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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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aus denen ein tiefes Gefühl, ein mächtiges Leben geheimnißvoll hervorbricht.
Nur ein Versuch dieser Gattung ist auf der Ausstellung: die Frauen von Jerusalem
in der babylonischen Gefangenschaft von Carl Landelle, einem Schüler von
Delaroche. Der Maler hat mit seinem Talent und seinen Kenntnissen geleistet
was er konnte: eine edle Gruppirung und Haltung, ziemlich tüchtige Form
und Modellirung der nackten Körper, auch eine gewisse Innigkeit des Ausdrucks
fehlt nicht ganz; aber das Ganze ist dennoch kalt und gemacht, ohne tiefe
Empfindung, daher auch nicht breit und groß behandelt, ohne Wirkung-")
Wühlt sich dagegen der Künstler nur Episoden aus der jüdischen Geschichte, die
mit der inneren Bewegung Md welthistorischen Bedeutung derselben nichts
zu thun haben und stellt er dieselben in großen Dimensionen dar, so erhebt er ohne
Grund ein genrehaftes Motiv in das Monumentale. Das Bild kann dann
äußerlich lebendig sein, aber es wird, da ihm der Inhalt fehlt, wie eine Laune
des Malers aussehen. Das ist der Fall mit einem Gemälde von Leon Glaize:
Samson von den Philistern gefangen genommen; für den Mangel jeder Idee
soll eine übertriebene naturalistische Derbheit entschädigen. Das Bild steht
zwar in seine Gattung vereinzelt, ist aber für die Richtung der neuesten Kunst
bezeichnend, die auch in anderen Gebieten den Scenen des gewöhnlichen Lebens
mit einem anspruchsvollen Format den falschen Schein des Bedeütungsvollen
gibt. Wie wenig die Phantasie der Gegenwart mit den großen geschichtliche"
Stoffen anfangen kann, zeigt sich schon hier: sie bleibt in Nebenvorgüngc"
stecken, die den malerischen Sinn ansprechen und die, um dargestellt zu werden,
einen langen Denkproccß nicht zu durchlaufen haben. --





*) Von demselben Künstler ist in der Gallerte des Luxemburg eine süßlich-sentimentale
Madonna, die zu ihrem Nachtheil an den Styl Andrea's bei Sarto erinnert.

aus denen ein tiefes Gefühl, ein mächtiges Leben geheimnißvoll hervorbricht.
Nur ein Versuch dieser Gattung ist auf der Ausstellung: die Frauen von Jerusalem
in der babylonischen Gefangenschaft von Carl Landelle, einem Schüler von
Delaroche. Der Maler hat mit seinem Talent und seinen Kenntnissen geleistet
was er konnte: eine edle Gruppirung und Haltung, ziemlich tüchtige Form
und Modellirung der nackten Körper, auch eine gewisse Innigkeit des Ausdrucks
fehlt nicht ganz; aber das Ganze ist dennoch kalt und gemacht, ohne tiefe
Empfindung, daher auch nicht breit und groß behandelt, ohne Wirkung-")
Wühlt sich dagegen der Künstler nur Episoden aus der jüdischen Geschichte, die
mit der inneren Bewegung Md welthistorischen Bedeutung derselben nichts
zu thun haben und stellt er dieselben in großen Dimensionen dar, so erhebt er ohne
Grund ein genrehaftes Motiv in das Monumentale. Das Bild kann dann
äußerlich lebendig sein, aber es wird, da ihm der Inhalt fehlt, wie eine Laune
des Malers aussehen. Das ist der Fall mit einem Gemälde von Leon Glaize:
Samson von den Philistern gefangen genommen; für den Mangel jeder Idee
soll eine übertriebene naturalistische Derbheit entschädigen. Das Bild steht
zwar in seine Gattung vereinzelt, ist aber für die Richtung der neuesten Kunst
bezeichnend, die auch in anderen Gebieten den Scenen des gewöhnlichen Lebens
mit einem anspruchsvollen Format den falschen Schein des Bedeütungsvollen
gibt. Wie wenig die Phantasie der Gegenwart mit den großen geschichtliche»
Stoffen anfangen kann, zeigt sich schon hier: sie bleibt in Nebenvorgüngc»
stecken, die den malerischen Sinn ansprechen und die, um dargestellt zu werden,
einen langen Denkproccß nicht zu durchlaufen haben. —





*) Von demselben Künstler ist in der Gallerte des Luxemburg eine süßlich-sentimentale
Madonna, die zu ihrem Nachtheil an den Styl Andrea's bei Sarto erinnert.
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[0394] aus denen ein tiefes Gefühl, ein mächtiges Leben geheimnißvoll hervorbricht. Nur ein Versuch dieser Gattung ist auf der Ausstellung: die Frauen von Jerusalem in der babylonischen Gefangenschaft von Carl Landelle, einem Schüler von Delaroche. Der Maler hat mit seinem Talent und seinen Kenntnissen geleistet was er konnte: eine edle Gruppirung und Haltung, ziemlich tüchtige Form und Modellirung der nackten Körper, auch eine gewisse Innigkeit des Ausdrucks fehlt nicht ganz; aber das Ganze ist dennoch kalt und gemacht, ohne tiefe Empfindung, daher auch nicht breit und groß behandelt, ohne Wirkung-") Wühlt sich dagegen der Künstler nur Episoden aus der jüdischen Geschichte, die mit der inneren Bewegung Md welthistorischen Bedeutung derselben nichts zu thun haben und stellt er dieselben in großen Dimensionen dar, so erhebt er ohne Grund ein genrehaftes Motiv in das Monumentale. Das Bild kann dann äußerlich lebendig sein, aber es wird, da ihm der Inhalt fehlt, wie eine Laune des Malers aussehen. Das ist der Fall mit einem Gemälde von Leon Glaize: Samson von den Philistern gefangen genommen; für den Mangel jeder Idee soll eine übertriebene naturalistische Derbheit entschädigen. Das Bild steht zwar in seine Gattung vereinzelt, ist aber für die Richtung der neuesten Kunst bezeichnend, die auch in anderen Gebieten den Scenen des gewöhnlichen Lebens mit einem anspruchsvollen Format den falschen Schein des Bedeütungsvollen gibt. Wie wenig die Phantasie der Gegenwart mit den großen geschichtliche» Stoffen anfangen kann, zeigt sich schon hier: sie bleibt in Nebenvorgüngc» stecken, die den malerischen Sinn ansprechen und die, um dargestellt zu werden, einen langen Denkproccß nicht zu durchlaufen haben. — *) Von demselben Künstler ist in der Gallerte des Luxemburg eine süßlich-sentimentale Madonna, die zu ihrem Nachtheil an den Styl Andrea's bei Sarto erinnert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/394>, abgerufen am 22.07.2024.