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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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eindringend in das innere Räderwerk der Geschichte, auch das Alterthum neu
entdeckt und in ihm ein vollendetes Vorbild dessen, was er erstrebte. Der
ausschweifenden Phantasie des Rococo. welche die ganze Mythenwelt, Götter,
Engel, Helden und Heilige in tollem Arabeskenspiel verschlungen hatte, mit
einem Schlag ein Ende zu machen, hielt sich der ernste Sinn des Künstlers
an die einfache Größe der griechischen Anschauung, Nach und nach aber er¬
weiterte sich der Gesichtskreis auch der Kunst; mit dem Bewußtsein Schritt
haltend, lebte sie sich tiefer in den Kampf und die Unruhe der neueren Welt
ein und versuchte, gesättigt mit dem Gesetz der Form, auch diesen Stoff zu
gestalten, zugleich zog sie nachbildend und verarbeitend ihre eigene Geschichte
in sich hinein, bis sie endlich in das Drängen und Treiben der Wirklichkeit,
in die gegenwärtige Erscheinung der Natur und des Lebens einzugehen suchte.
Dies näher im Gang der französischen Kunst zu verfolgen ist erst später am
Platz: aber so viel zeigt sich schon hier, daß auch die moderne Malerei eine
Geschichte hat, daß sie mitten im geschäftigen Gewühl des Jahrhunderts steht
und in seinem Culturleben eine bedeutende Stelle einnimmt.

Indessen fehlt, so günstig auch die Verhältnisse für die Malerei zu liegen
scheinen, die schlimme Kehrseite nicht. Wie sehr es auch in ihrem Wesen liegen
mag, sich in die reiche Mannigfaltigkeit der Erscheinung und die heißen Verwick¬
lungen des Lebens einzulassen, so ist sie doch an das Gesetz aller Kunst gebun-
den: der Stoff, den sie gestalten will, muß vor Allem in die Phantasie ein¬
gehen. --

Das warder unendliche Vortheil, den die Mythenwelt, so lange sie >n
der Seele och Künstlers leben konnte, vor der Wirklichkeit voraus hatte: sie
bestand nur in und durch die Phantasie und schon Plato bezeichnet diese als
einen innerlichen Maler. Der Stoff war von vornherein innerliches Bild!
des Künstlers Aufgabe war nur, dieses in sich zu voller Klarheit auszuprägen,
glcichjam still auswachsen und reifen zu lassen und es dann mit ebenso se>"'
fühliger als gestaltender Hand in die sichtbare Welt hinaufzutragen. Nicht-
daß er den Stoff, so wie er war, hätte gebrauchen können; aber durch d>e
allgemeine Phantasie durchgegangen, war er anschaulich und bildsam und
wieder in der vollendeten Form, die er vom Künstler empfangen hatte, der
Anschauung Aller unmittelbar verständlich und lebendig. Und auch die wirk¬
liche Welt widerstrebte nicht spröde der bildenden Hand: denn sie stand "r
einer innigen Beziehung zu jenem seelenvollen Reich der Mythe, und der warme
Schein, der von dieser auf sie fiel, durchdrang und belebte sie. Dem Maler
war die schwere Arbeit, den Stoff in ein Product der innern Anschauung uM'
zusetzen, erspart; er hatte nicht erst nöthig, mit der Reflexion in ihn hinabj"'
tauchen und ebensowenig brauchte er die allgemeine Phantasie zu erwärmt",
daß sie sein Bild in sich aufnähme. In der ganzen Luftströmung der Z^'


eindringend in das innere Räderwerk der Geschichte, auch das Alterthum neu
entdeckt und in ihm ein vollendetes Vorbild dessen, was er erstrebte. Der
ausschweifenden Phantasie des Rococo. welche die ganze Mythenwelt, Götter,
Engel, Helden und Heilige in tollem Arabeskenspiel verschlungen hatte, mit
einem Schlag ein Ende zu machen, hielt sich der ernste Sinn des Künstlers
an die einfache Größe der griechischen Anschauung, Nach und nach aber er¬
weiterte sich der Gesichtskreis auch der Kunst; mit dem Bewußtsein Schritt
haltend, lebte sie sich tiefer in den Kampf und die Unruhe der neueren Welt
ein und versuchte, gesättigt mit dem Gesetz der Form, auch diesen Stoff zu
gestalten, zugleich zog sie nachbildend und verarbeitend ihre eigene Geschichte
in sich hinein, bis sie endlich in das Drängen und Treiben der Wirklichkeit,
in die gegenwärtige Erscheinung der Natur und des Lebens einzugehen suchte.
Dies näher im Gang der französischen Kunst zu verfolgen ist erst später am
Platz: aber so viel zeigt sich schon hier, daß auch die moderne Malerei eine
Geschichte hat, daß sie mitten im geschäftigen Gewühl des Jahrhunderts steht
und in seinem Culturleben eine bedeutende Stelle einnimmt.

Indessen fehlt, so günstig auch die Verhältnisse für die Malerei zu liegen
scheinen, die schlimme Kehrseite nicht. Wie sehr es auch in ihrem Wesen liegen
mag, sich in die reiche Mannigfaltigkeit der Erscheinung und die heißen Verwick¬
lungen des Lebens einzulassen, so ist sie doch an das Gesetz aller Kunst gebun-
den: der Stoff, den sie gestalten will, muß vor Allem in die Phantasie ein¬
gehen. —

Das warder unendliche Vortheil, den die Mythenwelt, so lange sie >n
der Seele och Künstlers leben konnte, vor der Wirklichkeit voraus hatte: sie
bestand nur in und durch die Phantasie und schon Plato bezeichnet diese als
einen innerlichen Maler. Der Stoff war von vornherein innerliches Bild!
des Künstlers Aufgabe war nur, dieses in sich zu voller Klarheit auszuprägen,
glcichjam still auswachsen und reifen zu lassen und es dann mit ebenso se>"'
fühliger als gestaltender Hand in die sichtbare Welt hinaufzutragen. Nicht-
daß er den Stoff, so wie er war, hätte gebrauchen können; aber durch d>e
allgemeine Phantasie durchgegangen, war er anschaulich und bildsam und
wieder in der vollendeten Form, die er vom Künstler empfangen hatte, der
Anschauung Aller unmittelbar verständlich und lebendig. Und auch die wirk¬
liche Welt widerstrebte nicht spröde der bildenden Hand: denn sie stand »r
einer innigen Beziehung zu jenem seelenvollen Reich der Mythe, und der warme
Schein, der von dieser auf sie fiel, durchdrang und belebte sie. Dem Maler
war die schwere Arbeit, den Stoff in ein Product der innern Anschauung uM'
zusetzen, erspart; er hatte nicht erst nöthig, mit der Reflexion in ihn hinabj»'
tauchen und ebensowenig brauchte er die allgemeine Phantasie zu erwärmt",
daß sie sein Bild in sich aufnähme. In der ganzen Luftströmung der Z^'


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/382>, abgerufen am 23.12.2024.