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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Paris eintraf. Er kann sie sich durchaus nicht anders erklären, als daß die
Verbündeten heimliche Einverständnisse in der Hauptstadt gehabt haben mühten
und der excentrische Marsch des Kaisers nach Vitry ist ihm ein Räthsel. Die
Nachricht von der Abdankung Napoleons begleitet er dagegen mit Bemerkungen,
welche zeigen, daß, wenn auch persönliche Voreingenommenheiten mitunter
sein militärisches Urtheil falschem, sein politischer Blick doch klar und weit¬
schauend war. "Die Kosakenpike," sagte er, "welche die konstitutionelle Charte
dargeboten hat, und die russischen Bajonette, welche Ludwig's Thron aufge¬
richtet haben, sind Bilder, welche früher oder später das französische Volk bis
zum Wahnsinn ärgern werden. Die durch Europa widerhallende Anmaßung
des Sieges wird die Gefühle des Patriotismus und verletzter Ehre entzünden
-- die wahrscheinliche Mißregierung der neuen Dynastie, die unter so un¬
günstigen Verhältnissen ihre Regierung beginnt, wird Ursache einer neuen An¬
strengung werden, das verlorene Ansehen und die verlorene Oberherrschaft
wiederzugewinnen."

Wir nehmen hiermit Abschied von General Wilson. können aber uns von
dem Herausgeber seiner Tagebücher nicht ohne einen Tadel über die Sorg¬
losigkeit, die er bei der Redaction gezeigt hat, trennen. Er entschuldigt sich
zwar mit der Unleserlichkeit der Handschrift des Generals. Dies mag sür
historisch wenig bekannte Persönlichkeiten und Oertlichkeiten gelten; aber auch
Namen> die durch Zuratheziehung der ersten besten Detailgeschichte der behan¬
delten Feldzüge oder einen Blick auf eine Karte des Kriegsschauplatzes hätten
berichtigt werden können, sind bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Es trägt
keineswegs zur Aufklärung über die Bewegungen des Generals Wilson bei,
daß während des Marsches der großen verbündeten Armee von Böhmen nach
Sachsen, Altenberg und Altenburg fortwährend mit einander verwechselt werde"
und in buntem Tanze durch einander wirbeln. Daß Scharnhorst stets Charn-
hotzh, genannt wird mag noch allenfalls die Differenz der englischen Aussprache
entschuldigen. Was soll man aber zu Kneisbut für Knesebeck, Lebengettern
für Lebzeltern, Weissenburg für Wessenberg, Holyhaum für Holzhausen sagen?
Oder gar, wenn der Herausgeber trotz der Bemerkung, daß die Stadt der
Geburtsort der Kaiserin Katharina von Rußland sei, für Zerbst ganz ruhig
Lebst hinschreibt? Solche Schnitzer erwecken keinen großen Respect vor den Kennt-
mfsen des Reverend Herbert Randolph, Graduirten der Universität Oxford, in der
neuern Geschichte.




Paris eintraf. Er kann sie sich durchaus nicht anders erklären, als daß die
Verbündeten heimliche Einverständnisse in der Hauptstadt gehabt haben mühten
und der excentrische Marsch des Kaisers nach Vitry ist ihm ein Räthsel. Die
Nachricht von der Abdankung Napoleons begleitet er dagegen mit Bemerkungen,
welche zeigen, daß, wenn auch persönliche Voreingenommenheiten mitunter
sein militärisches Urtheil falschem, sein politischer Blick doch klar und weit¬
schauend war. „Die Kosakenpike," sagte er, „welche die konstitutionelle Charte
dargeboten hat, und die russischen Bajonette, welche Ludwig's Thron aufge¬
richtet haben, sind Bilder, welche früher oder später das französische Volk bis
zum Wahnsinn ärgern werden. Die durch Europa widerhallende Anmaßung
des Sieges wird die Gefühle des Patriotismus und verletzter Ehre entzünden
— die wahrscheinliche Mißregierung der neuen Dynastie, die unter so un¬
günstigen Verhältnissen ihre Regierung beginnt, wird Ursache einer neuen An¬
strengung werden, das verlorene Ansehen und die verlorene Oberherrschaft
wiederzugewinnen."

Wir nehmen hiermit Abschied von General Wilson. können aber uns von
dem Herausgeber seiner Tagebücher nicht ohne einen Tadel über die Sorg¬
losigkeit, die er bei der Redaction gezeigt hat, trennen. Er entschuldigt sich
zwar mit der Unleserlichkeit der Handschrift des Generals. Dies mag sür
historisch wenig bekannte Persönlichkeiten und Oertlichkeiten gelten; aber auch
Namen> die durch Zuratheziehung der ersten besten Detailgeschichte der behan¬
delten Feldzüge oder einen Blick auf eine Karte des Kriegsschauplatzes hätten
berichtigt werden können, sind bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Es trägt
keineswegs zur Aufklärung über die Bewegungen des Generals Wilson bei,
daß während des Marsches der großen verbündeten Armee von Böhmen nach
Sachsen, Altenberg und Altenburg fortwährend mit einander verwechselt werde»
und in buntem Tanze durch einander wirbeln. Daß Scharnhorst stets Charn-
hotzh, genannt wird mag noch allenfalls die Differenz der englischen Aussprache
entschuldigen. Was soll man aber zu Kneisbut für Knesebeck, Lebengettern
für Lebzeltern, Weissenburg für Wessenberg, Holyhaum für Holzhausen sagen?
Oder gar, wenn der Herausgeber trotz der Bemerkung, daß die Stadt der
Geburtsort der Kaiserin Katharina von Rußland sei, für Zerbst ganz ruhig
Lebst hinschreibt? Solche Schnitzer erwecken keinen großen Respect vor den Kennt-
mfsen des Reverend Herbert Randolph, Graduirten der Universität Oxford, in der
neuern Geschichte.




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[0316] Paris eintraf. Er kann sie sich durchaus nicht anders erklären, als daß die Verbündeten heimliche Einverständnisse in der Hauptstadt gehabt haben mühten und der excentrische Marsch des Kaisers nach Vitry ist ihm ein Räthsel. Die Nachricht von der Abdankung Napoleons begleitet er dagegen mit Bemerkungen, welche zeigen, daß, wenn auch persönliche Voreingenommenheiten mitunter sein militärisches Urtheil falschem, sein politischer Blick doch klar und weit¬ schauend war. „Die Kosakenpike," sagte er, „welche die konstitutionelle Charte dargeboten hat, und die russischen Bajonette, welche Ludwig's Thron aufge¬ richtet haben, sind Bilder, welche früher oder später das französische Volk bis zum Wahnsinn ärgern werden. Die durch Europa widerhallende Anmaßung des Sieges wird die Gefühle des Patriotismus und verletzter Ehre entzünden — die wahrscheinliche Mißregierung der neuen Dynastie, die unter so un¬ günstigen Verhältnissen ihre Regierung beginnt, wird Ursache einer neuen An¬ strengung werden, das verlorene Ansehen und die verlorene Oberherrschaft wiederzugewinnen." Wir nehmen hiermit Abschied von General Wilson. können aber uns von dem Herausgeber seiner Tagebücher nicht ohne einen Tadel über die Sorg¬ losigkeit, die er bei der Redaction gezeigt hat, trennen. Er entschuldigt sich zwar mit der Unleserlichkeit der Handschrift des Generals. Dies mag sür historisch wenig bekannte Persönlichkeiten und Oertlichkeiten gelten; aber auch Namen> die durch Zuratheziehung der ersten besten Detailgeschichte der behan¬ delten Feldzüge oder einen Blick auf eine Karte des Kriegsschauplatzes hätten berichtigt werden können, sind bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt. Es trägt keineswegs zur Aufklärung über die Bewegungen des Generals Wilson bei, daß während des Marsches der großen verbündeten Armee von Böhmen nach Sachsen, Altenberg und Altenburg fortwährend mit einander verwechselt werde» und in buntem Tanze durch einander wirbeln. Daß Scharnhorst stets Charn- hotzh, genannt wird mag noch allenfalls die Differenz der englischen Aussprache entschuldigen. Was soll man aber zu Kneisbut für Knesebeck, Lebengettern für Lebzeltern, Weissenburg für Wessenberg, Holyhaum für Holzhausen sagen? Oder gar, wenn der Herausgeber trotz der Bemerkung, daß die Stadt der Geburtsort der Kaiserin Katharina von Rußland sei, für Zerbst ganz ruhig Lebst hinschreibt? Solche Schnitzer erwecken keinen großen Respect vor den Kennt- mfsen des Reverend Herbert Randolph, Graduirten der Universität Oxford, in der neuern Geschichte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/316>, abgerufen am 03.07.2024.