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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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verwirrt haben, ist das apokalyptische Thier, dessen Zahl 666 ist, erschienen:
obgleich alle drei immer von Christus predige" und schreien, haben sie ihn
doch niemals gesehen, weil sie ihn in ihrem Fleische suchten nach dem Zeug¬
nisse der "animalischen" Menschen, die keinen Geist haben. Dieser Greuel
verwüstet ihre Kirchen, Tempel und Götzenhäuser; da sitzen die Käufer und
Verkäufer und haben ein fremd Feuer auf des Herrn Altar gebracht; sie haben
ein fremdes Wort, Taufe und Abendmahl und wiegen den irdisch Gesinnten
die Vergebung der Sünden um's Geld. Dazu habt ihr der Einfältigen
Herzen mit Zank, Neid, Haß, Mord, Todtschlag, mit Richten, Verfluchen und
Verdammen erfüllet, daß ein Jeder seinen Freund und Bruder haßt, einzig
und allein, weil er nicht auch katholisch oder lutherisch oder reformirt ist. Das
ist ja aber gerade Babel in ihrer Concentration und Summa -- ein jegliche
Seele, welche sich für das gerechte Jerusalem ausgibt und spricht, sie sei die
wahre Kirche, sie habe die rechte Religion, die rechte Polizei, das rechte
Christenthum. >-- Wer daher in des Verfassers Sinne heilig ist an Leib und
Seele und sich Jedermann zu einem guten Exempel darstellt in rechter De¬
muth Christi, Furcht Gottes und Lauterkeit des Geistes, der wird nicht
Götzenopfer essen und der Scctircr Tisch und des Herrn Tisch zugleich theil'
haftig sein wollen; sondern er wird aus ihren Kammern davon bleiben und
das Abendmahl des Herrn in sich selbst halten und nicht im Namen der
Katholischen, Lutherischen oder der Reformirten. Denn da Christus nicht
cephisch, panlisch oder apoilisch ist, soll sich ein Christ noch viel weniger nach
dem Papste, nach Luther oder Calvin nennen, sondern allein nach Christus-
Wird doch Christus an jenem Tage auch nicht fragen, ob du katholisch,
lutherisch oder reformirt oder ein Wiedertäufer oder ein Photianer -- oder ein
Jude oder ein Mahomedist gewesen bist; denn es muß geistlich gerichtet sein, wer
aber den Geist Christi nicht hat, der ist nicht sein. --Ein solcher obenbeschriebener
wohlgesinnter Mensch laßt sich dergleichen Zufälligkeiten an seinem Neben¬
menschen nicht stören; denn wenn wir auch alle einerlei Meinung über den
Glauben und die Religion hätten, würden wir doch damit noch nicht selig
werden, wenn wir nicht auch die Liebe hätten. Dies ist aber in kindlicher
Einfalt aller Menschen. Juden. Christen, Türken und Heiden einerlei Glaube
und Religion: nämlich Gott und seinen Nächsten lieben und immerdar und
überall gegen Alle alles Gute thun. Diesen Glauben und diese Religion
versteht jeder Mensch und setzt ihn auch von vorn herein als bekannt voraus.
Die Kenntniß von Gott nämlich können auch die Heiden erhalten, da ihnen
das Dasein Gottes aus folgenden Stücken bewiesen werden kann: 1) Aus
der Menschen und der Heiden eignem Sinnen, die da einen Gott suchen und
dessen begehren. 2) Aus der Natur, die in allen Dingen auf ein Einiges zu¬
rückweist; und 3) an der Kraft und dem Geiste, welcher in allen Dingen >>l-


verwirrt haben, ist das apokalyptische Thier, dessen Zahl 666 ist, erschienen:
obgleich alle drei immer von Christus predige» und schreien, haben sie ihn
doch niemals gesehen, weil sie ihn in ihrem Fleische suchten nach dem Zeug¬
nisse der „animalischen" Menschen, die keinen Geist haben. Dieser Greuel
verwüstet ihre Kirchen, Tempel und Götzenhäuser; da sitzen die Käufer und
Verkäufer und haben ein fremd Feuer auf des Herrn Altar gebracht; sie haben
ein fremdes Wort, Taufe und Abendmahl und wiegen den irdisch Gesinnten
die Vergebung der Sünden um's Geld. Dazu habt ihr der Einfältigen
Herzen mit Zank, Neid, Haß, Mord, Todtschlag, mit Richten, Verfluchen und
Verdammen erfüllet, daß ein Jeder seinen Freund und Bruder haßt, einzig
und allein, weil er nicht auch katholisch oder lutherisch oder reformirt ist. Das
ist ja aber gerade Babel in ihrer Concentration und Summa — ein jegliche
Seele, welche sich für das gerechte Jerusalem ausgibt und spricht, sie sei die
wahre Kirche, sie habe die rechte Religion, die rechte Polizei, das rechte
Christenthum. >— Wer daher in des Verfassers Sinne heilig ist an Leib und
Seele und sich Jedermann zu einem guten Exempel darstellt in rechter De¬
muth Christi, Furcht Gottes und Lauterkeit des Geistes, der wird nicht
Götzenopfer essen und der Scctircr Tisch und des Herrn Tisch zugleich theil'
haftig sein wollen; sondern er wird aus ihren Kammern davon bleiben und
das Abendmahl des Herrn in sich selbst halten und nicht im Namen der
Katholischen, Lutherischen oder der Reformirten. Denn da Christus nicht
cephisch, panlisch oder apoilisch ist, soll sich ein Christ noch viel weniger nach
dem Papste, nach Luther oder Calvin nennen, sondern allein nach Christus-
Wird doch Christus an jenem Tage auch nicht fragen, ob du katholisch,
lutherisch oder reformirt oder ein Wiedertäufer oder ein Photianer — oder ein
Jude oder ein Mahomedist gewesen bist; denn es muß geistlich gerichtet sein, wer
aber den Geist Christi nicht hat, der ist nicht sein. —Ein solcher obenbeschriebener
wohlgesinnter Mensch laßt sich dergleichen Zufälligkeiten an seinem Neben¬
menschen nicht stören; denn wenn wir auch alle einerlei Meinung über den
Glauben und die Religion hätten, würden wir doch damit noch nicht selig
werden, wenn wir nicht auch die Liebe hätten. Dies ist aber in kindlicher
Einfalt aller Menschen. Juden. Christen, Türken und Heiden einerlei Glaube
und Religion: nämlich Gott und seinen Nächsten lieben und immerdar und
überall gegen Alle alles Gute thun. Diesen Glauben und diese Religion
versteht jeder Mensch und setzt ihn auch von vorn herein als bekannt voraus.
Die Kenntniß von Gott nämlich können auch die Heiden erhalten, da ihnen
das Dasein Gottes aus folgenden Stücken bewiesen werden kann: 1) Aus
der Menschen und der Heiden eignem Sinnen, die da einen Gott suchen und
dessen begehren. 2) Aus der Natur, die in allen Dingen auf ein Einiges zu¬
rückweist; und 3) an der Kraft und dem Geiste, welcher in allen Dingen >>l-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/300>, abgerufen am 23.07.2024.