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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Perioden wenden. Ein ähnlicher Fall ist es mit der Sculptur. Die bruch¬
lose Einheit der alten Welt von Geist und Natur, in welcher sich jener in
diese ergießt, so daß der Inhalt die Form gerade bis zum Rande füllt, ist
"in wenigsten die Sache unserer Zeit; auch nicht die Naivetät, mit der sich
die Seele zur Zeit der Renaissance, aus ihrer mittelalterlichen Versenkung er¬
wacht, trotz des Gefühls ihrer innerlichen Unendlichkeit mit innigem Nachgeben
und Fügen in die neucnideckte schöne Formenwelt zu schmiegen suchte. Nicht
Mit den Griechen und Römern, noch den Florentinern kann das Jahr¬
hundert wetteifern. Geschickt, Alles zu fassen und in sich aufzunehmen, die
Geschichte zu seinem Eigenthum zu machen, indem es sie durchforscht und so
den geistigen Faden in ihr entdeckt, mag es ihr bisweilen gelingen, der Ver¬
gangenheit das Eine oder Andere gleichsam abzulauschen; aber originell kann
es nicht sein, seine Ideen lassen sich nicht in Stein hauen. Dennoch bietet
die Zeit der Sculptur ein weiteres Feld als die Baukunst. Die einzelne große
Persönlichkeit, welche sür das Ganze wirkt und wirken soll, saßt sich doch hie
und da in eine mächtige Erscheinung für sich zusammen, die in sich ruht und
wenigstens geistig in ihrer Weise vollendet ist. Darin kann der Bildhauer
einen Ersatz sür den Bruch mit der Natur finden, wenn er es versteht, diese
un schönsten Sinn gebildete Individualität in ihrer wirklichen Erscheinung,
die durch den Adel des Geistes über das Reich des Zufälligen erhoben ist.
Zum Ausdruck zu bringen: schwache Anfänge einer dem Zeitalter sich anpassen¬
den und zugleich lebensfähigen Plastik. Aber auch davon finden sich wenige
Beispiele in der neuesten französischen Kunst. Die romanischen Stämme sind
von Haus aus mehr zu einer idealen und verallgemeinernden Behandlung ge¬
eignet, vorab in einem Gebiete, auf dem alles Besondere von der Schönheit
der Form getilgt werden soll. Daher ist die Ausstellung reicher an plastischen
Werken im antiken Sinne, als an solchen charaktervoller Arbeiten der modernen
Sculptur. Die Franzosen sind, wie wir später sehen werden, in der Nach¬
bildung griechischer Formen keineswegs ungeschickt, und es fehlt daher nicht
Knickern, welche die moderne Plastik der modernen Malerei voranstellen;
l'e hoffen von ihr eine ideale Neubelebung der Kunst. Aber sie bedenken
'Acht. daß hier vor allen Dingen die beseelende Vermittlung mit dem wahren
Wesen der Wirklichkeit fehlt und daß die Phantasie, die sich mit der Ver-
^ngenheir künstlich ersüllt, niemals aus dem Vollen schöpft und daher nie¬
mals ein volles Leben hervorbringt. Die neue Sculptur hat keine Geschichte;
^'um das Zeitalter kann in ihr nicht zum Ausdruck kommen, nicht, was es be¬
legt, in sie niederlegen.

Anders ist es mit der Malerei. Sie braucht, sie soll sich nicht fernhalten
v°n den weiten Reichen der Natur und Geschichte, welche sich der menschliche
^°>se in einem bisher ungekannten Umfange erschlossen hat, und in denen er


Brenjboten III. 1361.

Perioden wenden. Ein ähnlicher Fall ist es mit der Sculptur. Die bruch¬
lose Einheit der alten Welt von Geist und Natur, in welcher sich jener in
diese ergießt, so daß der Inhalt die Form gerade bis zum Rande füllt, ist
"in wenigsten die Sache unserer Zeit; auch nicht die Naivetät, mit der sich
die Seele zur Zeit der Renaissance, aus ihrer mittelalterlichen Versenkung er¬
wacht, trotz des Gefühls ihrer innerlichen Unendlichkeit mit innigem Nachgeben
und Fügen in die neucnideckte schöne Formenwelt zu schmiegen suchte. Nicht
Mit den Griechen und Römern, noch den Florentinern kann das Jahr¬
hundert wetteifern. Geschickt, Alles zu fassen und in sich aufzunehmen, die
Geschichte zu seinem Eigenthum zu machen, indem es sie durchforscht und so
den geistigen Faden in ihr entdeckt, mag es ihr bisweilen gelingen, der Ver¬
gangenheit das Eine oder Andere gleichsam abzulauschen; aber originell kann
es nicht sein, seine Ideen lassen sich nicht in Stein hauen. Dennoch bietet
die Zeit der Sculptur ein weiteres Feld als die Baukunst. Die einzelne große
Persönlichkeit, welche sür das Ganze wirkt und wirken soll, saßt sich doch hie
und da in eine mächtige Erscheinung für sich zusammen, die in sich ruht und
wenigstens geistig in ihrer Weise vollendet ist. Darin kann der Bildhauer
einen Ersatz sür den Bruch mit der Natur finden, wenn er es versteht, diese
un schönsten Sinn gebildete Individualität in ihrer wirklichen Erscheinung,
die durch den Adel des Geistes über das Reich des Zufälligen erhoben ist.
Zum Ausdruck zu bringen: schwache Anfänge einer dem Zeitalter sich anpassen¬
den und zugleich lebensfähigen Plastik. Aber auch davon finden sich wenige
Beispiele in der neuesten französischen Kunst. Die romanischen Stämme sind
von Haus aus mehr zu einer idealen und verallgemeinernden Behandlung ge¬
eignet, vorab in einem Gebiete, auf dem alles Besondere von der Schönheit
der Form getilgt werden soll. Daher ist die Ausstellung reicher an plastischen
Werken im antiken Sinne, als an solchen charaktervoller Arbeiten der modernen
Sculptur. Die Franzosen sind, wie wir später sehen werden, in der Nach¬
bildung griechischer Formen keineswegs ungeschickt, und es fehlt daher nicht
Knickern, welche die moderne Plastik der modernen Malerei voranstellen;
l'e hoffen von ihr eine ideale Neubelebung der Kunst. Aber sie bedenken
'Acht. daß hier vor allen Dingen die beseelende Vermittlung mit dem wahren
Wesen der Wirklichkeit fehlt und daß die Phantasie, die sich mit der Ver-
^ngenheir künstlich ersüllt, niemals aus dem Vollen schöpft und daher nie¬
mals ein volles Leben hervorbringt. Die neue Sculptur hat keine Geschichte;
^'um das Zeitalter kann in ihr nicht zum Ausdruck kommen, nicht, was es be¬
legt, in sie niederlegen.

Anders ist es mit der Malerei. Sie braucht, sie soll sich nicht fernhalten
v°n den weiten Reichen der Natur und Geschichte, welche sich der menschliche
^°>se in einem bisher ungekannten Umfange erschlossen hat, und in denen er


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[0379] Perioden wenden. Ein ähnlicher Fall ist es mit der Sculptur. Die bruch¬ lose Einheit der alten Welt von Geist und Natur, in welcher sich jener in diese ergießt, so daß der Inhalt die Form gerade bis zum Rande füllt, ist "in wenigsten die Sache unserer Zeit; auch nicht die Naivetät, mit der sich die Seele zur Zeit der Renaissance, aus ihrer mittelalterlichen Versenkung er¬ wacht, trotz des Gefühls ihrer innerlichen Unendlichkeit mit innigem Nachgeben und Fügen in die neucnideckte schöne Formenwelt zu schmiegen suchte. Nicht Mit den Griechen und Römern, noch den Florentinern kann das Jahr¬ hundert wetteifern. Geschickt, Alles zu fassen und in sich aufzunehmen, die Geschichte zu seinem Eigenthum zu machen, indem es sie durchforscht und so den geistigen Faden in ihr entdeckt, mag es ihr bisweilen gelingen, der Ver¬ gangenheit das Eine oder Andere gleichsam abzulauschen; aber originell kann es nicht sein, seine Ideen lassen sich nicht in Stein hauen. Dennoch bietet die Zeit der Sculptur ein weiteres Feld als die Baukunst. Die einzelne große Persönlichkeit, welche sür das Ganze wirkt und wirken soll, saßt sich doch hie und da in eine mächtige Erscheinung für sich zusammen, die in sich ruht und wenigstens geistig in ihrer Weise vollendet ist. Darin kann der Bildhauer einen Ersatz sür den Bruch mit der Natur finden, wenn er es versteht, diese un schönsten Sinn gebildete Individualität in ihrer wirklichen Erscheinung, die durch den Adel des Geistes über das Reich des Zufälligen erhoben ist. Zum Ausdruck zu bringen: schwache Anfänge einer dem Zeitalter sich anpassen¬ den und zugleich lebensfähigen Plastik. Aber auch davon finden sich wenige Beispiele in der neuesten französischen Kunst. Die romanischen Stämme sind von Haus aus mehr zu einer idealen und verallgemeinernden Behandlung ge¬ eignet, vorab in einem Gebiete, auf dem alles Besondere von der Schönheit der Form getilgt werden soll. Daher ist die Ausstellung reicher an plastischen Werken im antiken Sinne, als an solchen charaktervoller Arbeiten der modernen Sculptur. Die Franzosen sind, wie wir später sehen werden, in der Nach¬ bildung griechischer Formen keineswegs ungeschickt, und es fehlt daher nicht Knickern, welche die moderne Plastik der modernen Malerei voranstellen; l'e hoffen von ihr eine ideale Neubelebung der Kunst. Aber sie bedenken 'Acht. daß hier vor allen Dingen die beseelende Vermittlung mit dem wahren Wesen der Wirklichkeit fehlt und daß die Phantasie, die sich mit der Ver- ^ngenheir künstlich ersüllt, niemals aus dem Vollen schöpft und daher nie¬ mals ein volles Leben hervorbringt. Die neue Sculptur hat keine Geschichte; ^'um das Zeitalter kann in ihr nicht zum Ausdruck kommen, nicht, was es be¬ legt, in sie niederlegen. Anders ist es mit der Malerei. Sie braucht, sie soll sich nicht fernhalten v°n den weiten Reichen der Natur und Geschichte, welche sich der menschliche ^°>se in einem bisher ungekannten Umfange erschlossen hat, und in denen er Brenjboten III. 1361.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/379>, abgerufen am 23.07.2024.