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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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einheimisch zu werden beginnt. Ihr ist die ganze Welt der Erscheinung offen
und Alles erscheint, auch was in der Tiefe der Brust gührl und verborgen
die Gegenwart bewegt, denn es wirft Wellen auf die Oberfläche, weiche den
Blick auf den Grund hinableiten. In die Vergangenheit hat sich das Be¬
wußtsein so vertraut, wie früher noch n>e. eingelebt; mit ihrem geheimen
Triebwerk ist ihm nun erst vollkommen ihre Gestalt, mit der Seele der Körper
deutlich geworden. Zugleich hat der wanderungslustige Sir" die fernen Ge¬
genden entdeckt, in denen noch die Natur in ursprünglicher Frische und Ganz¬
heit Land und Menschen zusammenschließt oder in denen wenigstens der warme
farbige Schein des Lebens noch nicht in das eintönige Grau der Cultur ver-
schwemmt und verwischt ist. Andererseits hat sich die Anschauung an den
aufgeschlossenen Schätzen der vergangenen Kunstwelt gebildet, bildet sich täglich;
sie hat sich mit dem Schönen so gesättigt, daß es ihr aus allen Dinge"
entgegenleuchtet, daß sie es in alle Dinge hineinsehen kann.

Dieses große, weile Feld, im Lichte des menschlichen Blicks scheinend und
glänzend, wartet nur auf die Hand des Künstlers, um in erneutem Schimmer
und schwungvoller Bewegung unzählige Male widerzuscheinen. Zwar ist die
moderne Zeit nicht contemplativer Natur, sie läßt nichts, wie sie es findel,
und was sie sich zu eigen macht, gewinnt sie nicht durch die Betrachtung,
sondern die zersetzende Reflexion, die dem innern Lebensnerv nachspürt n"d
die Gestalt zerstört, um sie gesetzmäßig wieder aufzubauen. Sie bricht, sie
schneidet die Erscheinung, um ihr den regelrechten Wuchs zu geben, sie hat
keinen Sinn für das Einfache, ebenso nothwendig als zufällig Gewordene, I>e
zerreißt die Hülle und steigt in die Tiefe hinab, um die dunkel schaffend
Kraft an's Licht zu bringen. Es ist die Zeit nicht mehr, "da Nebel de"'
Dichter noch die Welt verhüllten, die Knospe Wunder noch versprach, da er
die tausend Blumen brach, die alle Thäler reichlich füllten". Allein w"s
im Innern der Dinge unergründlich zurückgezogen scheint und durch das Be¬
wußtsein an den Tag kommt, das läßt sich auch in gewissem Sinne von de"'
Maler fassen; denn in dem farbigen Schein des Lebens zittert und schwebt
zugleich seine geheime Tiefe, das Licht dringt gleichsam bis in die Nacht der
Seele, und die Kunst, welche ihren Gegenstand als handelndes und leidendes
Glied in eine unendliche Welt von Beziehungen setzt, muß in seiner Erschein""",
ausdrücken, was ihn ergreift, treibt und bewegt. Wie im farbigen Gla"Z
der Dinge das eine im andern sich spiegelt und widerspiegelt, jedes den "^
empfangenen Schein zurückwirft und auf's Neue verändert zurückempfängt, e>"
unendliches Erzittern der Reflexe, in dem jedes sein Wesen aus sich tM'"" '
strahlt und doch im Wechselspiel mit den übrigen auch diese aus sich schere"
läßt: so faßt die Malerei die Objecte in ihrem mannigfaltigen Verhältniß
umgebenden Welt, in welchem sie sich gegenseitig treiben, verflechten, dulP-


einheimisch zu werden beginnt. Ihr ist die ganze Welt der Erscheinung offen
und Alles erscheint, auch was in der Tiefe der Brust gührl und verborgen
die Gegenwart bewegt, denn es wirft Wellen auf die Oberfläche, weiche den
Blick auf den Grund hinableiten. In die Vergangenheit hat sich das Be¬
wußtsein so vertraut, wie früher noch n>e. eingelebt; mit ihrem geheimen
Triebwerk ist ihm nun erst vollkommen ihre Gestalt, mit der Seele der Körper
deutlich geworden. Zugleich hat der wanderungslustige Sir» die fernen Ge¬
genden entdeckt, in denen noch die Natur in ursprünglicher Frische und Ganz¬
heit Land und Menschen zusammenschließt oder in denen wenigstens der warme
farbige Schein des Lebens noch nicht in das eintönige Grau der Cultur ver-
schwemmt und verwischt ist. Andererseits hat sich die Anschauung an den
aufgeschlossenen Schätzen der vergangenen Kunstwelt gebildet, bildet sich täglich;
sie hat sich mit dem Schönen so gesättigt, daß es ihr aus allen Dinge»
entgegenleuchtet, daß sie es in alle Dinge hineinsehen kann.

Dieses große, weile Feld, im Lichte des menschlichen Blicks scheinend und
glänzend, wartet nur auf die Hand des Künstlers, um in erneutem Schimmer
und schwungvoller Bewegung unzählige Male widerzuscheinen. Zwar ist die
moderne Zeit nicht contemplativer Natur, sie läßt nichts, wie sie es findel,
und was sie sich zu eigen macht, gewinnt sie nicht durch die Betrachtung,
sondern die zersetzende Reflexion, die dem innern Lebensnerv nachspürt n»d
die Gestalt zerstört, um sie gesetzmäßig wieder aufzubauen. Sie bricht, sie
schneidet die Erscheinung, um ihr den regelrechten Wuchs zu geben, sie hat
keinen Sinn für das Einfache, ebenso nothwendig als zufällig Gewordene, I>e
zerreißt die Hülle und steigt in die Tiefe hinab, um die dunkel schaffend
Kraft an's Licht zu bringen. Es ist die Zeit nicht mehr, „da Nebel de»'
Dichter noch die Welt verhüllten, die Knospe Wunder noch versprach, da er
die tausend Blumen brach, die alle Thäler reichlich füllten". Allein w»s
im Innern der Dinge unergründlich zurückgezogen scheint und durch das Be¬
wußtsein an den Tag kommt, das läßt sich auch in gewissem Sinne von de»'
Maler fassen; denn in dem farbigen Schein des Lebens zittert und schwebt
zugleich seine geheime Tiefe, das Licht dringt gleichsam bis in die Nacht der
Seele, und die Kunst, welche ihren Gegenstand als handelndes und leidendes
Glied in eine unendliche Welt von Beziehungen setzt, muß in seiner Erschein»»",
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der Dinge das eine im andern sich spiegelt und widerspiegelt, jedes den »^
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strahlt und doch im Wechselspiel mit den übrigen auch diese aus sich schere"
läßt: so faßt die Malerei die Objecte in ihrem mannigfaltigen Verhältniß
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/380>, abgerufen am 23.07.2024.