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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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so hoch er ihre Tapferkeit schätzte, und an dieser Eigenschaft hat es dem
preußischen Offiziercorps doch wahrlich am allerwenigsten 1813 gefehlt.

Die Reiterei findet er dagegen vollkommen. "Ich habe nie," schreibt er,
"eine solche Ruhe gesehen; sie ist wahrhaft unglaublich. Nie habe ich Reiterei
sieben oder acht Stunden lang in einem solchen Kugelhagel halten sehen;
und ich fühlte mich gedrungen zu mehreren der Commandeure, hauptsäch¬
lich der schlesischen Kürassiere, hinzureiten, um meine Bewunderung auszu¬
sprechen."

Die große Ueberlegenheit in der Führung, die Napoleon in der Schlacht
von Lützen gezeigt hatte, machte auf Wilson einen tiefen Eindruck. Ver¬
stärkt wurde derselbe durch den schlimmen Zustand, in den die russische Armee
gerieth. Auf dem Rückzüge nach Dresden schmolz sie täglich zusammen.
"Die Bataillone," schreibt Wilson an Lord Cathcart, "sind zu schwach zur
Dienstleistung und lösen sich ohne außerordentliche Unfälle allmälig auf. Die
ganze effective Stärke des russischen Heeres, unter dem Befehl des Grafen
Wittgenstein. ausschließlich General Barclay's Corps und 5000 Reconvales-
centen, welche nach Fürst Wolkonsky's Versicherung gestern zur Armee stießen,
beträgt. Alles in Allem gerechnet, nicht 36.000 Mann. Auch muß ich zu
meinem sehr großen Schmerze sehen, daß der allgemeine Geist den Anstren¬
gungen und Opfern, welche die Noth der Zeit verlangt, ungünstig ist." Der¬
selbe Mann, der in Nußland immer zu den kräftigsten Maßregeln drängte,
findet jetzt die sehr gemäßigten Forderungen der Verbündeten, die Anerkennung
der Unabhängigkeit Spaniens und Hollands, die Herstellung Preußens in
seinem früheren Umfange, die Aufrechterhaltung der Theilung Polens, die
Auflösung des Rheinbundes u. s. w. für übertrieben und räth in Dresden
vor allen Dingen, die Armee in Sicherheit zu bringen, um wenigstens das zu
behalten, was man noch habe.

Erst in der Schlacht befand er sich wieder wohl. Bei Bautzen war er
wieder mitten im heftigsten Feuer. Sein Kampfgenosse war diesmal Sir
Charles Stewart, der englische Militärbevollmächtigte im preußischen Haupt¬
quartier. Als am ersten Tage der Schlacht die Franzosen rechts von Bautzen
über die Spree drangen, setzten sich die beiden Engländer an die Spitze eines
zurückweichenden russischen Bataillons und brachten es, nebst einer Batterie,
wieder vor. "Der Feind zog sich zurück, aber da die Flüchtlinge frische Unter¬
stützung erhielten, mußten wir nochmals weichen. Wieder und wieder sam¬
melten wir unsere Leute unb griffen an; und mit ohngefähr 40 preußischen
Uhlanen, die sich bei der Hand fanden, warfen wir uns auf das feindliche
Fußvolk, während unser eigenes mit Energie vorging, um unsere Minderzahl
aufzuwiegen. Der Feind gab sein Feuer ab. ehe er wich und versengte uns
im Fliehen; aber wir wurden gerächt. Dreien schlug ich die Waffen aus


so hoch er ihre Tapferkeit schätzte, und an dieser Eigenschaft hat es dem
preußischen Offiziercorps doch wahrlich am allerwenigsten 1813 gefehlt.

Die Reiterei findet er dagegen vollkommen. „Ich habe nie," schreibt er,
„eine solche Ruhe gesehen; sie ist wahrhaft unglaublich. Nie habe ich Reiterei
sieben oder acht Stunden lang in einem solchen Kugelhagel halten sehen;
und ich fühlte mich gedrungen zu mehreren der Commandeure, hauptsäch¬
lich der schlesischen Kürassiere, hinzureiten, um meine Bewunderung auszu¬
sprechen."

Die große Ueberlegenheit in der Führung, die Napoleon in der Schlacht
von Lützen gezeigt hatte, machte auf Wilson einen tiefen Eindruck. Ver¬
stärkt wurde derselbe durch den schlimmen Zustand, in den die russische Armee
gerieth. Auf dem Rückzüge nach Dresden schmolz sie täglich zusammen.
„Die Bataillone," schreibt Wilson an Lord Cathcart, „sind zu schwach zur
Dienstleistung und lösen sich ohne außerordentliche Unfälle allmälig auf. Die
ganze effective Stärke des russischen Heeres, unter dem Befehl des Grafen
Wittgenstein. ausschließlich General Barclay's Corps und 5000 Reconvales-
centen, welche nach Fürst Wolkonsky's Versicherung gestern zur Armee stießen,
beträgt. Alles in Allem gerechnet, nicht 36.000 Mann. Auch muß ich zu
meinem sehr großen Schmerze sehen, daß der allgemeine Geist den Anstren¬
gungen und Opfern, welche die Noth der Zeit verlangt, ungünstig ist." Der¬
selbe Mann, der in Nußland immer zu den kräftigsten Maßregeln drängte,
findet jetzt die sehr gemäßigten Forderungen der Verbündeten, die Anerkennung
der Unabhängigkeit Spaniens und Hollands, die Herstellung Preußens in
seinem früheren Umfange, die Aufrechterhaltung der Theilung Polens, die
Auflösung des Rheinbundes u. s. w. für übertrieben und räth in Dresden
vor allen Dingen, die Armee in Sicherheit zu bringen, um wenigstens das zu
behalten, was man noch habe.

Erst in der Schlacht befand er sich wieder wohl. Bei Bautzen war er
wieder mitten im heftigsten Feuer. Sein Kampfgenosse war diesmal Sir
Charles Stewart, der englische Militärbevollmächtigte im preußischen Haupt¬
quartier. Als am ersten Tage der Schlacht die Franzosen rechts von Bautzen
über die Spree drangen, setzten sich die beiden Engländer an die Spitze eines
zurückweichenden russischen Bataillons und brachten es, nebst einer Batterie,
wieder vor. „Der Feind zog sich zurück, aber da die Flüchtlinge frische Unter¬
stützung erhielten, mußten wir nochmals weichen. Wieder und wieder sam¬
melten wir unsere Leute unb griffen an; und mit ohngefähr 40 preußischen
Uhlanen, die sich bei der Hand fanden, warfen wir uns auf das feindliche
Fußvolk, während unser eigenes mit Energie vorging, um unsere Minderzahl
aufzuwiegen. Der Feind gab sein Feuer ab. ehe er wich und versengte uns
im Fliehen; aber wir wurden gerächt. Dreien schlug ich die Waffen aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/256>, abgerufen am 22.07.2024.