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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Lorcha Arrow, das Eigenthum eines Chinesen, ein Schiff, welches durch eine
dünische Firma englische Papiere erlangt hatte und unter dem Schutz der bri¬
tischen Flagge sich an dem unermeßlichen Schleichhandel betheiligte, der unter
den Augen der Cantoner Behörden auf dem Perlenfluß getrieben wurde. Die
Mannschaft bestand ausnahmslos aus den schlimmsten Verbrechern. Als die
Chinesen das Schiff 8. Oct. 1856 in Beschlag nahmen, war die englische
Flagge nicht aufgezogen, auch der englische Ccipitän nicht an Bord; zudem
waren die Papiere, welche dem Schiff ein Anrecht an die englische Flagge
gaben, gar nicht mehr giltig, da das Jahr, für welches sie ausgestellt waren,
seit einigen Tagen abgelaufen war. Dessenungeachtet wurde die Beschlag¬
nahme als Beleidigung der britischen Flagge aufgefaßt und die öffentliche
Uno feierliche Herausgabe der gefangenen Chinesen gefordert. Auch dazu ver.
stehen sich im Wesentlichen die chinesischen Behörden: sie geben zuerst die neun
weniger gravirten, später auch die beiden schlimmsten Verbrecher mit einem
über ihre Unthaten aufgenommenen Protocoll heraus. Allein auch dies ge¬
nügte nicht, und so eröffneten die Engländer die Feindseligkeiten. Die Ver¬
letzung der Gerechtigkeit in diesem Handel war so himmelschreiend, daß die
Tones Derby, Ellenborough. Thesinger, d'Jsraeli, die Manchesterleute Bright,
Givson, Cobden, Layard und viele Pceliten im Parlament die Descwouirung
des Dr. Bowring in Hongkong verlangten, und Palmerston wirklich im Unter¬
baus unterlag. Mürz 1857; allein er löste das Unterhaus auf und siegte bei
den Neuwahlen; die Nation genehmigte die Gewaltthätigkeit, um die passive
Handelsbilanz mit China zu ihren Gunsten zu ändern. Uebrigens erklärt
Neumann diesen ganzen Vorfall mit der Lorcha Arrow für Nebensache: "es
herrschte bei allen Fremden, nicht bloß bei den Engländern, solch ein Wider¬
wille gegen das hochmüthige, jedes menschliche Gefühl verletzende Benehmen
der Cantonesen; dagegen von chinesischer Seite solch ein tief begründeter Haß
"egen alle Auswärtigen. Briten, Amerikaner und Franzosen, daß ein blutiger
Entscheidungskampf nicht ausbleiben konnte." Die Engländer nehmen ohne
weiteres eine hinter den Factoreien liegende chinesische Straße in Besitz, ver¬
jagen die Einwohner und reißen die Häuser theilweise nieder ("us Kaps
Kvnexeä LoZ I^ne ana tuineä all tue xeovlö out,"). Die chinesischen
Forts um Canton und Canton selbst werden bombardirt, Oel. 1856, und
dabei wird aufs Brutalste verfahren: "Räuberei sagt nur", sei bei solchen Ge,
^Mhetten ein ehrliches Geschäft." Andrerseits verläßt die zahlreiche chine¬
sische Dienerschaft ihre europäischen Herren bis auf den letzten Mann. Ich
ü'de einen Preis von 130 Dollar auf jeden englischen Kopf und unter den
chinesischen Patrioten bildet sich ein "Barbarenvertilgungsansschuß"; am 15. Dec.
^"den die europäischen Factoreien von den Chinesen verbrannt. In Sodom und
^omorrha möge es nicht viel ärger gewesen sein, schrieb ein katholischer Missio-


Lorcha Arrow, das Eigenthum eines Chinesen, ein Schiff, welches durch eine
dünische Firma englische Papiere erlangt hatte und unter dem Schutz der bri¬
tischen Flagge sich an dem unermeßlichen Schleichhandel betheiligte, der unter
den Augen der Cantoner Behörden auf dem Perlenfluß getrieben wurde. Die
Mannschaft bestand ausnahmslos aus den schlimmsten Verbrechern. Als die
Chinesen das Schiff 8. Oct. 1856 in Beschlag nahmen, war die englische
Flagge nicht aufgezogen, auch der englische Ccipitän nicht an Bord; zudem
waren die Papiere, welche dem Schiff ein Anrecht an die englische Flagge
gaben, gar nicht mehr giltig, da das Jahr, für welches sie ausgestellt waren,
seit einigen Tagen abgelaufen war. Dessenungeachtet wurde die Beschlag¬
nahme als Beleidigung der britischen Flagge aufgefaßt und die öffentliche
Uno feierliche Herausgabe der gefangenen Chinesen gefordert. Auch dazu ver.
stehen sich im Wesentlichen die chinesischen Behörden: sie geben zuerst die neun
weniger gravirten, später auch die beiden schlimmsten Verbrecher mit einem
über ihre Unthaten aufgenommenen Protocoll heraus. Allein auch dies ge¬
nügte nicht, und so eröffneten die Engländer die Feindseligkeiten. Die Ver¬
letzung der Gerechtigkeit in diesem Handel war so himmelschreiend, daß die
Tones Derby, Ellenborough. Thesinger, d'Jsraeli, die Manchesterleute Bright,
Givson, Cobden, Layard und viele Pceliten im Parlament die Descwouirung
des Dr. Bowring in Hongkong verlangten, und Palmerston wirklich im Unter¬
baus unterlag. Mürz 1857; allein er löste das Unterhaus auf und siegte bei
den Neuwahlen; die Nation genehmigte die Gewaltthätigkeit, um die passive
Handelsbilanz mit China zu ihren Gunsten zu ändern. Uebrigens erklärt
Neumann diesen ganzen Vorfall mit der Lorcha Arrow für Nebensache: „es
herrschte bei allen Fremden, nicht bloß bei den Engländern, solch ein Wider¬
wille gegen das hochmüthige, jedes menschliche Gefühl verletzende Benehmen
der Cantonesen; dagegen von chinesischer Seite solch ein tief begründeter Haß
»egen alle Auswärtigen. Briten, Amerikaner und Franzosen, daß ein blutiger
Entscheidungskampf nicht ausbleiben konnte." Die Engländer nehmen ohne
weiteres eine hinter den Factoreien liegende chinesische Straße in Besitz, ver¬
jagen die Einwohner und reißen die Häuser theilweise nieder („us Kaps
Kvnexeä LoZ I^ne ana tuineä all tue xeovlö out,«). Die chinesischen
Forts um Canton und Canton selbst werden bombardirt, Oel. 1856, und
dabei wird aufs Brutalste verfahren: „Räuberei sagt nur», sei bei solchen Ge,
^Mhetten ein ehrliches Geschäft." Andrerseits verläßt die zahlreiche chine¬
sische Dienerschaft ihre europäischen Herren bis auf den letzten Mann. Ich
ü'de einen Preis von 130 Dollar auf jeden englischen Kopf und unter den
chinesischen Patrioten bildet sich ein „Barbarenvertilgungsansschuß"; am 15. Dec.
^"den die europäischen Factoreien von den Chinesen verbrannt. In Sodom und
^omorrha möge es nicht viel ärger gewesen sein, schrieb ein katholischer Missio-


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[0345] Lorcha Arrow, das Eigenthum eines Chinesen, ein Schiff, welches durch eine dünische Firma englische Papiere erlangt hatte und unter dem Schutz der bri¬ tischen Flagge sich an dem unermeßlichen Schleichhandel betheiligte, der unter den Augen der Cantoner Behörden auf dem Perlenfluß getrieben wurde. Die Mannschaft bestand ausnahmslos aus den schlimmsten Verbrechern. Als die Chinesen das Schiff 8. Oct. 1856 in Beschlag nahmen, war die englische Flagge nicht aufgezogen, auch der englische Ccipitän nicht an Bord; zudem waren die Papiere, welche dem Schiff ein Anrecht an die englische Flagge gaben, gar nicht mehr giltig, da das Jahr, für welches sie ausgestellt waren, seit einigen Tagen abgelaufen war. Dessenungeachtet wurde die Beschlag¬ nahme als Beleidigung der britischen Flagge aufgefaßt und die öffentliche Uno feierliche Herausgabe der gefangenen Chinesen gefordert. Auch dazu ver. stehen sich im Wesentlichen die chinesischen Behörden: sie geben zuerst die neun weniger gravirten, später auch die beiden schlimmsten Verbrecher mit einem über ihre Unthaten aufgenommenen Protocoll heraus. Allein auch dies ge¬ nügte nicht, und so eröffneten die Engländer die Feindseligkeiten. Die Ver¬ letzung der Gerechtigkeit in diesem Handel war so himmelschreiend, daß die Tones Derby, Ellenborough. Thesinger, d'Jsraeli, die Manchesterleute Bright, Givson, Cobden, Layard und viele Pceliten im Parlament die Descwouirung des Dr. Bowring in Hongkong verlangten, und Palmerston wirklich im Unter¬ baus unterlag. Mürz 1857; allein er löste das Unterhaus auf und siegte bei den Neuwahlen; die Nation genehmigte die Gewaltthätigkeit, um die passive Handelsbilanz mit China zu ihren Gunsten zu ändern. Uebrigens erklärt Neumann diesen ganzen Vorfall mit der Lorcha Arrow für Nebensache: „es herrschte bei allen Fremden, nicht bloß bei den Engländern, solch ein Wider¬ wille gegen das hochmüthige, jedes menschliche Gefühl verletzende Benehmen der Cantonesen; dagegen von chinesischer Seite solch ein tief begründeter Haß »egen alle Auswärtigen. Briten, Amerikaner und Franzosen, daß ein blutiger Entscheidungskampf nicht ausbleiben konnte." Die Engländer nehmen ohne weiteres eine hinter den Factoreien liegende chinesische Straße in Besitz, ver¬ jagen die Einwohner und reißen die Häuser theilweise nieder („us Kaps Kvnexeä LoZ I^ne ana tuineä all tue xeovlö out,«). Die chinesischen Forts um Canton und Canton selbst werden bombardirt, Oel. 1856, und dabei wird aufs Brutalste verfahren: „Räuberei sagt nur», sei bei solchen Ge, ^Mhetten ein ehrliches Geschäft." Andrerseits verläßt die zahlreiche chine¬ sische Dienerschaft ihre europäischen Herren bis auf den letzten Mann. Ich ü'de einen Preis von 130 Dollar auf jeden englischen Kopf und unter den chinesischen Patrioten bildet sich ein „Barbarenvertilgungsansschuß"; am 15. Dec. ^"den die europäischen Factoreien von den Chinesen verbrannt. In Sodom und ^omorrha möge es nicht viel ärger gewesen sein, schrieb ein katholischer Missio-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/345>, abgerufen am 23.07.2024.