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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Die Ctigots in Frankreich.

Fast in allen Ländern Europa's gab es während des Mittelalters und noch
weit herein in die neuere Zeit gewisse Stände, ja sogar Völkerschaften, die
von der übrigen Gesellschaft verachtet und gleichsam aus ihr ausgestoßen waren.
Die Zigeuner geben noch jetzt davon Zeugniß. Am auffallendsten war und
>se dies noch bei einem Volksstamme in Frankreich. Noch jetzt gibt es in den
Thälern der Pyrenäen und von Bordeaux an der Westküste Frankreichs sich
hinziehend, Ueberreste eines, die Cagots genannten, Volksstammes. In größerer
-inzahl finden sie sich in der Nieder-Bretagne. Obgleich das Gesetz ihnen
Negen Ende des vorigen Jahrhunderts gleiche Rechte mit den übrigen Bürgern
gewährte, ihre Lage verbesserte und sie schützte, ist der Fluch, der auf
ihnen lastete, doch noch nicht ganz gehoben, die Verachtung, die sie bedeckte, noch
uicht ganz gewichen und an vielen Orten wird ihre Abkunft noch als ein
Schandfleck angesehen. Vor dieser Zeit hatten sie. durch grausame und harte
Localgesetze gedrückt und verfolgt, Jahrhunderte lang in tiefster Verachtung
von ihren, auf ihr reines Blut stolzen Nachbarn abgesondert gelebt.

Alle bestimmten Nachrichten über ihre Abkunft fehlen. Die Spuren der¬
selben, die schon im Mittelalter schwach und ungewiß waren, sind im Laufe
"er Zeit in der Art verwischt worden, daß die Abstammung der Cagots in der
Gegenwart fast vollständig ein Geheimniß ihn Ebenso dunkel und' räthselhaft
Reiben die Gründe, weshalb sie so verachtet und von der übrigen Gesellschaft
""gesondert ihr armseliges Dasein fristeten. Der Volksausdruck nannte sie
d^i "verfluchten Stamm". Cagots, oder Crcstians, war der Name, den ihnen
^e übrige Gesellschaft beilegre; die Namen, die sie untereinander führten, our-
^'u gar nicht beachtet: sie hießen eben Cagots, gleich wie man ein Thier nur
^'u seinem Racennmen nennt.
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Ihre Häuser oder Hütten waren stets in einer gewissen Entfernung von
denen der übrigen Landbewohner gelegen. Grundbesitz zu erwerben, oder
Dienste zu nehmen war ihnen untersagt: es blieb ihnen daher nichts übrig
'^6 ein Handwerk zu treiben, und so waren sie denn meistens Zimmerleute.
Maurer. Dach- oder Schieferdecker. Trotzdem sie in diesen Handwerken eine
"'e>nuche Gefchicklicht'eit an den Tag legten, wurden ihre Dienste doch nur mit
widerstreben von ihren Nachbarn in Anspruch genommen. Das geringe Weide-
^'ehe, welches sie auf dem Gemeindelande und in den Forsten besaßen, war
"°es durch strenge, auf die Zahl ihres Viehstandes sich beziehende Gesetze sehr
"kränkt. Durch eine Verordnung war es ihnen verboten mehr als 20 Schafe,
^" Schwein, einen Widder und sechs Ziegen zu halten. Das Schwein sollte


Grenzboten III. 1L61. 50
Die Ctigots in Frankreich.

Fast in allen Ländern Europa's gab es während des Mittelalters und noch
weit herein in die neuere Zeit gewisse Stände, ja sogar Völkerschaften, die
von der übrigen Gesellschaft verachtet und gleichsam aus ihr ausgestoßen waren.
Die Zigeuner geben noch jetzt davon Zeugniß. Am auffallendsten war und
>se dies noch bei einem Volksstamme in Frankreich. Noch jetzt gibt es in den
Thälern der Pyrenäen und von Bordeaux an der Westküste Frankreichs sich
hinziehend, Ueberreste eines, die Cagots genannten, Volksstammes. In größerer
-inzahl finden sie sich in der Nieder-Bretagne. Obgleich das Gesetz ihnen
Negen Ende des vorigen Jahrhunderts gleiche Rechte mit den übrigen Bürgern
gewährte, ihre Lage verbesserte und sie schützte, ist der Fluch, der auf
ihnen lastete, doch noch nicht ganz gehoben, die Verachtung, die sie bedeckte, noch
uicht ganz gewichen und an vielen Orten wird ihre Abkunft noch als ein
Schandfleck angesehen. Vor dieser Zeit hatten sie. durch grausame und harte
Localgesetze gedrückt und verfolgt, Jahrhunderte lang in tiefster Verachtung
von ihren, auf ihr reines Blut stolzen Nachbarn abgesondert gelebt.

Alle bestimmten Nachrichten über ihre Abkunft fehlen. Die Spuren der¬
selben, die schon im Mittelalter schwach und ungewiß waren, sind im Laufe
"er Zeit in der Art verwischt worden, daß die Abstammung der Cagots in der
Gegenwart fast vollständig ein Geheimniß ihn Ebenso dunkel und' räthselhaft
Reiben die Gründe, weshalb sie so verachtet und von der übrigen Gesellschaft
""gesondert ihr armseliges Dasein fristeten. Der Volksausdruck nannte sie
d^i „verfluchten Stamm". Cagots, oder Crcstians, war der Name, den ihnen
^e übrige Gesellschaft beilegre; die Namen, die sie untereinander führten, our-
^'u gar nicht beachtet: sie hießen eben Cagots, gleich wie man ein Thier nur
^'u seinem Racennmen nennt.
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Ihre Häuser oder Hütten waren stets in einer gewissen Entfernung von
denen der übrigen Landbewohner gelegen. Grundbesitz zu erwerben, oder
Dienste zu nehmen war ihnen untersagt: es blieb ihnen daher nichts übrig
'^6 ein Handwerk zu treiben, und so waren sie denn meistens Zimmerleute.
Maurer. Dach- oder Schieferdecker. Trotzdem sie in diesen Handwerken eine
»'e>nuche Gefchicklicht'eit an den Tag legten, wurden ihre Dienste doch nur mit
widerstreben von ihren Nachbarn in Anspruch genommen. Das geringe Weide-
^'ehe, welches sie auf dem Gemeindelande und in den Forsten besaßen, war
"°es durch strenge, auf die Zahl ihres Viehstandes sich beziehende Gesetze sehr
"kränkt. Durch eine Verordnung war es ihnen verboten mehr als 20 Schafe,
^" Schwein, einen Widder und sechs Ziegen zu halten. Das Schwein sollte


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[0403] Die Ctigots in Frankreich. Fast in allen Ländern Europa's gab es während des Mittelalters und noch weit herein in die neuere Zeit gewisse Stände, ja sogar Völkerschaften, die von der übrigen Gesellschaft verachtet und gleichsam aus ihr ausgestoßen waren. Die Zigeuner geben noch jetzt davon Zeugniß. Am auffallendsten war und >se dies noch bei einem Volksstamme in Frankreich. Noch jetzt gibt es in den Thälern der Pyrenäen und von Bordeaux an der Westküste Frankreichs sich hinziehend, Ueberreste eines, die Cagots genannten, Volksstammes. In größerer -inzahl finden sie sich in der Nieder-Bretagne. Obgleich das Gesetz ihnen Negen Ende des vorigen Jahrhunderts gleiche Rechte mit den übrigen Bürgern gewährte, ihre Lage verbesserte und sie schützte, ist der Fluch, der auf ihnen lastete, doch noch nicht ganz gehoben, die Verachtung, die sie bedeckte, noch uicht ganz gewichen und an vielen Orten wird ihre Abkunft noch als ein Schandfleck angesehen. Vor dieser Zeit hatten sie. durch grausame und harte Localgesetze gedrückt und verfolgt, Jahrhunderte lang in tiefster Verachtung von ihren, auf ihr reines Blut stolzen Nachbarn abgesondert gelebt. Alle bestimmten Nachrichten über ihre Abkunft fehlen. Die Spuren der¬ selben, die schon im Mittelalter schwach und ungewiß waren, sind im Laufe "er Zeit in der Art verwischt worden, daß die Abstammung der Cagots in der Gegenwart fast vollständig ein Geheimniß ihn Ebenso dunkel und' räthselhaft Reiben die Gründe, weshalb sie so verachtet und von der übrigen Gesellschaft ""gesondert ihr armseliges Dasein fristeten. Der Volksausdruck nannte sie d^i „verfluchten Stamm". Cagots, oder Crcstians, war der Name, den ihnen ^e übrige Gesellschaft beilegre; die Namen, die sie untereinander führten, our- ^'u gar nicht beachtet: sie hießen eben Cagots, gleich wie man ein Thier nur ^'u seinem Racennmen nennt. ''' Iil X, , . « ^ >> « >. t->i',l-^ Ihre Häuser oder Hütten waren stets in einer gewissen Entfernung von denen der übrigen Landbewohner gelegen. Grundbesitz zu erwerben, oder Dienste zu nehmen war ihnen untersagt: es blieb ihnen daher nichts übrig '^6 ein Handwerk zu treiben, und so waren sie denn meistens Zimmerleute. Maurer. Dach- oder Schieferdecker. Trotzdem sie in diesen Handwerken eine »'e>nuche Gefchicklicht'eit an den Tag legten, wurden ihre Dienste doch nur mit widerstreben von ihren Nachbarn in Anspruch genommen. Das geringe Weide- ^'ehe, welches sie auf dem Gemeindelande und in den Forsten besaßen, war "°es durch strenge, auf die Zahl ihres Viehstandes sich beziehende Gesetze sehr "kränkt. Durch eine Verordnung war es ihnen verboten mehr als 20 Schafe, ^" Schwein, einen Widder und sechs Ziegen zu halten. Das Schwein sollte Grenzboten III. 1L61. 50

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/403>, abgerufen am 29.06.2024.