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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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erholen und seien in Masse herbeigekommen, um sie zu plündern (p. 275).
Auf die englische Forderung einer Entschädigung der Kriegskosten erwidern
sie naiv: Dieß übersteige doch jede Schicklichknt: wer denn das Mittelreich
entschädige? (x. 377.) Sie beschweren sich über die "ungehorsame abenteuer¬
liche" Sprache in Bruce's Ultuuatum (x. 377). Bei den Friedensverhandlungen
im Sept. 1860 möchten sie es um Alles vermeiden, daß Lord Elgin nach
Peking komme, oder wenigstens daß er das Schreiben der Königin persönlich
überreiche. Diese letztere Bedingung erscheint ihnen am widerlichsten und um
ihre Zurücknahme wird mit großem Nachdruck gebeten (x. 407).*) Die Chi¬
nesen wollen den Amerikanern gar nicht glauben, daß die Engländer Christen
seien, mit Hinweisung auf den Dekalog: der unverschämteste sei noch Bow-
nng, der in einer Unterredung mit dem Chinesen Thier zu behaupten gewagt,
das Opium sei so unschädlich wie der Thee. Allerdings kommen auch Züge
anderer Art vor. In der zweiten Beilage (x. 489 -- 516) wird ein Aufsatz
des Mandarinen sehn mitgetheilt, der ursprünglich sür Gützlaff bestimmt war
und von diesem an Neumann eingesandt wurde, ein ganz merkwürdiges Äcten-
Aick. aus welchem man ersieht, wie vor den Augen des Verfassers der Nebel
der ihm angeborenen und anerzogenen Vorstellungen über die Europäer all-
wülig sinkt und er zuletzt die wahre Sachlage erkennt. Beim Zuge gegen
Peking wird die Treue der in den südlichen Provinzen für den Troß gewor¬
denen Chinesen (des "Bamvuschützencorps") hervorgehoben. Es hänge dieß
zum Theil mit der zwischen dem Norden und dem Süden von China bestehen-
den Abneigung zusammen ("Die Insassen des chinesischen Nordens unterschei¬
den sich zu ihrem Vortheil von denen des Südens: es sind größere kräftigere
Gestalten mit ausdrucksvollen und auffallend schwärzlichen Gesichtern. Auch
scheinen sie nicht in dem Grad jedem Lug und Trug ergeben wie ihre seit
langer Zeit mit den Fremden verkehrenden Landsleute südlich des Kiang"
it>- 386). Dennoch fährt aber Neumann fort: "für gute Bezahlung ist der
Chinese, sind alle Chinesen zu haben. Man könnte vielleicht auch China wie
Indien durch die Eingebomen erobern und auf längere Zeit in Gehorsam
Ehalten" (p. 401). Auch das anständige und liebreiche Benehmen der gefan¬
gen Chinesen unter einander und gegen die ihr Gefängniß theilenden Eng¬
länder und Franzosen (p. 423) gehört Hieher.

Mit höchstem Interesse liest man die Anzeichen von dem geheimen Anta¬
gonismus zwischen Engländern und Franzosen während der beiden letzten
^'ege: jene fühlen sich durch diese in der Freiheit ihrer Bewegungen gehemmt



^ ') Als Grund der Abneigung der Chinesen, ständige Gesandtschaften in Peking zuzulassen
"°"ut Neumann auch die Besorgniß. daß die Gesandten g°gen die vielen Scheußlichkeiten, die
" chinesischen Städten unter den Augen der Regierung begangen werden (Kmdermoro
tgi-). Einsprache erheben könnten.
Grenzboten III. 1361.

erholen und seien in Masse herbeigekommen, um sie zu plündern (p. 275).
Auf die englische Forderung einer Entschädigung der Kriegskosten erwidern
sie naiv: Dieß übersteige doch jede Schicklichknt: wer denn das Mittelreich
entschädige? (x. 377.) Sie beschweren sich über die „ungehorsame abenteuer¬
liche" Sprache in Bruce's Ultuuatum (x. 377). Bei den Friedensverhandlungen
im Sept. 1860 möchten sie es um Alles vermeiden, daß Lord Elgin nach
Peking komme, oder wenigstens daß er das Schreiben der Königin persönlich
überreiche. Diese letztere Bedingung erscheint ihnen am widerlichsten und um
ihre Zurücknahme wird mit großem Nachdruck gebeten (x. 407).*) Die Chi¬
nesen wollen den Amerikanern gar nicht glauben, daß die Engländer Christen
seien, mit Hinweisung auf den Dekalog: der unverschämteste sei noch Bow-
nng, der in einer Unterredung mit dem Chinesen Thier zu behaupten gewagt,
das Opium sei so unschädlich wie der Thee. Allerdings kommen auch Züge
anderer Art vor. In der zweiten Beilage (x. 489 — 516) wird ein Aufsatz
des Mandarinen sehn mitgetheilt, der ursprünglich sür Gützlaff bestimmt war
und von diesem an Neumann eingesandt wurde, ein ganz merkwürdiges Äcten-
Aick. aus welchem man ersieht, wie vor den Augen des Verfassers der Nebel
der ihm angeborenen und anerzogenen Vorstellungen über die Europäer all-
wülig sinkt und er zuletzt die wahre Sachlage erkennt. Beim Zuge gegen
Peking wird die Treue der in den südlichen Provinzen für den Troß gewor¬
denen Chinesen (des „Bamvuschützencorps") hervorgehoben. Es hänge dieß
zum Theil mit der zwischen dem Norden und dem Süden von China bestehen-
den Abneigung zusammen („Die Insassen des chinesischen Nordens unterschei¬
den sich zu ihrem Vortheil von denen des Südens: es sind größere kräftigere
Gestalten mit ausdrucksvollen und auffallend schwärzlichen Gesichtern. Auch
scheinen sie nicht in dem Grad jedem Lug und Trug ergeben wie ihre seit
langer Zeit mit den Fremden verkehrenden Landsleute südlich des Kiang"
it>- 386). Dennoch fährt aber Neumann fort: „für gute Bezahlung ist der
Chinese, sind alle Chinesen zu haben. Man könnte vielleicht auch China wie
Indien durch die Eingebomen erobern und auf längere Zeit in Gehorsam
Ehalten" (p. 401). Auch das anständige und liebreiche Benehmen der gefan¬
gen Chinesen unter einander und gegen die ihr Gefängniß theilenden Eng¬
länder und Franzosen (p. 423) gehört Hieher.

Mit höchstem Interesse liest man die Anzeichen von dem geheimen Anta¬
gonismus zwischen Engländern und Franzosen während der beiden letzten
^'ege: jene fühlen sich durch diese in der Freiheit ihrer Bewegungen gehemmt



^ ') Als Grund der Abneigung der Chinesen, ständige Gesandtschaften in Peking zuzulassen
"°"ut Neumann auch die Besorgniß. daß die Gesandten g°gen die vielen Scheußlichkeiten, die
" chinesischen Städten unter den Augen der Regierung begangen werden (Kmdermoro
tgi-). Einsprache erheben könnten.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/347>, abgerufen am 22.07.2024.