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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Beine helfen und dem an Prunk und Luxus gewöhnten Geschlecht auch hier
die Sache leicht machen. Andrerseits wird auf diese Weise die Kunst gepflegt
und die Künstler. Man sollte meinen, die fromme und schöne Zeit der italie¬
nischen Kunst, die jeden Winkel zugleich heiligte und dem menschlichen Auge
heimlich machte, kehre wieder. Aber auf der einen Seite ist die Frömmigkeit,
auf der andern die echte Kunst ausgeblieben. Die französischen Kritiker können
nicht genug darüber klagen, daß man, um viele Hände zu beschäftigen, die
Bemalung einer und derselben Kirche verschiedenen Künstlern überlasse, die
dann ihre Aufgabe so rasch als möglich abzuthun suchen, da sie mit Ernst
und Liebe in ihr Werk sich nicht einleben können: es sei zwischen den Bildern
kein inneres Verhältniß, keine geistige Verwandtschaft, das Bunte und
Handwerksmäßige könne nicht ausbleiben. Es mag Etwas daran sein; aber
der durchaus oberflächliche und weltliche Charakter und die Gefühlsleere dieser
Kunst hat noch andere und tiefere Gründe. Der Einfluß des Zeitalters, von
dem schon die Rede gewesen, dann auch das französische Wesen überhaupt,
dem mehr eine pathetische, nach außen sich vordrängende, als eine in die
Innigkeit der Empfindung sich zusammenfassende Phantasie eigen ist, thun hier
das Meiste. Die flüchtige, decorationsmäßige Arbeit macht dann freilich die '
Sache noch schlimmer. Und dennoch machen diese Bilder, deren Gestalten
aus einen tiefern geistigen Ausdruck freimüthig verzichten, dagegen den Zug
und die Bewegung des wirklichen Lebens, den heiteren Schein einer unbe-
schnirtenen Weltlichkeit haben, einen erfreulicheren Eindruck, als die frommen
Werke der deutschen Nazarener, die in der Verzwicktheit und Verschrobenheit
der von einem eingebildeten Gefühle angekränkelten Figuren vergebens die
innere Lüge und Unnatur zu verbergen suchen. Lieber gar keine Empfindung,
als eine falsche, lieber gesunde, wenn auch leichtfertige und oberflächliche Menschen
-~ die sich freilich für Fromme nicht ausgeben sollten -- als heldische und
affectirte Heilige. Zudem haben die Gestalten der Franzosen doch wenigstens
das Aussehen und die Bildung des frei aus sich bewegten menschlichen Körpers,
während aus der Werkstätte der Nazarener eine Gattung von Individuen her¬
vorgeht, die, wie es scheint, vor Allem den byzantinischen Hampelmännern
ü^'ich zu werden suchen.

An das christliche Mythenbild schließen sich die Darstellungen aus dem
"leer Testament. Sie machen den Uebergang zur eigentlichen geschichtlichen
Kunst, aber sie zählen zu dieser nicht, denn durch die bedeutungsvolle Beziehung
jüdischen aus die christliche Welt ist jene mit den religiösen Vorstellungen
öleichsam verwachsen; sie weist auf den ahnungsvollen Grund, aus welchem
d'e neue Religion aufsteigt, in ihren hervortretenden Gestalten und Vorgängen
Wück. Nimmt sich daher die Kunst diese zum Motiv, so muß sie jenen
^en Bezug irgendwie zum Ausdruck bringen, sie muß Menschen bilden,


Beine helfen und dem an Prunk und Luxus gewöhnten Geschlecht auch hier
die Sache leicht machen. Andrerseits wird auf diese Weise die Kunst gepflegt
und die Künstler. Man sollte meinen, die fromme und schöne Zeit der italie¬
nischen Kunst, die jeden Winkel zugleich heiligte und dem menschlichen Auge
heimlich machte, kehre wieder. Aber auf der einen Seite ist die Frömmigkeit,
auf der andern die echte Kunst ausgeblieben. Die französischen Kritiker können
nicht genug darüber klagen, daß man, um viele Hände zu beschäftigen, die
Bemalung einer und derselben Kirche verschiedenen Künstlern überlasse, die
dann ihre Aufgabe so rasch als möglich abzuthun suchen, da sie mit Ernst
und Liebe in ihr Werk sich nicht einleben können: es sei zwischen den Bildern
kein inneres Verhältniß, keine geistige Verwandtschaft, das Bunte und
Handwerksmäßige könne nicht ausbleiben. Es mag Etwas daran sein; aber
der durchaus oberflächliche und weltliche Charakter und die Gefühlsleere dieser
Kunst hat noch andere und tiefere Gründe. Der Einfluß des Zeitalters, von
dem schon die Rede gewesen, dann auch das französische Wesen überhaupt,
dem mehr eine pathetische, nach außen sich vordrängende, als eine in die
Innigkeit der Empfindung sich zusammenfassende Phantasie eigen ist, thun hier
das Meiste. Die flüchtige, decorationsmäßige Arbeit macht dann freilich die '
Sache noch schlimmer. Und dennoch machen diese Bilder, deren Gestalten
aus einen tiefern geistigen Ausdruck freimüthig verzichten, dagegen den Zug
und die Bewegung des wirklichen Lebens, den heiteren Schein einer unbe-
schnirtenen Weltlichkeit haben, einen erfreulicheren Eindruck, als die frommen
Werke der deutschen Nazarener, die in der Verzwicktheit und Verschrobenheit
der von einem eingebildeten Gefühle angekränkelten Figuren vergebens die
innere Lüge und Unnatur zu verbergen suchen. Lieber gar keine Empfindung,
als eine falsche, lieber gesunde, wenn auch leichtfertige und oberflächliche Menschen
-~ die sich freilich für Fromme nicht ausgeben sollten — als heldische und
affectirte Heilige. Zudem haben die Gestalten der Franzosen doch wenigstens
das Aussehen und die Bildung des frei aus sich bewegten menschlichen Körpers,
während aus der Werkstätte der Nazarener eine Gattung von Individuen her¬
vorgeht, die, wie es scheint, vor Allem den byzantinischen Hampelmännern
ü^'ich zu werden suchen.

An das christliche Mythenbild schließen sich die Darstellungen aus dem
"leer Testament. Sie machen den Uebergang zur eigentlichen geschichtlichen
Kunst, aber sie zählen zu dieser nicht, denn durch die bedeutungsvolle Beziehung
jüdischen aus die christliche Welt ist jene mit den religiösen Vorstellungen
öleichsam verwachsen; sie weist auf den ahnungsvollen Grund, aus welchem
d'e neue Religion aufsteigt, in ihren hervortretenden Gestalten und Vorgängen
Wück. Nimmt sich daher die Kunst diese zum Motiv, so muß sie jenen
^en Bezug irgendwie zum Ausdruck bringen, sie muß Menschen bilden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/393>, abgerufen am 22.07.2024.