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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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der Verwaschcnheit der künstlerischen Kraft und Eigenthümlichkeit als einer
absoluten Leere der Empfindung auf diesem Gebiete.

Einige französische Kritiker, trostlos über den Verfall der religiösen Kunst,
der auf der Ausstellung nur allzudeutlich an den Tag tritt, und unklar darüber,
was dem Zeitalter frommt, was nicht, wollen die Ehre ihrer christlichen Ma¬
lerei retten, indem sie auf die neuesten öffentlichen Monumente derselben in
den Kirchen verweisen. Es ist wahr, hier haben auch noch in jüngster Zeit
Talente von älterem, besserem Klang manches Tüchtige geleistet: die Periode
des Umschwungs in den früheren Jahrzehnten hat sich nicht mit einem Male
geschlossen und wirkt noch in die Gegenwart herüber. Aber abgesehen davon,
daß die Ebcngenannten auch hier manche Wand in Anspruch genommen ha¬
ben, ist doch auch in diesen Werken eine große und ernste Empfindung, eine
aus der Seele des Malers in die des Beschauers einschlagende Wirkung nicht
ZU finden. So hat Emil Signol aus der alten strengen Schule von Gros,
mit einem feinen Gefühl.'für einfache würdevolle Darstellung undlohne auf den
Reiz eines gewaltsamen malerischen Effectes oder einer gespreizten Empfindung
auszugehen, in der Kirche Saint-Eustache verschiedene Passionsscenen gemalt;
"> den Bildern der Kreuztragung und der Kreuzigung ist die Composition von
einer edeln Ruhe, die Theilnahme der Frauen noch ziemlich ausdrucksvoll.
Nur erwarte man nicht, daß aus den Gestalten etwas von dem tiefglühenden
Leben der ahnungsvollen Größe hervorleuchte, von der ergreifenden Erhöhung des
Menschlichen Wesens, die selbst den weltlich gesinnten Venetianern in einem
"och wunderbaren Grade eigen ist. Und eben weil die innere Erfüllung fehlt,
'se selbst die Einfachheit nicht ohne den Beigeschmack des Gesuchten und Af-
fectirtcn. Viel schlimmer steht es mit den großen Gemälden von Thomas
^outure in derselben Kirche, der noch vor einigen Jahren eine zahlreiche
Schule um sich versammelte. Hier deckte die Sucht nach moderner malerischer
Wirkung und das Bestreben, den heiligen Stoffen durch eine neue eigenthüm¬
liche Auffassung und den vor Allem körperhaften Schein der Wirklichkeit gleich¬
em Fleisch und Blut zu geben. den Mangel jeder Empfindung und jedes gei-
ht'gen Gehaltes, die innere Armuth offen auf. Es fehlt an jedem Ausdruck,
s°Mol im Christus und der Madonna, als in den Anbetenden, die reiigiöle
Ziehung ist durch die gesuchte Natürlichkeit der Erscheinung aufgehoben, die
^"gel sind moderne, liebenswürdige Frauenzimmer geworden, aus den Hilfe¬
suchenden spricht nichts als die gemeine Bedürftigkeit und Gewohnheit des
^glichen Lebens. Contnre kennt den menschlichen Körper, er weiß mit der
^'ve und Linie geschickt umzugehen, aber die materielle Richtung ist auch
""f diese übergegangen. Das Colorit ist von einer schweren realistischen
^leben, die Form ist durch kecke scharfe Umrisse in widerwärtiger Bestimmt¬
et angezeigt. Wie sich zeigen wird, leidet an dieser Manier eine ganze


der Verwaschcnheit der künstlerischen Kraft und Eigenthümlichkeit als einer
absoluten Leere der Empfindung auf diesem Gebiete.

Einige französische Kritiker, trostlos über den Verfall der religiösen Kunst,
der auf der Ausstellung nur allzudeutlich an den Tag tritt, und unklar darüber,
was dem Zeitalter frommt, was nicht, wollen die Ehre ihrer christlichen Ma¬
lerei retten, indem sie auf die neuesten öffentlichen Monumente derselben in
den Kirchen verweisen. Es ist wahr, hier haben auch noch in jüngster Zeit
Talente von älterem, besserem Klang manches Tüchtige geleistet: die Periode
des Umschwungs in den früheren Jahrzehnten hat sich nicht mit einem Male
geschlossen und wirkt noch in die Gegenwart herüber. Aber abgesehen davon,
daß die Ebcngenannten auch hier manche Wand in Anspruch genommen ha¬
ben, ist doch auch in diesen Werken eine große und ernste Empfindung, eine
aus der Seele des Malers in die des Beschauers einschlagende Wirkung nicht
ZU finden. So hat Emil Signol aus der alten strengen Schule von Gros,
mit einem feinen Gefühl.'für einfache würdevolle Darstellung undlohne auf den
Reiz eines gewaltsamen malerischen Effectes oder einer gespreizten Empfindung
auszugehen, in der Kirche Saint-Eustache verschiedene Passionsscenen gemalt;
"> den Bildern der Kreuztragung und der Kreuzigung ist die Composition von
einer edeln Ruhe, die Theilnahme der Frauen noch ziemlich ausdrucksvoll.
Nur erwarte man nicht, daß aus den Gestalten etwas von dem tiefglühenden
Leben der ahnungsvollen Größe hervorleuchte, von der ergreifenden Erhöhung des
Menschlichen Wesens, die selbst den weltlich gesinnten Venetianern in einem
"och wunderbaren Grade eigen ist. Und eben weil die innere Erfüllung fehlt,
'se selbst die Einfachheit nicht ohne den Beigeschmack des Gesuchten und Af-
fectirtcn. Viel schlimmer steht es mit den großen Gemälden von Thomas
^outure in derselben Kirche, der noch vor einigen Jahren eine zahlreiche
Schule um sich versammelte. Hier deckte die Sucht nach moderner malerischer
Wirkung und das Bestreben, den heiligen Stoffen durch eine neue eigenthüm¬
liche Auffassung und den vor Allem körperhaften Schein der Wirklichkeit gleich¬
em Fleisch und Blut zu geben. den Mangel jeder Empfindung und jedes gei-
ht'gen Gehaltes, die innere Armuth offen auf. Es fehlt an jedem Ausdruck,
s°Mol im Christus und der Madonna, als in den Anbetenden, die reiigiöle
Ziehung ist durch die gesuchte Natürlichkeit der Erscheinung aufgehoben, die
^"gel sind moderne, liebenswürdige Frauenzimmer geworden, aus den Hilfe¬
suchenden spricht nichts als die gemeine Bedürftigkeit und Gewohnheit des
^glichen Lebens. Contnre kennt den menschlichen Körper, er weiß mit der
^'ve und Linie geschickt umzugehen, aber die materielle Richtung ist auch
""f diese übergegangen. Das Colorit ist von einer schweren realistischen
^leben, die Form ist durch kecke scharfe Umrisse in widerwärtiger Bestimmt¬
et angezeigt. Wie sich zeigen wird, leidet an dieser Manier eine ganze


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[0391] der Verwaschcnheit der künstlerischen Kraft und Eigenthümlichkeit als einer absoluten Leere der Empfindung auf diesem Gebiete. Einige französische Kritiker, trostlos über den Verfall der religiösen Kunst, der auf der Ausstellung nur allzudeutlich an den Tag tritt, und unklar darüber, was dem Zeitalter frommt, was nicht, wollen die Ehre ihrer christlichen Ma¬ lerei retten, indem sie auf die neuesten öffentlichen Monumente derselben in den Kirchen verweisen. Es ist wahr, hier haben auch noch in jüngster Zeit Talente von älterem, besserem Klang manches Tüchtige geleistet: die Periode des Umschwungs in den früheren Jahrzehnten hat sich nicht mit einem Male geschlossen und wirkt noch in die Gegenwart herüber. Aber abgesehen davon, daß die Ebcngenannten auch hier manche Wand in Anspruch genommen ha¬ ben, ist doch auch in diesen Werken eine große und ernste Empfindung, eine aus der Seele des Malers in die des Beschauers einschlagende Wirkung nicht ZU finden. So hat Emil Signol aus der alten strengen Schule von Gros, mit einem feinen Gefühl.'für einfache würdevolle Darstellung undlohne auf den Reiz eines gewaltsamen malerischen Effectes oder einer gespreizten Empfindung auszugehen, in der Kirche Saint-Eustache verschiedene Passionsscenen gemalt; "> den Bildern der Kreuztragung und der Kreuzigung ist die Composition von einer edeln Ruhe, die Theilnahme der Frauen noch ziemlich ausdrucksvoll. Nur erwarte man nicht, daß aus den Gestalten etwas von dem tiefglühenden Leben der ahnungsvollen Größe hervorleuchte, von der ergreifenden Erhöhung des Menschlichen Wesens, die selbst den weltlich gesinnten Venetianern in einem "och wunderbaren Grade eigen ist. Und eben weil die innere Erfüllung fehlt, 'se selbst die Einfachheit nicht ohne den Beigeschmack des Gesuchten und Af- fectirtcn. Viel schlimmer steht es mit den großen Gemälden von Thomas ^outure in derselben Kirche, der noch vor einigen Jahren eine zahlreiche Schule um sich versammelte. Hier deckte die Sucht nach moderner malerischer Wirkung und das Bestreben, den heiligen Stoffen durch eine neue eigenthüm¬ liche Auffassung und den vor Allem körperhaften Schein der Wirklichkeit gleich¬ em Fleisch und Blut zu geben. den Mangel jeder Empfindung und jedes gei- ht'gen Gehaltes, die innere Armuth offen auf. Es fehlt an jedem Ausdruck, s°Mol im Christus und der Madonna, als in den Anbetenden, die reiigiöle Ziehung ist durch die gesuchte Natürlichkeit der Erscheinung aufgehoben, die ^"gel sind moderne, liebenswürdige Frauenzimmer geworden, aus den Hilfe¬ suchenden spricht nichts als die gemeine Bedürftigkeit und Gewohnheit des ^glichen Lebens. Contnre kennt den menschlichen Körper, er weiß mit der ^'ve und Linie geschickt umzugehen, aber die materielle Richtung ist auch ""f diese übergegangen. Das Colorit ist von einer schweren realistischen ^leben, die Form ist durch kecke scharfe Umrisse in widerwärtiger Bestimmt¬ et angezeigt. Wie sich zeigen wird, leidet an dieser Manier eine ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/391>, abgerufen am 22.07.2024.