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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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vorausschicken und sie durch Colonnen unterstützen kann, die systematisch lang¬
sam von einem Punkte zum andern vordringen, wie im Schachspiel."

Blücher's glücklicher Reiterangriff bei. Haynau ließ doch endlich einige Licht¬
strahlen in die von düsteren Zukunftsgedanken erfüllte Seele des Engländers
fallen. "Der Feind, das Volk, die Truppen. Oestreich und Europa," sagt er,
"werden alle anerkennen, von wie hoher Bedeutung dieser Tag in diesem
Augenblicke ist. vornehmlich so kurze Zeit nachdem der Feind sich eines Sie¬
ges gerühmt hatte, der die Verbündeten vernichtet haben sollte. England
mag es glauben, wir sind eine furchtbare Liga; wir können verwundet und
verstümmelt werden, aber die vis vies-e ist unsterblich gegen die Macht
Frankreichs."

Während des Waffenstillstands neigte sich Wilson immer mehr auf die
Friedensseite. Bestimmend wirkten auf ihn ein: Mißtrauen in den aufrichti¬
gen Willen Oestreichs, activ an dem Kriege theilzunehmen; die sichtbare
Unlust vieler russischer Heerführer, noch weitere Opfer zu bringen, nachdem
ihre Grenzen gesichert waren; Unbekanntschaft mit der Opferbereitwüligkeit
des preußischen Volkes und getäuschte Hoffnung hinsichtlich der Haltung der
RMnvundstruppen, die, anstatt, wie man erwartet, sich von den Franzosen
loszusagen, mit besonderer Wuth gegen ihre deutschen Landsleute fochten.
Wahrend Lord Cathcart uumer noch auf den Beitritt Oestreichs hofft und
hinarbeitet, schreibt Wilson in sein Tagebuch (am 11. Juni): "Oestreich ist
entschlossen, dem Continentalkriege ein Ende zu machen. Es unterhandelt
mit Frankreich direct und benutzt die Macht seiner Waffen und sein Aufgebot
von Streitkräften, um von Frankreich die Bedingungen zu erlangen, die es
zu seiner eignen Vergrößerung und zur Wiederherstellung des Friedens in
Deutschland für nothwendig hält. Nachdem es sich diese Concession gesichert
hat, wird es aus Frankreichs Ansichten eingehen, einen Wall gegen Rußland
zu bilden; und Bonaparte wird in einer aus den Schein berechneten Eonstitution
Polens Entschuldigungsgründe seiner Selbstliebe gegenüber für die anderen
Opfer finden, die man von ihm fordern wird, und zu deren Darbringung er
bereit ist^

"Preußen und Rußland müssen sich in den Willen Oestreichs und Frankreichs
fügen. Widerstand wäre für das Eine Untergang und würde abermals Zerstörung
mitten in das Reich des Andern verpflanzen, vornehmlich bei der Stimmung
Schwedens -- wahrscheinlich den weißen Adler bis an den Dnieper bringen-
Preußen hat kein Geld. Sein Vertrag mit uns ist nicht unterzeichnet. Rußland
zaudert und muß gemeinschaftlich unterschreiben. Schlesien ist eine Wüste, ehe
sechs Wochen vergangen sind. Die Festungen sind nicht in dem erforderlichen
Zustand eine Belagerung auszuhalten. Glatz hat eine Besatzung von I5l>vo
Mann, aber nur 40,000 Thlr. in der Kriegskasse -- aus Böhmen werde"


vorausschicken und sie durch Colonnen unterstützen kann, die systematisch lang¬
sam von einem Punkte zum andern vordringen, wie im Schachspiel."

Blücher's glücklicher Reiterangriff bei. Haynau ließ doch endlich einige Licht¬
strahlen in die von düsteren Zukunftsgedanken erfüllte Seele des Engländers
fallen. „Der Feind, das Volk, die Truppen. Oestreich und Europa," sagt er,
„werden alle anerkennen, von wie hoher Bedeutung dieser Tag in diesem
Augenblicke ist. vornehmlich so kurze Zeit nachdem der Feind sich eines Sie¬
ges gerühmt hatte, der die Verbündeten vernichtet haben sollte. England
mag es glauben, wir sind eine furchtbare Liga; wir können verwundet und
verstümmelt werden, aber die vis vies-e ist unsterblich gegen die Macht
Frankreichs."

Während des Waffenstillstands neigte sich Wilson immer mehr auf die
Friedensseite. Bestimmend wirkten auf ihn ein: Mißtrauen in den aufrichti¬
gen Willen Oestreichs, activ an dem Kriege theilzunehmen; die sichtbare
Unlust vieler russischer Heerführer, noch weitere Opfer zu bringen, nachdem
ihre Grenzen gesichert waren; Unbekanntschaft mit der Opferbereitwüligkeit
des preußischen Volkes und getäuschte Hoffnung hinsichtlich der Haltung der
RMnvundstruppen, die, anstatt, wie man erwartet, sich von den Franzosen
loszusagen, mit besonderer Wuth gegen ihre deutschen Landsleute fochten.
Wahrend Lord Cathcart uumer noch auf den Beitritt Oestreichs hofft und
hinarbeitet, schreibt Wilson in sein Tagebuch (am 11. Juni): „Oestreich ist
entschlossen, dem Continentalkriege ein Ende zu machen. Es unterhandelt
mit Frankreich direct und benutzt die Macht seiner Waffen und sein Aufgebot
von Streitkräften, um von Frankreich die Bedingungen zu erlangen, die es
zu seiner eignen Vergrößerung und zur Wiederherstellung des Friedens in
Deutschland für nothwendig hält. Nachdem es sich diese Concession gesichert
hat, wird es aus Frankreichs Ansichten eingehen, einen Wall gegen Rußland
zu bilden; und Bonaparte wird in einer aus den Schein berechneten Eonstitution
Polens Entschuldigungsgründe seiner Selbstliebe gegenüber für die anderen
Opfer finden, die man von ihm fordern wird, und zu deren Darbringung er
bereit ist^

»Preußen und Rußland müssen sich in den Willen Oestreichs und Frankreichs
fügen. Widerstand wäre für das Eine Untergang und würde abermals Zerstörung
mitten in das Reich des Andern verpflanzen, vornehmlich bei der Stimmung
Schwedens — wahrscheinlich den weißen Adler bis an den Dnieper bringen-
Preußen hat kein Geld. Sein Vertrag mit uns ist nicht unterzeichnet. Rußland
zaudert und muß gemeinschaftlich unterschreiben. Schlesien ist eine Wüste, ehe
sechs Wochen vergangen sind. Die Festungen sind nicht in dem erforderlichen
Zustand eine Belagerung auszuhalten. Glatz hat eine Besatzung von I5l>vo
Mann, aber nur 40,000 Thlr. in der Kriegskasse — aus Böhmen werde«


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[0258] vorausschicken und sie durch Colonnen unterstützen kann, die systematisch lang¬ sam von einem Punkte zum andern vordringen, wie im Schachspiel." Blücher's glücklicher Reiterangriff bei. Haynau ließ doch endlich einige Licht¬ strahlen in die von düsteren Zukunftsgedanken erfüllte Seele des Engländers fallen. „Der Feind, das Volk, die Truppen. Oestreich und Europa," sagt er, „werden alle anerkennen, von wie hoher Bedeutung dieser Tag in diesem Augenblicke ist. vornehmlich so kurze Zeit nachdem der Feind sich eines Sie¬ ges gerühmt hatte, der die Verbündeten vernichtet haben sollte. England mag es glauben, wir sind eine furchtbare Liga; wir können verwundet und verstümmelt werden, aber die vis vies-e ist unsterblich gegen die Macht Frankreichs." Während des Waffenstillstands neigte sich Wilson immer mehr auf die Friedensseite. Bestimmend wirkten auf ihn ein: Mißtrauen in den aufrichti¬ gen Willen Oestreichs, activ an dem Kriege theilzunehmen; die sichtbare Unlust vieler russischer Heerführer, noch weitere Opfer zu bringen, nachdem ihre Grenzen gesichert waren; Unbekanntschaft mit der Opferbereitwüligkeit des preußischen Volkes und getäuschte Hoffnung hinsichtlich der Haltung der RMnvundstruppen, die, anstatt, wie man erwartet, sich von den Franzosen loszusagen, mit besonderer Wuth gegen ihre deutschen Landsleute fochten. Wahrend Lord Cathcart uumer noch auf den Beitritt Oestreichs hofft und hinarbeitet, schreibt Wilson in sein Tagebuch (am 11. Juni): „Oestreich ist entschlossen, dem Continentalkriege ein Ende zu machen. Es unterhandelt mit Frankreich direct und benutzt die Macht seiner Waffen und sein Aufgebot von Streitkräften, um von Frankreich die Bedingungen zu erlangen, die es zu seiner eignen Vergrößerung und zur Wiederherstellung des Friedens in Deutschland für nothwendig hält. Nachdem es sich diese Concession gesichert hat, wird es aus Frankreichs Ansichten eingehen, einen Wall gegen Rußland zu bilden; und Bonaparte wird in einer aus den Schein berechneten Eonstitution Polens Entschuldigungsgründe seiner Selbstliebe gegenüber für die anderen Opfer finden, die man von ihm fordern wird, und zu deren Darbringung er bereit ist^ »Preußen und Rußland müssen sich in den Willen Oestreichs und Frankreichs fügen. Widerstand wäre für das Eine Untergang und würde abermals Zerstörung mitten in das Reich des Andern verpflanzen, vornehmlich bei der Stimmung Schwedens — wahrscheinlich den weißen Adler bis an den Dnieper bringen- Preußen hat kein Geld. Sein Vertrag mit uns ist nicht unterzeichnet. Rußland zaudert und muß gemeinschaftlich unterschreiben. Schlesien ist eine Wüste, ehe sechs Wochen vergangen sind. Die Festungen sind nicht in dem erforderlichen Zustand eine Belagerung auszuhalten. Glatz hat eine Besatzung von I5l>vo Mann, aber nur 40,000 Thlr. in der Kriegskasse — aus Böhmen werde«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/258>, abgerufen am 22.07.2024.