ja gefahrvoll wäre das
Beginnen desjenigen, welcher eine sich ihm darbietende Gelegenheit für sich
allein ausbeuten wollte, er würde denuncirt oder mindestens zur sofortigen
Herausgabe seines Gewinnes gezwungen werden. Aber die Gelegenheit ist
zu verlockend, soll er sie fahren lassen? -- Nein; lieber ruft er den ihn Be¬
obachtenden "Halbpart" zu und kann dann unbeirrt seinen Vortheil verfolgen,
ist aber zugleich für immer in das Netz seiner College" hineingezogen. Sie
bilden fast alle eine einzige große Familie, deren Mitglieder fest zusammen¬
halten und von den entgegengesetzten Enden der Monarchie in geheimer, aber
lebhafter Geschäftsverbindung stehen. B. in Wien erfährt z. B., daß man
binnen drei Wochen eine große Heulieferung für Kroatien ausschreiben werde,
und theilt dieses seinem College" C. in Agram mit. Dieser weiß, daß er am
Platze keine sonderlichen Geschäfte machen könnte, und schreibt seinem Freunde
D. in Fünfkirchen. welcher sich mit dem dort befindlichen Lieferanten E. in
Rapport setzt und die nöthigen Vorkehrungen trifft. E. kauft nun alles in
Agram befindliche Heu billig ein, läßt es aber an seinen bisherigen Aus-


51*

Grade ebenso ungenügend besoldet sind, als geringe Aussicht auf Be¬
förderung haben, und einige Unteroffiziere und Gemeine (Bäckermeister und
Bäckergemeine) bilden das Personal eines sogenannten „Verpflegsmagazins".
Der zwar sehr gerechte, aber oft unzeitig angewendete Grundsatz der Ersatz¬
pflichtigkeit zieht den meisten Beamten bedeutende Gehaltsabzüge für die von
den Controlebehörden entdeckten, oft unausweichlichen Abgänge zu, da die
Entstehung der letzteren nicht berücksichtigt, sondern einfach die Vergütung
durch den betreffenden, oft erst einige Tage auf seinem Posten befindlichen
Beamten gefordert wird. Bedenkt man aber, daß die Schadloshaltung auf
anderem Wege in dieser Branche traditionell ist und als durchaus entschuld¬
bar betrachtet, ja selbst von den höhern Behörden indirect als ein „natürliches-
und „gewiß schon öfter angewendetes" Hilfsmittel bezeichnet wird, und daß
es ferner möglich ist, der Controle das Zehnfache dessen, was sie entdeckt hat,
unbemerkt und mit leichter Mühe zu entziehen, so wird der Leser leicht er¬
rathen können, daß man eben nicht sehr gewissenhaft bei diesem „Wiederher¬
einbringen" verfahren und dasselbe endlich bei jeder Gelegenheit angewendet
werden wird, zumal die Sitte und das Herkommen selbst den niedern Be¬
amten einen „standesgemäßen Aufwand" zur Pflicht machen.

Das eigenthümliche Dienstverhältniß, indem nämlich die Diener und Ar¬
beiter der Verpflegsbranche Soldaten, wenn auch keine Combattanten, und ihre
Vorgesetzten reine Beamte sind, der Soldat aber bekanntlich nur den Offizier
als Vorgesetzten anzuerkennen pflegt, lockert die Disciplin und bringt eine oft
sehr auffallende Vertraulichkeit zwischen Höhern und Niedern, im schlimmeren
Falle aber Willkür und Gehorsamsverweigerungen mit sich. Neid und Habsucht
bewachen die Schritte jedes Einzelnen, und schwierig, ja gefahrvoll wäre das
Beginnen desjenigen, welcher eine sich ihm darbietende Gelegenheit für sich
allein ausbeuten wollte, er würde denuncirt oder mindestens zur sofortigen
Herausgabe seines Gewinnes gezwungen werden. Aber die Gelegenheit ist
zu verlockend, soll er sie fahren lassen? — Nein; lieber ruft er den ihn Be¬
obachtenden „Halbpart" zu und kann dann unbeirrt seinen Vortheil verfolgen,
ist aber zugleich für immer in das Netz seiner College» hineingezogen. Sie
bilden fast alle eine einzige große Familie, deren Mitglieder fest zusammen¬
halten und von den entgegengesetzten Enden der Monarchie in geheimer, aber
lebhafter Geschäftsverbindung stehen. B. in Wien erfährt z. B., daß man
binnen drei Wochen eine große Heulieferung für Kroatien ausschreiben werde,
und theilt dieses seinem College» C. in Agram mit. Dieser weiß, daß er am
Platze keine sonderlichen Geschäfte machen könnte, und schreibt seinem Freunde
D. in Fünfkirchen. welcher sich mit dem dort befindlichen Lieferanten E. in
Rapport setzt und die nöthigen Vorkehrungen trifft. E. kauft nun alles in
Agram befindliche Heu billig ein, läßt es aber an seinen bisherigen Aus-


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[0413] Grade ebenso ungenügend besoldet sind, als geringe Aussicht auf Be¬ förderung haben, und einige Unteroffiziere und Gemeine (Bäckermeister und Bäckergemeine) bilden das Personal eines sogenannten „Verpflegsmagazins". Der zwar sehr gerechte, aber oft unzeitig angewendete Grundsatz der Ersatz¬ pflichtigkeit zieht den meisten Beamten bedeutende Gehaltsabzüge für die von den Controlebehörden entdeckten, oft unausweichlichen Abgänge zu, da die Entstehung der letzteren nicht berücksichtigt, sondern einfach die Vergütung durch den betreffenden, oft erst einige Tage auf seinem Posten befindlichen Beamten gefordert wird. Bedenkt man aber, daß die Schadloshaltung auf anderem Wege in dieser Branche traditionell ist und als durchaus entschuld¬ bar betrachtet, ja selbst von den höhern Behörden indirect als ein „natürliches- und „gewiß schon öfter angewendetes" Hilfsmittel bezeichnet wird, und daß es ferner möglich ist, der Controle das Zehnfache dessen, was sie entdeckt hat, unbemerkt und mit leichter Mühe zu entziehen, so wird der Leser leicht er¬ rathen können, daß man eben nicht sehr gewissenhaft bei diesem „Wiederher¬ einbringen" verfahren und dasselbe endlich bei jeder Gelegenheit angewendet werden wird, zumal die Sitte und das Herkommen selbst den niedern Be¬ amten einen „standesgemäßen Aufwand" zur Pflicht machen. Das eigenthümliche Dienstverhältniß, indem nämlich die Diener und Ar¬ beiter der Verpflegsbranche Soldaten, wenn auch keine Combattanten, und ihre Vorgesetzten reine Beamte sind, der Soldat aber bekanntlich nur den Offizier als Vorgesetzten anzuerkennen pflegt, lockert die Disciplin und bringt eine oft sehr auffallende Vertraulichkeit zwischen Höhern und Niedern, im schlimmeren Falle aber Willkür und Gehorsamsverweigerungen mit sich. Neid und Habsucht bewachen die Schritte jedes Einzelnen, und schwierig, ja gefahrvoll wäre das Beginnen desjenigen, welcher eine sich ihm darbietende Gelegenheit für sich allein ausbeuten wollte, er würde denuncirt oder mindestens zur sofortigen Herausgabe seines Gewinnes gezwungen werden. Aber die Gelegenheit ist zu verlockend, soll er sie fahren lassen? — Nein; lieber ruft er den ihn Be¬ obachtenden „Halbpart" zu und kann dann unbeirrt seinen Vortheil verfolgen, ist aber zugleich für immer in das Netz seiner College» hineingezogen. Sie bilden fast alle eine einzige große Familie, deren Mitglieder fest zusammen¬ halten und von den entgegengesetzten Enden der Monarchie in geheimer, aber lebhafter Geschäftsverbindung stehen. B. in Wien erfährt z. B., daß man binnen drei Wochen eine große Heulieferung für Kroatien ausschreiben werde, und theilt dieses seinem College» C. in Agram mit. Dieser weiß, daß er am Platze keine sonderlichen Geschäfte machen könnte, und schreibt seinem Freunde D. in Fünfkirchen. welcher sich mit dem dort befindlichen Lieferanten E. in Rapport setzt und die nöthigen Vorkehrungen trifft. E. kauft nun alles in Agram befindliche Heu billig ein, läßt es aber an seinen bisherigen Aus- 51*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/413>, abgerufen am 26.08.2024.