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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Jdeengemeinschaft möglich, alle mündigen Glieder eines Volkes müssen sich
ihre Anschauungen zum gegenseitigen Verständniß bringen können, mögen die¬
selben an sich auch noch sehr unentwickelt sein. Die Sprache ist der sicherste
Maaßstab der Bildungsstufe eines Volkes, je reicher sie sich aufbaut, desto
größer wird auch der Schatz der Gesittung sein, der in ihr nach Ausdruck
ringt. Wo dies Band besteht, mögen andre Hindernisse der einheitlichen Ge¬
staltung widerstreben, ja dieselbe dauernd vereiteln, aber die Voraussetzung
von allem Andern ist doch vorhanden. Griechenland ist nie zu einem einheit¬
lichen Staatswesen gekommen und doch redet man von einem hellenischen
Volke. "

Nächst der Sprache ist sür nationale Zusammengehörigkeit die Gemein¬
samkeit der Anschauungen wesentlich, aus denen sich die Gesittung des Volkes
ergibt. Wir fassen unter diesem Namen zusammen die Verehrung der Gott¬
heit und die Ordnung des öffentlichen Lebens in Sitte und Recht. In den
Anfängen des Volkslebens werden wir immer eine gemeinsame Religion
finden: die in einer Sprache reden, werden auch zu demselben Gott beten, ja
der Cultus wird wol für den ganzen Charakter des Volkes bestimmend wie
bei den Juden. Aber auch bei entwickelteren Zuständen wird die Religions¬
gemeinschaft von entscheidenden Einfluß bleiben. Was man auch vom Stand¬
punkte des geläuterten Christenthums gegen die Verweltlichung einwenden mag.
welche eine Nationalkirche mehr oder weniger immer mit sich bringen wird,
so kann doch niemand leugnen, daß sie ein mächtiges Band für die Einheit
der Volksglieder ist. Auch wenn die Trennung von Kirche und Staat, zu der
die Gegenwart im wolverstandenen Interesse beider strebt, durchgeführt sein
Wird, so nimmt doch das religiöse Leben einen solchen Platz im Menschen
im. daß die Verschiedenheit oder Gemeinsamkeit desselben sich überall geltend
wachen wird. Neben der Anschauung des Ueberweltlichen ist die Ordnung
der Verhältnisse des täglichen irdischen Lebens vor Allem für das nationale
Leben wichtig; die Sitte zeigt wie ein Volk die gewöhnlichen Begebenheiten
auffaßt, in deren Kreislauf das menschliche Dasein verfließt. Das Recht stellt
d^e Normen des menschlichen Gemeinlebens fest, es ist daher nächst der Sprache
""e Hauptbedingung, daß die Anschauungen, auf denen Sitte und Recht der
Volksgenossen ruhen, aus einem gemeinsamen Grunde aufgewachsen seien,
wenn sich dieselben zu einer Nation zusammenfassen sollen.

Endlich ist noch die Ansiedlung von großem Einfluß. Ein zusammen-
b"ngendes Gebiet ist nöthig, damit das Volk eine Nation werde; die Juden
waren in Palästina eine Nation, sie sind nach ihrer Zerstreuung nur noch
°w Volk zu nennen; das Land ist der Leuchter, auf dem das Volk sein Licht
deinen lassen soll, für seine Entwicklung ist die territoriale Grundlage von
^scheidender Wichtigkeit; Glieder der Nation, die räumlich von ihr abge.


Jdeengemeinschaft möglich, alle mündigen Glieder eines Volkes müssen sich
ihre Anschauungen zum gegenseitigen Verständniß bringen können, mögen die¬
selben an sich auch noch sehr unentwickelt sein. Die Sprache ist der sicherste
Maaßstab der Bildungsstufe eines Volkes, je reicher sie sich aufbaut, desto
größer wird auch der Schatz der Gesittung sein, der in ihr nach Ausdruck
ringt. Wo dies Band besteht, mögen andre Hindernisse der einheitlichen Ge¬
staltung widerstreben, ja dieselbe dauernd vereiteln, aber die Voraussetzung
von allem Andern ist doch vorhanden. Griechenland ist nie zu einem einheit¬
lichen Staatswesen gekommen und doch redet man von einem hellenischen
Volke. "

Nächst der Sprache ist sür nationale Zusammengehörigkeit die Gemein¬
samkeit der Anschauungen wesentlich, aus denen sich die Gesittung des Volkes
ergibt. Wir fassen unter diesem Namen zusammen die Verehrung der Gott¬
heit und die Ordnung des öffentlichen Lebens in Sitte und Recht. In den
Anfängen des Volkslebens werden wir immer eine gemeinsame Religion
finden: die in einer Sprache reden, werden auch zu demselben Gott beten, ja
der Cultus wird wol für den ganzen Charakter des Volkes bestimmend wie
bei den Juden. Aber auch bei entwickelteren Zuständen wird die Religions¬
gemeinschaft von entscheidenden Einfluß bleiben. Was man auch vom Stand¬
punkte des geläuterten Christenthums gegen die Verweltlichung einwenden mag.
welche eine Nationalkirche mehr oder weniger immer mit sich bringen wird,
so kann doch niemand leugnen, daß sie ein mächtiges Band für die Einheit
der Volksglieder ist. Auch wenn die Trennung von Kirche und Staat, zu der
die Gegenwart im wolverstandenen Interesse beider strebt, durchgeführt sein
Wird, so nimmt doch das religiöse Leben einen solchen Platz im Menschen
im. daß die Verschiedenheit oder Gemeinsamkeit desselben sich überall geltend
wachen wird. Neben der Anschauung des Ueberweltlichen ist die Ordnung
der Verhältnisse des täglichen irdischen Lebens vor Allem für das nationale
Leben wichtig; die Sitte zeigt wie ein Volk die gewöhnlichen Begebenheiten
auffaßt, in deren Kreislauf das menschliche Dasein verfließt. Das Recht stellt
d^e Normen des menschlichen Gemeinlebens fest, es ist daher nächst der Sprache
""e Hauptbedingung, daß die Anschauungen, auf denen Sitte und Recht der
Volksgenossen ruhen, aus einem gemeinsamen Grunde aufgewachsen seien,
wenn sich dieselben zu einer Nation zusammenfassen sollen.

Endlich ist noch die Ansiedlung von großem Einfluß. Ein zusammen-
b"ngendes Gebiet ist nöthig, damit das Volk eine Nation werde; die Juden
waren in Palästina eine Nation, sie sind nach ihrer Zerstreuung nur noch
°w Volk zu nennen; das Land ist der Leuchter, auf dem das Volk sein Licht
deinen lassen soll, für seine Entwicklung ist die territoriale Grundlage von
^scheidender Wichtigkeit; Glieder der Nation, die räumlich von ihr abge.


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[0353] Jdeengemeinschaft möglich, alle mündigen Glieder eines Volkes müssen sich ihre Anschauungen zum gegenseitigen Verständniß bringen können, mögen die¬ selben an sich auch noch sehr unentwickelt sein. Die Sprache ist der sicherste Maaßstab der Bildungsstufe eines Volkes, je reicher sie sich aufbaut, desto größer wird auch der Schatz der Gesittung sein, der in ihr nach Ausdruck ringt. Wo dies Band besteht, mögen andre Hindernisse der einheitlichen Ge¬ staltung widerstreben, ja dieselbe dauernd vereiteln, aber die Voraussetzung von allem Andern ist doch vorhanden. Griechenland ist nie zu einem einheit¬ lichen Staatswesen gekommen und doch redet man von einem hellenischen Volke. " Nächst der Sprache ist sür nationale Zusammengehörigkeit die Gemein¬ samkeit der Anschauungen wesentlich, aus denen sich die Gesittung des Volkes ergibt. Wir fassen unter diesem Namen zusammen die Verehrung der Gott¬ heit und die Ordnung des öffentlichen Lebens in Sitte und Recht. In den Anfängen des Volkslebens werden wir immer eine gemeinsame Religion finden: die in einer Sprache reden, werden auch zu demselben Gott beten, ja der Cultus wird wol für den ganzen Charakter des Volkes bestimmend wie bei den Juden. Aber auch bei entwickelteren Zuständen wird die Religions¬ gemeinschaft von entscheidenden Einfluß bleiben. Was man auch vom Stand¬ punkte des geläuterten Christenthums gegen die Verweltlichung einwenden mag. welche eine Nationalkirche mehr oder weniger immer mit sich bringen wird, so kann doch niemand leugnen, daß sie ein mächtiges Band für die Einheit der Volksglieder ist. Auch wenn die Trennung von Kirche und Staat, zu der die Gegenwart im wolverstandenen Interesse beider strebt, durchgeführt sein Wird, so nimmt doch das religiöse Leben einen solchen Platz im Menschen im. daß die Verschiedenheit oder Gemeinsamkeit desselben sich überall geltend wachen wird. Neben der Anschauung des Ueberweltlichen ist die Ordnung der Verhältnisse des täglichen irdischen Lebens vor Allem für das nationale Leben wichtig; die Sitte zeigt wie ein Volk die gewöhnlichen Begebenheiten auffaßt, in deren Kreislauf das menschliche Dasein verfließt. Das Recht stellt d^e Normen des menschlichen Gemeinlebens fest, es ist daher nächst der Sprache ""e Hauptbedingung, daß die Anschauungen, auf denen Sitte und Recht der Volksgenossen ruhen, aus einem gemeinsamen Grunde aufgewachsen seien, wenn sich dieselben zu einer Nation zusammenfassen sollen. Endlich ist noch die Ansiedlung von großem Einfluß. Ein zusammen- b"ngendes Gebiet ist nöthig, damit das Volk eine Nation werde; die Juden waren in Palästina eine Nation, sie sind nach ihrer Zerstreuung nur noch °w Volk zu nennen; das Land ist der Leuchter, auf dem das Volk sein Licht deinen lassen soll, für seine Entwicklung ist die territoriale Grundlage von ^scheidender Wichtigkeit; Glieder der Nation, die räumlich von ihr abge.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/353>, abgerufen am 22.07.2024.