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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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die Gestalten und Bewegungen erträglich sind, wenn die Zeichnung und Mo-
dellinmg sorgfältig, die Farbe ziemlich lebendig und nicht unharmonisch ist
(Nichomme, Chazal. Lenepveu. Lafond, Laville. Lecomte. Ruddcs),
so hat man dies der Nachwirkung guter Schulen zu verdauten; besonders Ingres
und Delaroche, zum Theil auch die Coloristen sind hier von nachhaltigem Ein¬
fluß gewesen. Nur verlange man von diesen Bildern der Geschichte Christi
keine eigenthümliche Auffassung, keinen Ausdruck tiefer Empfindung, kein in¬
neres Leben. Die Maler halten sich hier in den bequemen Schranken einer
conventionellen. geleckten, etwas süßlichen Schönheit; eine gewisse Eleganz soll
für den Mangel an Seele entschädigen. Nur selten wagt Einer den Gegen¬
stand in eine neue Anschauung umzusetzen, die Heiligkeit also dran zu geben,
um ihm einen eigenen Reiz zu verschaffen: wie z. B. Chazal Christus im
Haufe des Simeon in antiker Kleidung und Umgebung vorführt, in der hei¬
tern klaren Erscheinung der alten Welt. Das hat dann auch wieder sein
Uebles.

Mit größerer Freiheit bewegen sich die Darstellungen ans der Geschichte
der Heiligen. Der realistische Sinn des Zeitalters findet hier schon eher eine
Thüre, durch die er eintreten kann; es wird auf den Ausdruck des ascetischen
Entzückens, der göttlichen Erleuchtung, der seelenvollen Hingebung verzichtet,
um in den Gegenstand durch eine ganz weltliche Auffassung Bewegung und
malerisches Leben bringen (die Besseren: Timbal, Quautin, Plaso".
Norblin, Balze, Omer Charter, Giacomotti. Maillot. Bertrand,
Mai so n). Entweder setzt der Maler seine Heiligen in das treue Costum
und Local ihrer Zeit, deren malerische Culturformeu ihm so zu gute kommen,
oder er sucht durch lebhafte energische, der gewaltsam angestrengten Natur abge¬
lauschte Bewegungen seinen Gestalten Wurf und Kraft zu geben; bald bringt
er in sein Motiv die Spannung des dramatischen Momentes (so z. B. Gw-
komvtti: der heilige Hippolyt soll eben von Pferden zerrissen werden) bald
den Neiz einer weltlichen, den Sitte" des Zeitalters sich nähernden Beziehung
ez. B. Bertrand: Die bekehrte Kurtisane Thals verbrennt vor dem versam¬
melten Volk ihre Reichthümer; eine andere Kurtisane, üppig aus einer von
Sklaven getragenen Sänfte schauend, drückt deutlich ihre Verachtung darüber
aus). Die Gemälde könnten sich ebenso gut für lebensgroße Genrebilder aus¬
geben, wenn nicht die anspruchsvolle Haltung der Gestalten bei aller Hohlheit
den Beschauer zwänge, nach einer tiefern Idee und Bedeutung zu suche"'
Andere endlich suchen den religiösen Schein durch den Anschluß an den Styl
einer großen vergangenen Kunstperiode zu retten, oder den Mangel der E>n-
psindung durch eine süßliche, zierliche Sentimentalität zu ersetzen. Das M'ste
ist nicht schlecht gemacht und kann sich neben deutscher christlicher Kunst sel^'
wol sehen lassen; aber es ist eben seelenlos und todt und zeugt ebenso von


die Gestalten und Bewegungen erträglich sind, wenn die Zeichnung und Mo-
dellinmg sorgfältig, die Farbe ziemlich lebendig und nicht unharmonisch ist
(Nichomme, Chazal. Lenepveu. Lafond, Laville. Lecomte. Ruddcs),
so hat man dies der Nachwirkung guter Schulen zu verdauten; besonders Ingres
und Delaroche, zum Theil auch die Coloristen sind hier von nachhaltigem Ein¬
fluß gewesen. Nur verlange man von diesen Bildern der Geschichte Christi
keine eigenthümliche Auffassung, keinen Ausdruck tiefer Empfindung, kein in¬
neres Leben. Die Maler halten sich hier in den bequemen Schranken einer
conventionellen. geleckten, etwas süßlichen Schönheit; eine gewisse Eleganz soll
für den Mangel an Seele entschädigen. Nur selten wagt Einer den Gegen¬
stand in eine neue Anschauung umzusetzen, die Heiligkeit also dran zu geben,
um ihm einen eigenen Reiz zu verschaffen: wie z. B. Chazal Christus im
Haufe des Simeon in antiker Kleidung und Umgebung vorführt, in der hei¬
tern klaren Erscheinung der alten Welt. Das hat dann auch wieder sein
Uebles.

Mit größerer Freiheit bewegen sich die Darstellungen ans der Geschichte
der Heiligen. Der realistische Sinn des Zeitalters findet hier schon eher eine
Thüre, durch die er eintreten kann; es wird auf den Ausdruck des ascetischen
Entzückens, der göttlichen Erleuchtung, der seelenvollen Hingebung verzichtet,
um in den Gegenstand durch eine ganz weltliche Auffassung Bewegung und
malerisches Leben bringen (die Besseren: Timbal, Quautin, Plaso».
Norblin, Balze, Omer Charter, Giacomotti. Maillot. Bertrand,
Mai so n). Entweder setzt der Maler seine Heiligen in das treue Costum
und Local ihrer Zeit, deren malerische Culturformeu ihm so zu gute kommen,
oder er sucht durch lebhafte energische, der gewaltsam angestrengten Natur abge¬
lauschte Bewegungen seinen Gestalten Wurf und Kraft zu geben; bald bringt
er in sein Motiv die Spannung des dramatischen Momentes (so z. B. Gw-
komvtti: der heilige Hippolyt soll eben von Pferden zerrissen werden) bald
den Neiz einer weltlichen, den Sitte» des Zeitalters sich nähernden Beziehung
ez. B. Bertrand: Die bekehrte Kurtisane Thals verbrennt vor dem versam¬
melten Volk ihre Reichthümer; eine andere Kurtisane, üppig aus einer von
Sklaven getragenen Sänfte schauend, drückt deutlich ihre Verachtung darüber
aus). Die Gemälde könnten sich ebenso gut für lebensgroße Genrebilder aus¬
geben, wenn nicht die anspruchsvolle Haltung der Gestalten bei aller Hohlheit
den Beschauer zwänge, nach einer tiefern Idee und Bedeutung zu suche"'
Andere endlich suchen den religiösen Schein durch den Anschluß an den Styl
einer großen vergangenen Kunstperiode zu retten, oder den Mangel der E>n-
psindung durch eine süßliche, zierliche Sentimentalität zu ersetzen. Das M'ste
ist nicht schlecht gemacht und kann sich neben deutscher christlicher Kunst sel^'
wol sehen lassen; aber es ist eben seelenlos und todt und zeugt ebenso von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/390>, abgerufen am 22.07.2024.